KOLUMNE – DORT OBEN UND HIER UNTEN
03.04.2024 KolumneHomo habitans
Das Wohnen ist eine emotionale und politische Angelegenheit. Es gibt Magazine zum Thema, Sparpläne und Wohnbaustrategien. Nicht selten hat die gewählte Wohnform einen direkten Zusammenhang mit den persönlichen Beziehungen, die wir pflegen. ...
Homo habitans
Das Wohnen ist eine emotionale und politische Angelegenheit. Es gibt Magazine zum Thema, Sparpläne und Wohnbaustrategien. Nicht selten hat die gewählte Wohnform einen direkten Zusammenhang mit den persönlichen Beziehungen, die wir pflegen. Unser Zuhause ist ein Garten unseres Selbst, in den wir Gäste einladen, um ihnen manchmal mehr, manchmal weniger Persönliches zu zeigen.
Entsprechend stressig ist es, wenn man sich ein neues Nest einrichten muss. Kürzlich mir passiert, als wir in Bern ein neues Zuhause suchten. Mein künftiger Mitbewohner sagte es richtig: Die Wohnungssuche heutzutage ist wie Onlinedating. Die Auswahl ist gross, aber zeitweise enttäuschend, man setzt auf verschiedene Karten gleichzeitig, bleibt flexibel, muss rasch das Einmalige erkennen. Der Berner Wohnungsleerstand ist mit 0,45 Prozent rekordtief und die Konkurrenz entsprechend hart. Wer eine Zusage für die Wunschwohnung möchte, muss schon flink und gewieft vorgehen.
Bei einem meiner Besuche in Adelboden hatte ich mir auch das Immobilienangebot vor Ort angeschaut. Berauscht hat mich die Auswahl ehrlich gesagt nicht – was wohl ebenfalls ein Zeichen für die hohe Nachfrage im Dorf ist. Der «Frutigländer» vom 16. Februar bestätigte meine Wahrnehmung. Darin konnte man lesen, dass sich der Leerstand in allen Schweizer Tourismusgemeinden Schnitt innerhalb von drei Jahren halbiert hat – von 1,5 auf 0,75 Prozent.
Ein weiterer, klarer Trend: Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person ist in den letzten Jahren schweizweit stetig angestiegen. Wir wollen immer mehr Platz für uns selbst. In der Schweiz beträgt die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf 46,5 Quadratmeter. Den globalen Durchschnittswert zu errechnen, ist wegen der unterschiedlichen Wohnformen schwierig. Studien gehen aber von ungefähr 20 Quadratmetern pro Person aus. Das Wohnen nachhaltig zu gestalten, ist eine weitere Herausforderung unserer und folgender Generationen.
Ausserhalb der Erde sieht es anders aus. Platz wäre da genug. Aber der einzige Ort, wo Menschen seit mehr als 20 Jahren ununterbrochen wohnen können, ist die Internationale Raumstation (ISS). Weil die Bewohnenden dort schwerelos sind und kein Unten und Oben brauchen, kann jede Wand der Raumstation genutzt werden. Man würde auf der ISS also nicht von Wohnfläche in Quadratmetern sprechen, sondern eher von Wohnvolumen in Kubikmetern. Bei einer Vollbelegung der ISS mit acht Crewmitgliedern haben alle rund 125 Kubikmeter zur Verfügung, was dem Volumen eines Reisecars entspricht. Aber nur ein winziger Teil davon ist fürs Private vorgesehen. An allen Wänden der ISS sind Werkzeuge und Experimente befestigt, lebensnotwendige Geräte wie Atemluftfilter und auch die kleinen Schlafkabinen der Astronautinnen und Astronauten, die im Schnitt sechs Monate dort leben. Den Rückzugsort, den unser Zuhause bietet, gibt es auf der ISS nicht. Ebenso wenig einen Balkon, und auch Fenster sind rar, um die spektakuläre Aussicht auf die Erde zu geniessen. Jedes Kilo, das in Form von Büchern oder Kleidern hochgeschickt wird, kostet. AstronautInnen sind vorbildliche MinimalistInnen.
Mit dem Umzug in unsere neue Wohnung (es hat schlussendlich geklappt, weil wir streberhaft das fixfertige Bewerbungsdossier zur Besichtigung mitgebracht hatten) reduziere ich meine Pro-Kopf-Wohnfläche von 71 auf 35 Quadratmeter. Wenn ich darin schwerelos wäre und alle Wände nutzen könnte, hätte ich etwa halb so viel Platz wie eine Astronautin auf der ISS. Dafür zwei Balkone und viele Bücher.
VALERIE KOLLER
VALERIE.KOLLER@BLUEWIN.CH