KOLUMNE – BAUCHGEFÜHLE
14.05.2024 KolumneAm Essen scheiden sich die Geister
Futtern, speisen, mampfen, essen, genies sen, schnabulieren, vertilgen, schlingen, stopfen oder einfach nur essen – als Allesesser, Vegetarier, Flexitarier, Veganer oder Allergiker! In seinen Anfängen ernährte sich der ...
Am Essen scheiden sich die Geister
Futtern, speisen, mampfen, essen, genies sen, schnabulieren, vertilgen, schlingen, stopfen oder einfach nur essen – als Allesesser, Vegetarier, Flexitarier, Veganer oder Allergiker! In seinen Anfängen ernährte sich der Mensch von wilden Pflanzen, Beeren, Pilzen und der Jagd. Als er sesshaft wurde, Ackerbau und Viehhaltung betrieb, änderten sich die Essgewohnheiten. Auf dem Tisch standen nun oft Milch- und Getreideprodukte.
Zu Zeiten der Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Lebensgewohnheiten noch einmal grundlegend. Viele Menschen zogen in die Städte, um dort zu arbeiten. Die Einkäufe wurden nun in Lebensmittelgeschäften getätigt. Der Mann brachte den Lohn heim und die Frau kümmerte sich um das Wohl der Familie. Gegessen wurde, was Muttern an einem ganzen Morgen mit tausend Handgriffen für ihre Familie zubereitete. Im Nu hatten die hungrigen Mäuler die Teller leergefegt und gab es doch einmal Reste, wurden sie am nächsten Tag wieder aufgewärmt, bis auch der letzte Krümel verwertet war. Das war einmal! Nach den Kriegen setzte der Wohlstand ein, die Menschen gewöhnten sich einen übermässigen Fleischkonsum an.
Heute legen unsere Nahrungsmittel Tausende von Kilometern zurück, bevor sie beim Grossisten landen, um dann frisch oder bereits zubereitet auf den Tisch zu gelangen. Noch einfacher wählen wir den Weg zum Take-away, für Sushi, Pizza, Döner oder Hamburger. Dazu ein feines Bier oder ein Süssgetränk, und schon steht dem gemütlichen Fernsehabend im Heimkino nichts mehr im Wege. Wenn möglich, isst jedes Familienmitglied vor seiner eigenen Glotze und genau dann, wenn sich die persönlichen Gelüste einstellen.
Aber es gibt auch immer mehr Menschen, die bewusst auf Fleisch oder sogar auf jegliche tierische Produkte verzichten. Grob lässt sich die Bevölkerung in Alles esser, Flexitarier, Vegetarier und Veganer einteilen. Die Gruppe der Vegetarier ist in allen Generationen vertreten, hingegen vermehren sich die Veganer erst seit diesem Jahrhundert.
Wer vegetarisch isst, tut dies meist ohne grosses Gezeter. Oft lassen die Menschen, die so leben, einfach Fleisch und Fisch weg, ohne auswärts grosse Ansprüche zu stellen. Still leben sie ihr Credo. Ganz anders sieht es bei den Veganern aus. Sie reiben uns immer wieder unter die Nase, wie wir den CO2-Ausstoss mit dem Konsum tierischer Produkte schüren, wie wir durch die Nutztierhaltung Regenwald abholzen, um Tierfutter anzubauen.
Und ihre Sojaprodukte? Woher stammen die Sojabohnen zur Herstellung veganer Produkte? Bis jetzt zum grössten Teil aus abgeholzten Regenwäldern in Südamerika, mit langen Transportwegen. Aber immerhin: Die europäische Sojaproduktion wird vorangetrieben.
«Der Mensch ist, was er isst», befand schon 1850 der Philosoph Ludwig Feuerbach. Alles in Massen, das wäre immer noch die Ideallösung! Unsere Ansprüche auf ein vielfältiges Lebensmittelsortiment steigen aber immer weiter. Gemüse und Früchte wollen wir zu allen Jahreszeiten – nix mit saisonal und regional. Verzicht bleibt häufig ein Fremdwort.
Nicht zu vergessen: Essen hat auch einen gesellschaftlichen Aspekt. Neulich wurde mir am Familientisch mit meinen vier Enkeln der Lärmpegel zu hoch und ich bat um Ruhe. Da meldete sich der zwölfjährige Mauro, dass nebst dem gemeinsamen Essen auch ein Gedankenaustausch stattfinden solle. Recht hat er!
YVONNE SCHMOKER
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