KOLUMNE – NACHHALTIG
04.06.2024 Kolumne«Nachruf – wägem Gäld»
Nachhaltigkeit war der Auslöser für das Projekt Tropenhaus Frutigen, Nachhaltigkeit war der rote Faden bei der Planung, Nachhaltigkeit war das oberste Gebot im Betrieb während der letzten fünfzehn ...
«Nachruf – wägem Gäld»
Nachhaltigkeit war der Auslöser für das Projekt Tropenhaus Frutigen, Nachhaltigkeit war der rote Faden bei der Planung, Nachhaltigkeit war das oberste Gebot im Betrieb während der letzten fünfzehn Jahre. Heute zählt diese Nachhaltigkeit nicht mehr, zumindest nicht für den Besucherbereich. Ausstellung, Tropengarten, Aquarien und Gastronomie sind Geschichte, wie auch der «Frutigländer» mehrfach berichtete.
Wohl gegen eine Million Besucher tauchten seit der Öffnung im Winter 2009 während einiger Stunden in die Millionen Jahre alte Geschichte der Störfische ein – auch eine ohne Happy End notabene. Wasser floss oder ruhte in allen Ecken des Besucherrundgangs, warm, kalt, sauber und weniger sauber, mit Druck durch die Turbine und als Dunst im feucht-warmen Gewächshaus. Es roch nach nassem Laub und Erde, kleines und grosses Federvieh scharrte darin, Schildkröten wärmten sich auf, und ohne Ende entwickelten sich neue Blätter und Früchte an den dicht wachsenden Bäumen und Schlingpflanzen. Und einige Störe schafften selbst die Entwicklung hin zu Streicheltieren, was Kinder weder kalt noch trocken liess. Diese Eindrücke waren es wert, dass viele immer wieder kamen und jedesmal eine neue blühende Orchidee entdeckten. Schwer vorstellbar, dass das alles sich in wenigen Wochen in Luft auflösen soll. Was ist passiert?
Die Erlebniswelt des Tropenhauses Frutigen sei nicht nachhaltig, hiess es; wirtschaftlich nachhaltig, wurde von den Betreibern präzisiert. Offensichtlich haben diese zum wiederholten Male die Lösung für dieses Problem in detaillierten Businessplänen gesucht und nicht gefunden. Auch wenn bis heute das warme Wasser aus dem Lötschbergtunnel als nachhaltigste Energiequelle für die Fischzucht und das Gewächshaus verkündet wurde, so ist das nur die halbe Wahrheit. Ohne teure Strom- und Holzenergie liess sich die feucht-warme Atmosphäre der Tropen nicht aufrechterhalten. Und die scheinbar natürliche Tier- und Pflanzenwelt wurde über die Jahre aufwendig gehegt und gepflegt. Die Rechnung ging zumindest für die Kaufleute aus Basel nicht mehr auf. Die Vision des Projekts hatte allerdings eine Nachhaltigkeit vor Augen, die weit über das profane Betriebsergebnis von Gastronomie und Ausstellung hinausging: Von Beginn weg standen die regionale Entwicklung und der Tourismus als Zielbereiche fest. Die qualitative Wirkung des Tropenhauses Frutigen auf das touristische Angebot in der Region hat in den fünfzehn Jahren nicht nur eine treue Besuchergruppe aus der Region gebildet, sondern auch die Attraktivität für internationale Gäste im Berner Oberland mittlerweile deutlich erhöht. Für Frutigen ist das Tropenhaus zweifellos zum Markenzeichen und für das junge Frutigresort und seine zahlreichen Campinggäste in der Nachbarschaft eine wertvolle Erweiterung des Angebots geworden, gerade bei Schlechtwetter. Klammerbemerkung: Waren sich die Tourismusverantwortlichen der Region bewusst, wieviel Marketingleistungen vonseiten des Tropenhauses über die Jahre dem regionalen Auftritt zugute kamen? Die verhaltene Reaktion der Organisationen liess mich während der wenigen Verhandlungswochen daran zweifeln.
Regionale Entwicklung heisst auch Arbeitsplätze für wertvolle und qualifizierte Angestellte, die für ihre Leistungen in der Küche und dem Eventbereich mehrfach ausgezeichnet wurden. 40 zumeist im Tal wohnhafte Personen, die zum Teil seit der Inbetriebnahme des Tropenhauses ein immenses Wissen angehäuft haben, verdienten hier ihren Lebensunterhalt. Auch das ist Nachhaltigkeit, und nun Geschichte.
Was hätte passieren können? Das Beste, was der Eigentümerin hat passieren können: Einheimische Unternehmer meldeten sich innert Tagen nach der Verkündigung der Hiobsbotschaft mit einem konkreten Angebot, den Besucherbereich zu übernehmen und selbst weiter zu betreiben. Langjährige Angestellte sahen wieder einen Hoffnungsschimmer, die über Jahre aufgebauten Werte zu erhalten und standen hinter dem Konzept «Tropenhaus Frutigen 2.0». Doch wer idealistisch von einer Win-win-Situation sprach und dabei eine enge Verflechtung des Tropenhauses mit den lokalen Tourismusanbietern als naheliegend beurteilte, sah sich getäuscht. Dieses Nachhaltigkeitskonzept kam in den Entwicklungsplänen der Liegenschaftsverwalter nicht vor. Hingegen scheinbar wirtschaftlich zielführend wurde der vollständige Abriss von Gewächshaus, Technik und Restauration beschlossen. Und da entlarvt sich die Eigentümerin als das Gegenteil von einem nachhaltigen Unternehmen. Denn bestens erhaltene fünfzehnjährige Gebäude und Einrichtungen auf über 5000 m2 dem Erdboden gleich machen – das hätten sich bestimmt keine Besucher und Besucherinnen während der Stunden im Tropengarten und im Restaurant vorstellen können. Und noch viel weniger diejenigen, die das Tropenhaus Frutigen aufgebaut und betrieben haben. Übrig bleibt bei unzähligen Leuten eine Ernüchterung, dass der tropische Traum in Frutigen ausgeträumt ist – «wägem Gäld».
SAMUEL MOSER
SBMOSER@BLUEWIN.CH