KOLUMNE – SPAGAT
11.06.2024 KolumneVom Auszug einer nervigen Untermieterin
Endlich, sie ist eingefangen! Meine Gelenkmaus. In den vergangenen 14 Monaten hat sie in meinem Sprunggelenk ihr Schindluder getrieben und mich damit halb wahnsinnig gemacht.
Für mich war der Begriff ...
Vom Auszug einer nervigen Untermieterin
Endlich, sie ist eingefangen! Meine Gelenkmaus. In den vergangenen 14 Monaten hat sie in meinem Sprunggelenk ihr Schindluder getrieben und mich damit halb wahnsinnig gemacht.
Für mich war der Begriff «Gelenkmaus» schon immer klar und bekannt gewesen. Als ich ihn aber als Antwort nutzte, wenn mich jemand aufgrund meiner Krücken und des klobigen Gipsschuhs ansprach, stellte ich fest, dass kaum jemand wusste, was ich mit dem Ausdruck meinte.
Laut «Wikipedia» ist eine Gelenkmaus ein aus Knorpel oder Knochen bestehender, frei beweglicher Körper in einem Gelenk, der auf eine Verletzung zurückgeht. Es besteht keine Verbindung mehr zum Ablöseherd, die «Maus» kann sich also frei im Gelenk bewegen und unterschiedliche Symptome auslösen. In meinem Fall waren das andauernde Schmerzen im lädierten Sprunggelenk, ausgelöst durch eine hartnäckige Entzündung. Das Knochenstück war nach dem Bruch nicht mehr an die Ferse angewachsen. Nach jeder noch so kleinen sportlichen Aktivität meldete sich meine Untermieterin und zeigte, dass sie auch etwas zu sagen hatte. Ja, eigentlich bestimmte sie seit dem vergangenen Frühling mehr oder weniger mein Leben. Sport passte ihr nicht, wenn das Wetter wechselte, reklamierte sie, hohe Absätze waren ihr ein Graus. Sie war grundsätzlich alles andere als pflegeleicht, eine Wohngemeinschaft, die auf Dauer nicht funktionieren konnte. Alles Zureden nützte nichts. Wie gesagt, sie trieb ihr Schindluder mit mir, meinem Körper und vor allem meinen Nerven.
«Schindluder» ist übrigens eine veraltete Bezeichnung für alte oder kranke Haustiere (meine Maus war alles andere als das). Sie erhielten ihr Gnadenbrot nicht mehr und wurden zum Schinder, zum Abdecker, geschickt – also zu dem Mann, der für die Beseitigung von Tierkadavern ausserhalb einer Ortschaft zuständig war. Die Herkunft der Redensart geht wohl auf das frühe 19. Jahrhundert zurück.
Heute meint man damit eher, dass jemand schändlich, unwürdig, schlecht oder unfair behandelt wird. Natürlich kann man auch mit seinem eigenen Körper Schindluder treiben: zu viel Sport, zu wenig Sport, schlechte oder falsche Ernährung, zu wenig Schlaf, zu viel Stress, die Liste ist unendlich lang.
Anfang Mai habe ich den Spiess dann umgedreht. Der Maus gekündigt. Das Einfangen dauerte eine knappe Stunde. Ein Schnitt – und los war ich sie, die Gelenkmaus, so gross wie ein Backenzahn, die mir das Leben schwer gemacht hatte. Das eindrückliche Stück wartete nach der Operation in einem kleinen Behälter auf mich. Auf die Tierkadaverstelle musste ich damit nicht. Sie wird mich trotzdem nie mehr zurückhalten.
Die Bewegung fehlt zwar immer noch. Nach gut fünf Wochen mit Krücken ohne Belastung des Fusses hatten meine Arme viel Training und meine Hände sehen aus wie die einer Geräteturnerin. Der Blick auf den dünnen Unterschenkel lässt mich zweifeln, dass ich in einer Woche, wenn der Gipsschuh wegkommt, davonlaufen kann. Diesmal bin ich aber allein für meine Genesung verantwortlich. Meine nervende Untermieterin ist definitiv ausgezogen.
FRANZISKA KAUFMANN
FR.KAUF@GMAIL.COM