KOLUMNE – KLEINE GEDANKEN ZUR GROSSEN ZEIT
06.08.2024 Kolumne«online» – «an der Leine»
Liebe Leserin, lieber Leser
Hunde sind «an der Leine» – Menschen sind «online».
Dieser Vergleich kam mir in den Sinn, als ich mit unserem Hund spazieren ging und jemanden sah, der ...
«online» – «an der Leine»
Liebe Leserin, lieber Leser
Hunde sind «an der Leine» – Menschen sind «online».
Dieser Vergleich kam mir in den Sinn, als ich mit unserem Hund spazieren ging und jemanden sah, der auf einer Parkbank in sein Smartphone blickte. Der Vergleich animierte mich, wieder einmal darüber nachzudenken, warum wir uns freiwillig an die Leine nehmen lassen.
Aber zuerst zu unserem Hund. Er heisst Charly und ist ein liebenswürdiger, junger Kerl voller Energie. Er liebt es, mit uns zu wandern. Vor allem aber liebt er es, wenn wir ihn von der Leine lösen und ihn im Wald frei laufen lassen.
Charly zeigt uns dann mit freudigen Sprüngen, wie befreiend es für ihn ist, nicht mehr an der Leine zu sein. Er geniesst seine natürliche Freiheit.
Erstaunlich ist für mich nun, dass dieses Freiheitsgefühl, das ich bei Charly beo bachte, bei Menschen im digitalen Zeitalter nicht mehr so gross vorhanden zu sein scheint. Menschen begeben sich freiwillig und zunehmend stundenlang «an die digitale Leine» – nämlich immer dann, wenn sie «online» sind.
Die Fakten sind beunruhigend. Studien zeigen, dass sich Menschen in Europa im Durchschnitt täglich 2,5 Stunden mit ihrem Smartphone beschäftigen. Bei den 18- bis 29-Jährigen liegt die Nutzungsdauer noch höher und beträgt im Schnitt 4 Stunden am Tag!
Für mich ist klar: Die Internetkonzerne haben ein Interesse, dass wir möglichst viel Zeit auf ihren Plattformen verbringen. Sie möchten uns von ihren «Zeitfressern» abhängig machen und uns so an der Leine halten. Sie wollen, dass wir uns möglichst lange von der realen Umgebung abmelden und uns auf ihre Videos, Bilder und Texte konzentrieren.
Dass man mich richtig versteht: Ich bin weder gegen Smartphones noch gegen digitale Entwicklungen. Aber wäre es nicht besser, wieder vermehrt in der realen Welt zu leben?
Ich habe Menschen angetroffen, die auf einem Berggipfel, statt die wunderschöne Aussicht zu geniessen, die genau gleiche Umgebung auf ihrem Smartphone angeschaut haben. Und ich sehe im Bus wie im Zug viele Menschen, die nur noch auf ihr Smartphone starren und ihre Umgebung total ausblenden.
Deshalb plädiere ich dafür, die Smartphones auch mal abzuschalten. Sich hie und da von einem «Onliner» in einen «Offliner» zu verwandeln.
Und «YouTube», «TikTok», «Instagram», «WhatsApp» und wie sie alle heissen, mal abzustellen.
Dann kann die gewonnene Zeit selbstbestimmt genutzt werden. Vielleicht mit Gesprächen mit lieben Mitmenschen. Vielleicht auch, um die Natur zu spüren und zu geniessen und die digitale Welt mal zu verlassen.
Denn wir sind keine digitalen Wesen.
Natürlich muss auch ich immer wieder kritisch prüfen, wie lange ich mein Smartphone nutzen will. Um dann zu merken, wie befreiend es ist, diese Abhängigkeit einfach mal aufzugeben. Das Gefühl zu geniessen, nicht «online» – nicht «an der Leine» zu sein.
So wie es mir unser Hund Charly täglich mit grosser Freude vormacht, wenn er nicht an der Leine ist.
Ich wünsche Ihnen wunderschöne Sommertage mit ganz vielen selbstbestimmten «Offline-Stunden».
Mit lieben Grüssen
MARTIN MUERNER
MARTIN.MUERNER@GMX.CH