KOLUMNE – NACHHALTIG
03.09.2024 KolumneBiodiversitätsinitiative fördert fundierte Diskussion
Der «Frutigländer» hat in den vergangenen Wochen bereits verschiedene A spekte der Biodiversitätsinitiative beleuchtet: Insektensterben, Selbstversorgungsgrad, ...
Biodiversitätsinitiative fördert fundierte Diskussion
Der «Frutigländer» hat in den vergangenen Wochen bereits verschiedene A spekte der Biodiversitätsinitiative beleuchtet: Insektensterben, Selbstversorgungsgrad, Biodiversitätsförderflächen, Schutz von Landschaften und Ortsbildern und andere mehr. Die Diskussionen laufen auf allen medialen Kanälen, ebenso am Stammtisch oder auf sonntäglichen Wanderungen. Das Thema ist breit, und viele von uns haben den einen oder anderen Bezug zur Natur und dementsprechend eine eigene Meinung dazu.
Das nationale Nein-Komitee, das die Initiative bereits seit Tagen mit beeindruckender Plakatpräsenz bekämpft, lässt kein gutes Haar an der Initiative und prognostiziert quasi den Untergang von T ourismus, Berggebieten, Lebensmittelund Holzproduktion sowie der eigenen Stromversorgung. Das Pro-Komitee bezeichnet hingegen die Biodiversität als unsere Lebensgrundlage, ohne die wir kein sauberes Wasser und keine gesunde Nahrung mehr haben würden.
Na ja, ich unterstütze eigentlich all das, was die beiden Seiten als wünschenswert bezeichnen – und bin also mitten in der berühmten Zwickmühle. Dieses Spannungsfeld kennt eine politische Gruppierung besonders gut: Grünliberale Menschen setzen sich seit den Gründungsjahren der Partei für mehr Biodiversität, für wirtschaftliche Entwicklung und im Speziellen für mehr erneuerbare Energieproduktion ein.
Vordergründig will die Initiative die Förderung der Biodiversität via Verfassung besser in den diversen Gesetzen verankern. Sie will generell Natur und Landschaft stärker schützen. Sehr gut! Aber nun komme ich ins Grübeln, weil der starke Schutz von Steinhühnern und Feldlerchen neue alpine Solaranlagen, die ganz Frutigen mit Strom versorgen würden, verhindern könnte. Sonnenstrom oder Steinhuhn – ist das die Zwickmühle? Oder einfach eine zu enge Betrachtungsweise, wie sie in der Schweiz so typisch ist?
Vor gut einem Jahr habe ich an dieser Stelle schon mal eine Interessensabwägung zwischen Naturschutz und Ausbau der erneuerbaren Energie gemacht. Es war mir damals klar, dass es beides braucht, und dass sich die beiden Ziele nicht im Weg stehen. Offensichtlich ist es schwieriger, passende Lösungen für mehrere Ziele zu finden, als sich auf ein Ziel zu konzentrieren. Es braucht dafür Kompromisse, intelligente Lösungsansätze, mehr Kreativität und vor allem den guten Willen der Beteiligten, ihre enge Betrachtungsweise abzulegen.
Und genau das haben die Delegierten der grünliberalen Partei vorletzten Samstag gemacht: Über eine Stunde haben sie intensiv über die möglichen Auswirkungen der Biodiversitätsinitiative auf die zwei wichtigen Ziele Naturschutz und Energieversorgung diskutiert. Nicht erstaunlich war, dass niemand an der Bedeutung des Biodiversitätsschutzes zweifelte. Es wurden aber spezifische Anliegen, wie oben beschrieben, als Gründe genannt, die Initiative abzulehnen. Letztlich sprachen sich 60 Prozent der Delegierten für die Ja-Parole aus. «Der verbesserte und dringende Schutz der Biodiversität hat für uns höchste Priorität und wiegt stärker als die heiklen Punkte dieser Initiative», schreiben die Grünliberalen. Eine ausführliche Betrachtung findet sich auf der Website der Partei.
Ich mache in meinen Kolumnen grundsätzlich keine Parteipolitik. Beim Thema Biodiversität zeigt sich aber exemplarisch das «grün-liberale Dilemma», das nach der sorgfältigen Abwägung der Argumente eben keines mehr ist. Wichtig ist die Fähigkeit, eine sachliche und fundierte Beurteilung vornehmen zu können und daraus Grundsätze abzuleiten, wie sie in der Verfassung stehen sollten.
SAMUEL B. MOSER
NACHHALTIG@BLUEWIN.CH