QUERGESEHEN - «Traue keiner Statistik …»
20.09.2024 Kolumne«Traue keiner Statistik …»
… die du nicht selbst gefälscht hast»: Wer diesen mässig lustigen Spruch zum Besten gibt, sagt damit weniger über Statistiken aus als über sich selber. Er zeugt von peinlicher ...
«Traue keiner Statistik …»
… die du nicht selbst gefälscht hast»: Wer diesen mässig lustigen Spruch zum Besten gibt, sagt damit weniger über Statistiken aus als über sich selber. Er zeugt von peinlicher Selbstgerechtigkeit. Statistik ist eine exakte Wissenschaft, die beispielsweise für jede Fragestellung den nötigen Umfang der Stichprobe – samt zugehöriger Unschärfe – mit mathematischen Methoden erkennt. Laienhafte Besserwisserei kann man sich da sparen.
Anderseits ist es natürlich wahr, dass mit Statistiken viel Unfug getrieben wird – sei dies durch ihre Urheber oder durch die Medien, sei es mit Absicht oder aus Inkompetenz. Hier ein paar häufige Fehlgriffe:
• Verwendung von relativen statt absoluten Zahlen: «Wer viel Salz isst, hat 90 Prozent mehr Risiko für Magenkrebs!», warnte neulich eine Schlagzeile. In Wirklichkeit erkrankten laut dieser Studie von 10 000 Personen ohne hohen Salzkonsum deren 12, von 10 000 Salzliebhabern erwischte es 23. Das sind zwar tatsächlich etwa 90 Prozent mehr – Medien-Alarmstufe rot! Doch in absoluten Zahlen entpuppt sich das Salzen als ziemlich harmlos: Von 10 000 Personen kriegen 9977 trotz reichlich Salz keinerlei Magenkrebs. Anders gesagt: Das Krebsrisiko steigt mit viel Salz bloss um 0,1 Prozentpunkte. Sensationsmeldungen gibt so ein nüchterner Befund natürlich keine her …
• Sinnfreie Prozentangaben: Wenn ein Unternehmen seinen Jahresgewinn von 100 auf 130 Millionen steigert, ist die Meldung «plus 30 Prozent» noch nachvollziehbar. Was aber, wenn der buchhalterisch ausgewiesene Jahresgewinn derselben Firma von 1000 auf 1300 Franken wuchs? Genau, dann sind das ebenfalls beachtliche 30 Prozent mehr! Nur dass dieses Unternehmen in Wahrheit so gut wie keinen Gewinn abwirft. Und wenn der Gewinn im einen Jahr null, im Folgejahr auch nur hundert Franken betrug, so ist diese minimale Verbesserung in Prozenten unendlich gross! Man sieht: Prozentwerte taugen in diesem Bereich nicht viel. Aussagestark sind die absoluten Zahlen – und die Höhe des Unternehmensgewinns im Verhältnis zum Umsatz.
• Fehlender Bezug zum Grössenrahmen: 1. «46 000 Blitze – im Kanton Bern hat es diesen Sommer am häufigsten geblitzt», stand in den Medien; im Kanton Nidwalden etwa seien es «nur» 4600 Blitze gewesen. Wen wunderts, bei den unterschiedlichen Kantonsgrössen! Meteorologisch aufschlussreich wäre einzig die Blitzzahl in Bezug auf die Fläche. 2. Ebenso dumm ist das häufige Bern-Bashing mit dem Hinweis, dass der Kanton Bern im interkantonalen Finanzausgleich der grösste Geldempfänger ist. Das stimmt natürlich – aber korrekterweise müsste der Betrag in Relation zur Einwohnerzahl genannt werden. Und da ist Bern mitnichten der grösste Bezüger. 3. Oder der Unsinn mit den Katzen: «Bernex (GE) ist die Gemeinde mit der grössten Katzendichte», schrieben die Tamedia-Medien – und zwar mit Abstand: Dreimal mehr Katzen als sonst irgendwo gebe es dort! Kunststück: Bernex hat ein grosses Katzenheim und ist der Sitz des Genfer Tierschutzes, der herrenlose Katzen auf seinen Namen registriert – auch wenn sie längst nicht mehr dort leben. 4. Auch bedeutet das wachsende Bruttoinlandprodukt (BIP) eines Landes noch keine Zunahme des Wohlstands. Aussagekräftig ist allein das BIP pro Kopf der Bevölkerung.
• Irreführende grafische Darstellungen:
In Kurvendiagrammen muss die Einteilung der x-Achse in der Regel bei Null starten. Sonst ist die Wiedergabe einer Entwicklung verzerrt. Fiktives Beispiel: Zwischen 2010 und 2024 sei die Zahl der Tötungsdelikte von 400 auf 500 gestiegen. Wenn die Achse mit den Fallzahlen erst bei 400 beginnt, wirkt dieser Anstieg optisch krasser, als er es ist. Allenfalls sollte ein Zickzack-Abschnitt auf die Verkürzung dieser Achse hinweisen – eine alte statistische Darstellungsregel, an die sich heute kaum jemand mehr hält.
• Nichtssagende Durchschnittswerte: Aufgepasst – wenn in einem Dorf die Hälfte der Leute 50 000 Franken verdient und die andere Hälfte 100 000, dann ist das «Durchschnittseinkommen von 75 000 Franken» keine hilfreiche Information.
• Korrelation versus Kausalität: Manche Dinge entwickeln sich parallel, sodass man glauben könnte (und einige behaupten), das eine sei die Ursache des anderen. Dem ist natürlich nicht immer so. Populärstes Nonsense-Beispiel aus dieser Sparte: Die wachsende Anzahl Babys in den Fünfzigerjahren war die Folge der zunehmenden Storchenzahl …
Kurz und gut: In dieser datenverrückten, sensationsfreudigen Zeit begegnen uns vielerlei Statistiken, Studien und Umfrageergebnisse von zweifelhafter Qualität. Wer sich dagegen wappnen will, googelt «Unstatistik des Monats»: Unter diesem Titel demaskiert ein deutsches Hochschulinstitut regelmässig die denkwürdigsten Irrläufe der Zahlenwelt. So holt man sich das Rüstzeug für die schlauere Devise: «Traue keiner Statistik, die du nicht auf ihre Seriosität geprüft hast.»
TONI KOLLER
TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH