DAS LETZTE WORT

«Die Partei, die Partei, die hat immer recht.» So heisst es in einem Lied, das in der DDR regelmässig an politischen Anlässen gesungen wurde. Oder sagen wir: gesungen werden musste. In der Schweiz gibt es ein solches Lied nicht. Das liegt schon daran, dass hier nicht nur eine Partei existiert, die immer recht hat. Aber wenn es so ein Lied gäbe, wäre der Text sowieso ein anderer: «Ja, das Volk, ja, das Volk, das hat immer recht.»
Dass die Stimmbevölkerung in der Schweiz der Souverän ist, darüber sind sich hierzulande wohl alle einig. Ob aber dieser Souverän immer recht hat, ist eine ganz andere Frage.
«Niemand ist fehlerfrei, auch das Volk nicht», hat Toni Brunner mal gesagt. «Aber das Volk darf immer das letzte Wort haben.»
Das tönt gut, stimmt bei näherem Hinsehen aber auch nicht. Wären die Entscheide des Volks immer «das letzte Wort», gäbe es bis heute kein Frauenstimmrecht – denn das wurde 1959 in einer eidgenössischen Volksabstimmung abgelehnt, mit knapp 70 Prozent. Zwölf Jahre später stimmte das gleiche Volk der Einführung dann doch noch zu.
Das Beispiel zeigt: Weder hat das Volk immer recht noch ist sein Urteil stets das letzte Wort. Zum Glück! Denn so hat die Bevölkerung die Möglichkeit, ihre Meinung zu ändern und frühere Entscheide zu korrigieren.
2017 hat das Schweizervolk den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Manche hielten und halten das für einen Fehler – offenbar auch der Bundesrat. Der nämlich hat letzte Woche einen Richtungsentscheid gefällt: Das Neubauverbot für Kernkraftwerke solle überdacht werden. Zu einer energiepolitischen Langfriststrategie müsse möglichwerweise auch die Atomenergie gehören, hiess es.
Was ist das nun? Eine Missachtung des Volkswillens? Weitsichtige Politik, weil sich die Rahmenbedingungen geändert haben? Oder einfach ein Erfolg der Atomlobby?
Was auch immer bei dem Vorstoss des Bundesrats herauskommen wird, eines ist so gut wie sicher: das Referendum. Am Ende wird also das Volk darüber entscheiden dürfen, wie es in der Atomfrage weiter geht. (Jedenfalls in den nächsten paar Jahren.)

MARK POLLMEIER

M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH

SCHLUSSPUNKT - Das letzte Wort

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