KOMPLETT IRRE
Wenn Sie diesen «Schlusspunkt» nicht gerade in der Badewanne lesen, sind Sie vermutlich angezogen und tragen mit einiger Wahrscheinlichkeit auch Kleidung aus Baumwolle. Und genau diesen weit verbreiteten, natürlichen, hautsympatischen ...
KOMPLETT IRRE
Wenn Sie diesen «Schlusspunkt» nicht gerade in der Badewanne lesen, sind Sie vermutlich angezogen und tragen mit einiger Wahrscheinlichkeit auch Kleidung aus Baumwolle. Und genau diesen weit verbreiteten, natürlichen, hautsympatischen Stoff will die EU nun verbieten! So jedenfalls verbreitete es «20 Minuten» diese Woche in gleich mehreren Artikeln. «Neue EU-Regel macht Baumwollkleidung illegal», lautete eine Schlagzeile, und: «Das sagen Textilfirmen zum Baumwolle-Aus»
Medienleute sprechen bei solchen Titeln von einem Rage-Bait, was man mit «Empörungsköder» übersetzen könnte. Menschen sind halt auch nur bessere Fische: Man hält ihnen einen Wurm vor die Nase, wackelt ein bisschen mit der Angel, schon schnappen sie zu. Bei Schweizer Fischen funktioniert das besonders gut, wenn auf dem Wurm «EU» steht, und deshalb bissen auch bei «20 Minuten» viele an. Es gab Hunderte wütende Leserkommentare, Politiker schimpften über die «sozialistische EU», die jetzt «komplett irre» sei.
Ich suchte auf den Internetseiten des EU-Parlaments, was man dort tatsächlich plant. Eines vorweg: Von einem Baumwollverbot ist nirgends die Rede. Was ich stattdessen gefunden habe, ist ein Aktionsplan für eine bessere Kreislaufwirtschaft. «Bis 2030 sind die Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt langlebig und recyclingfähig, bestehen grösstenteils aus Recyclingfasern, enthalten keine gefährlichen Stoffe und werden unter Einhaltung der sozialen Rechte und im Sinne des Umweltschutzes hergestellt» – so lauten die noch nicht abgesegneten Ziele.
Das tönt ja erst einmal sinnvoll. Im Schnitt kauft jede / r Europäer / in 26 kg Textilien pro Jahr und wirft 11 kg weg. Fast 90 Prozent dieser Stoffabfälle werden verbrannt oder landen auf Deponien. Eigentlich komplett irre, denn bei der Herstellung eines einzigen (!) Baumwoll-T-Shirts werden rund 2500 Liter Süsswasser verbraucht.
Wie aber kommt man nun auf das Verbot, über das sich derzeit so viele aufregen? Ganz einfach: Normaler Baumwollstoff ist schwierig zu recyclen. Mit viel Fantasie kann man daraus ableiten, die EU werde das Material demnächst verbieten. Seriös ist so etwas nicht. Aber es gibt irre viele Klicks.
MARK POLLMEIER
M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH