Sessionsrückblick
26.09.2025 PolitikFalsche Rezepte bringen uns nicht weiter
Auch in dieser Session haben wir im Parlament über grosse Fragen diskutiert. Zwei Volksinitiativen von konservativen Parteien standen im Zentrum: die Heiratsstrafe-Initiative der Mitte-Partei und die Kündigungsinitiative ...
Falsche Rezepte bringen uns nicht weiter
Auch in dieser Session haben wir im Parlament über grosse Fragen diskutiert. Zwei Volksinitiativen von konservativen Parteien standen im Zentrum: die Heiratsstrafe-Initiative der Mitte-Partei und die Kündigungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei. Beide klingen verlockend – aber bei genauerem Hinsehen sind es falsche Rezepte.
Heiratsstrafe-Initiative der Mitte
Die Mitte will mit ihrer Initiative die sogenannte Heiratsstrafe abschaffen. Tatsächlich gibt es bei den Bundessteuern gewisse Ungerechtigkeiten für Ehepaare, die abgeschafft werden müssen. Doch das eigentliche Problem liegt woanders: Wer in einer Ehe als Zweitverdienerin oder Zweitverdiener arbeitet – meist die Frau –, wird heute steuerlich benachteiligt. Das zweite Einkommen lohnt sich oft kaum, weil dann hohe Steuern anfallen. Genau hier setzt die Individualbesteuerung an, die das Parlament nach jahrelanger Beratung in der Sommersession beschlossen hat. Jeder Mensch wird für sein eigenes Einkommen besteuert, egal ob verheiratet oder nicht. Das ist gerecht, modern und stärkt die Gleichstellung. Nur mit der Individualbesteuerung lohnen sich auch Teilzeit- oder Zweitpensen wieder – und wir gewinnen damit dringend benötigte zusätzliche Fachkräfte.
Die Initiative der Mitte hingegen blendet den entscheidenden Punkt der Kosten aus. Sie würde gemäss Berechnungen bis zu drei Milliarden Franken pro Jahr kosten und zu einer zusätzlichen Belastung für den Mittelstand führen. Ein solcher Rückschritt kommt für mich nicht in Frage, ich lehne diese Initiative klar ab.
Kündigungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei
Auch die Initiative «Keine Zehn-Millionen-Schweiz» klingt im ersten Moment nachvollziehbar. Viele Menschen sorgen sich wegen der Zuwanderung. Aber die vorgeschlagene Lösung – die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union – wäre für die Schweiz ein Desaster. Ohne Zuwanderung würde unsere Bevölkerung nämlich schon ab 2029 schrumpfen. Uns fehlen heute schon Zehntausende Arbeitskräfte: in Spitälern, in der Industrie, in der Gastronomie, auf dem Bau und in den Planungsbüros. Mit der Kündigungsinitiative hätten wir noch viel mehr Probleme: Wohlstandsverlust, Arbeitsplätze in Gefahr, schlechtere Beziehungen zu Europa.
Die Zuwanderung muss gesteuert werden, davon bin ich überzeugt – aber nicht mit der Brechstange, sondern mit intelligenten Lösungen und mit zwei Vorstössen, die wir eingereicht haben. Damit wollen wir Anreize setzen, um ältere Arbeitnehmende länger im Arbeitsmarkt zu halten, indem sie für die Unternehmen nicht mehr so teuer sind.
Die Pensionskassenbeiträge sollen deshalb von jung bis alt gleich sein und nicht viel teurer im Alter. Weiter verlangen wir, dass Erwerbseinkommen bis 100 000 Franken im Pensionsalter nur noch zur Hälfte versteuert werden müssen und gleichzeitig die Rente verbessert wird. Zudem wollen wir Erwerbstätigkeit für Frauen durch Individualbesteuerung und bezahlbare Kindertagesstätten stärken sowie strukturelle Probleme im Wohnungs- und Verkehrsbereich angehen. Mit all diesen Massnahmen können wir die Nettozuwanderung um eine Viertelmillion Menschen senken, ohne uns von Europa abzuschotten.
Fazit
Beide Initiativen sind falsche Antworten auf reale Herausforderungen. Sie schaffen keine Zukunft, sondern halten uns zurück. Die Schweiz braucht jedoch Fortschritt: moderne Steuern, mehr Fachkräfte, starke Familien und eine verlässliche Partnerschaft mit Europa. Dafür setze ich mich weiterhin ein.
JÜRG GROSSEN, NATIONALRAT GLP, FRUTIGEN