36 Jahre im «schönsten Beruf»
20.02.2024 PorträtSeit 1987 war Paul Schmid Wildhüter in verschiedenen Gemeinden im Frutigland. Kürzlich wurde er pensioniert. Rückblickend erzählt er von den Vorzügen des Berufs, ohne dabei dessen Schattenseiten auszublenden.
KATHARINA WITTWER
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Seit 1987 war Paul Schmid Wildhüter in verschiedenen Gemeinden im Frutigland. Kürzlich wurde er pensioniert. Rückblickend erzählt er von den Vorzügen des Berufs, ohne dabei dessen Schattenseiten auszublenden.
KATHARINA WITTWER
«Noch heute erfolgt die Ausbildung zum Wildhüter berufsbegleitend. Nach einer Stellenausschreibung läuft auch das Auswahlprozedere im Kanton Bern ähnlich wie damals bei mir», weiss Paul Schmid. Der 1958 in Reudlen Geborene hielt sich schon als Bub am liebsten in der Natur auf. Er sammelte Pilze, fischte in den Reichenbacher Gewässern, beobachtete Flora und Fauna, ging gerne z Bärg und erlangte in jungen Jahren das Jagdpatent.
Strenger Einstieg
Dass der gelernte Elektromonteur am 1. Dezember 1987 als Wildhüter für Adelboden und Frutigen gewählt wurde, freute ihn sehr. «Die ersten zwei Jahre waren intensiv, Freizeit hatte ich kaum. An zwei oder manchmal an drei Tagen pro Woche belegte ich Kurse. Die restliche Zeit musste ich lernen und war draussen unterwegs.» Nach einer Gebiets-Reorganisation übernahm er die Gemeinden Reichenbach und Aeschi, später kamen Krattigen und Leissigen hinzu.
Bezüglich Ausbildung der Wildhüter war der Kanton Bern lange führend. Obwohl die Jagd kantonal geregelt ist, vereinheitlichte das Bundesamt für Umwelt (BAFU), Sektion Jagd, die Ausbildung landesweit. Seither ist es möglich, nach insgesamt fünf Jahren Berufserfahrung und dem Besuch sämtlicher vorgeschriebener Lehrgänge den eidgenössischen Fachausweis zu erlangen. Dies tat Paul Schmid 2002.
Von der Schreibmaschine bis zum vernetzten Notebook
Als Schmid seine Stelle antrat, schaffte er sich eine moderne elektrische Schreibmaschine an. Diese verfügte über einen kleinen Bildschirm, worauf die ersten vier Zeilen zwischengespeichert wurden und sich Tippfehler leicht korrigieren liessen. Erst nach Freigabe des Geschriebenen wurde der Text aufs Papier gebannt. Später kam der Computer, die Schulung wurde vom Kanton organisiert. Inzwischen sind kantonsweit längst alle mit einem Laptop ausgerüstet und haben Zugriff auf sämtliche für die Berufsausübung wichtigen Programme.
Zu seiner ersten Ausrüstung gehörte auch ein Funkgerät, dessen lange Antenne aus dem Rucksack in die Höhe ragte – eine Art Markenzeichen des Wildhüters. Auf seinem Wohnhaus stand eine Funkantenne. Bei Abwesenheit war die Partnerin zu Relaisdienst verpflichtet: «Kam ein Telefonanruf auf unserem Festnetz rein, funkte mich meine Frau an und informierte mich über den Inhalt des Gespräches.» Heute ist ein Handy Standard, obwohl es zuhinterst in den Tälern kein Netz gibt. «Das hat auch Vorteile», ergänzt er schmunzelnd.
Zuerst der Luchs, dann der Wolf
Zu Beginn seiner Tätigkeit als Wildhüter waren im Frutigland die Reh- und Gamsstände so hoch, dass in manchen Jahren eine Nachjagd verordnet wurde. Nachdem der Luchs eingewandert war, dezimierte dieser natürliche Feind den Schalenwildbestand (Reh und Gams) auf ein gesundes Mass. Damit wurde eine neue Ära eingeläutet: «In Zusammenarbeit mit der Koordination für Grossraubtiere (KORA) stellten wir Fotofallen auf, um die Anwesenheit der verschiedenen Luchse zu dokumentieren. Da es zu ersten Nutztierrissen kam, wurde der Schutz von Schafen oder Ziegen zum Thema.»
Noch höher gingen die Emotionen, als zehn Jahre später der Wolf auftauchte. «Die Probleme der Tierbesitzer sind hinlänglich bekannt: Tiere auf den Weiden zu schützen, ist aufwendig und nicht überall möglich. Die Frage, ob einige Gebiete unbeweidet gelassen werden sollten, ist eine Überlegung wert.»
Zu beobachten, wie sich der Tierbestand entwickelt, fand Schmid stets spannend. Die Grossraubtierdichte ist inzwischen grösser, als Fachstellen ursprünglich berechneten, und die Jagd auf Reh und Gams ist wegen der natürlichen Feinde schwieriger geworden.
Das grösste Problem ist der Mensch
«Die Natur ist ein Räderwerk. Pflanzen, Tiere, Gewässer, Boden und Luft sind miteinander verflochten. Dies gilt es meiner Meinung nach zu respektieren», so Paul Schmid. Der Einfachheit oder Unwissenheit halber seien heute die Tiere «an allem schuld». Als Beispiel dienten Verbiss- und Fegeschäden am Wald und insbesondere beim Jungwuchs, welche die natürliche Verjüngung des Waldes hemmten.
Doch auch die Freizeitaktivitäten am Boden, in der Luft und an den Gewässern haben ganzjährig zugenommen. Die Summe aller menschlichen Freizeitaktivitäten sei für viele Lebewesen Stress pur. Zu oft würden Wildtiere heutzutage aus ihren idealen Einstandsgebieten vertrieben und müssten in Gebiete flüchten, in denen die Lebensbedingungen schlechter seien. Weil durch Stress und Flucht viel Energie verbraucht wird, muss dieser Verlust wieder kompensiert werden. Dies führt unweigerlich zu Schäden, welche durch mehr Ruhe verhindert werden könnten.
Der Kanton Bern überarbeitete im letzten Jahr weitere Wildschutzgebiete. In der Region sind dies Gehrihorn, Engelalp, Latreyen, Grosser Lohner und das neue Wildschutzgebiet Niesen. Bisher war dort bloss die Jagdzeit geregelt. Neu sollen für die Winterruhe und während der Brut- und Aufzuchtzeit Weggebote sowie eine befristete Leinenpflicht für Hunde gelten. An vorderster Front bekämpfen der SAC und der Bergführerverband diese Lebensraum- und Artenschutzmassnahmen, was Wildhüter Schmid sehr bedauert.
Mehr Aufwand, weniger Stellen
Jede Medaille hat zwei Seiten, das weiss auch Paul Schmid. Wildhüter sind Teil der gerichtlichen Polizei und somit verpflichtet zu reagieren, wenn eine Rechtsnorm verletzt wird. Je nach Schwere eines Vergehens dürfen sie selbstständig Fahrzeug- oder Hausdurchsuchungen durchführen oder mit Unterstützung der Staatsanwaltschaft solche veranlassen. «Zum Glück musste ich von diesen Möglichkeiten selten Gebrauch machen. Diese Aufgabe konnte nämlich auch belastend sein, insbesondere wenn man die Leute kannte.»
Im Laufe seines Berufslebens erlebte Paul Schmid mehrere Umstrukturierungen. Gebiete wurden anders aufgeteilt, neue Aufgaben kamen hinzu – vor allem im Zusammenhang mit den Grossraubtieren. Die Bürokratie wurde umfangreicher, gleichzeitig wurden kantonsweit Stellen abgebaut. «Mir war oft bewusst, dass ich all meinen vielseitigen Aufgaben aus Zeitgründen gar nicht gerecht werden kann», bedauert der Reichenbacher.
Mehr Zeit für Familie und Hobbys
Auch nach der Pensionierung wird Paul Schmid oft draussen anzutreffen sein – sei es auf einer Wanderung, beim Fischen oder beim Jagen. Auch freut er sich, vermehrt Zeit in seiner kleinen Werkstatt zu verbringen, denn am Eigenheim gibt es immer etwas zu «werkeln». Seit vielen Jahren spielt er Cornet und Trompete in verschiedenen Formationen. Auch dieses Hobby will er vermehrt pflegen. Und nicht zuletzt möchte der Neurentner mehr Zeit mit seiner Partnerin Monika und den beiden erwachsenen Kindern verbringen.