«365 Tage Hochsaison gibts nicht»
31.01.2023 TourismusDie Destination Adelboden-Lenk-Kandersteg (TALK) hat gerade ihre künftige Strategie verabschiedet. VR-Präsident René Müller erklärt, wie diese aussieht.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Aktuell liegt Schnee vor dem Fenster des Hotels Alpina in ...
Die Destination Adelboden-Lenk-Kandersteg (TALK) hat gerade ihre künftige Strategie verabschiedet. VR-Präsident René Müller erklärt, wie diese aussieht.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Aktuell liegt Schnee vor dem Fenster des Hotels Alpina in Adelboden. Bevor die anstehenden Sportferien starten, zieht René Müller als Hotelier zwar eine positive Bilanz des Jahreswechsels, aber es hätte das Sahnehäubchen gefehlt, die kurzfristigen Buchungen, um voll ausgelastet zu sein. Als Präsident der Bergbahnen Adelboden AG (Baag) vermisste er die Tagesausflügler, die das Massengeschäft Bergbahn eben brauche. «Viele hatten offenbar den Mut nicht, zu uns zum Skifahren zu kommen, obwohl wir durchgehend offen hatten. Natürlich fehlte abseits der präparierten Piste das Winterfeeling ein bisschen.» Als Verwaltungsratspräsident der Tourismusdestination beschäftige ihn das Tagesgeschäft weniger direkt, aber in der Strategie seien natürlich Winter, Schneemangel und Klima brennende Themen. «Wir wissen, dass wir etwas machen müssen.»
René Müller, die Destination hat ihre künftige Strategie festgelegt. Wohin geht es?
Wir wollen unter anderem die starke Winterabhängigkeit brechen. Das umfasst beispielsweise neue Bikeangebote oder die Sommerfrische, also Erholung und Erlebnisse in der Bergwelt. Ziel ist, den Frühling und Herbst zu stärken und so zu einer 365-Tage-Destination zu werden.
Wie soll das erreicht werden?
Wir haben vier Bereiche definiert – «365 Tage», «Digitalisierung», «Natürlich» und «Näher beim Gast».
Gehen wir diese Punkte kurz durch …
Zu uns soll man das ganze Jahr über kommen können, aber das Ziel ist sicher nicht Hochsaison während 365 Tagen. Das würde niemand verkraften. Es geht um die bessere Vermarktung bestehender Angebote wie des «Goldenen Herbst der Bergbahnen», die durchgehend bis zum Winterstart offen haben. So können wir punktuell mit unseren Mitteln weniger schneelastige Alternativen unterstützen und als Region ganzjährig attraktiv werden.
Bei der Digitalisierung gibt es Nachholbedarf?
Das ist ein Dauerthema, wobei wir recht weit sind. Gerade bei der Präsenz in den sozialen Medien sind wir gut aufgestellt. Es geht aber auch um gemeinsame Webseiten oder Shops, wo teils noch parallel mit unterschiedlichen Plattformen gearbeitet wird.
Dazu gehört sicher auch die im letzten Jahr neu eingeführte digitale Gästekarte. Wie ist die Akzeptanz?
Wir haben gemerkt, dass die Karte für kleinere Betriebe doch eine Herausforderung ist. Zudem haben sich sehr grosse Differenzen beim aktuellen Digitalisierungsstand gezeigt – vom KMU, das volldigital unterwegs ist, bis zum Anbieter, der den Meldeschein noch von Hand ausfüllt. Hier sind wir aber mit einem von der Neuen Regionalpolitik NRP unterstützten Digitalisierungsprojekt zusammen mit Gstaad-Saanenland dabei, noch besser zu werden. Die Karte kommt bei den Gästen aber gut an.
Was ist mit dem Bereich «Natürlich» gemeint?
Die Erfahrung zeigt, dass Gäste sehr unkompliziert Einblick in das lokale Leben haben möchten. Ein Beispiel: Das Angebot, einen Tag lang einem Bauern zu helfen, wurde kaum gebucht. Seit diese Erlebnismöglichkeit aber bekannt ist, schauen Gäste offenbar öfters spontan von sich aus bei Alphütten vorbei, sagen hallo und fragen sogar, ob sie etwas helfen könnten. Es besteht ein Anreiz, die Bewirtschaftungsformen oder den Umgang mit der Natur kennenzulernen. Das ist eine spannende Entwicklung. Wir müssen über solche Möglichkeiten noch viel öfters reden. Das ergibt jeweils unkompliziert Werbung via soziale Medien. Ich denke da an das «Herzbild» vom Arvenseeli, das als Fotosujet diente. Das zieht enorm viele Leute an den See und in die Natur und kostet uns nichts.
Und schliesslich wird die Nähe zum Gast respektive Kunden gesucht?
Wir verstehen uns heute primär als Dienstleistungsorganisation und deshalb sind unsere Aktionäre neben den Gästen unsere wichtigsten Kunden. Durch den grossen Verwaltungsrat sind die Regionen gut vertreten. Dieses Einbinden ist sehr wichtig. Wir machen, was gewünscht und gefordert wird. Das ist sicher ein Fortschritt gegenüber der alten TALK.
Stichwort Einbinden – wo bleibt das «L» im Firmennamen, die Lenk?
Der Zusammenarbeitsvertrag wurde erneuert. Dieser verlängert sich automatisch, wenn nicht ein Partner aktiv kündigt. Das ist meines Wissen derzeit kein Thema. Die Lenk ist quasi wie eine Drittfirma dabei, auch die Beherbergungsabgaben erhält unser Obersimmentaler Partner via Aktivitätenplanung zurück. Ich bin gespannt, wohin der Weg führt, da an der Lenk auch Umbrüche im Gang sind. Ich denke, sie werden den Wert der Marke Adelboden-Lenk erkennen. Neuerdings ist es nicht mehr nur die Skiregion, sondern auch die Bikeregion. Grundsätzlich läuft es also auch ohne Zusammenschluss gut.
Grundlage aller TALK-Massnahmen ist der neu geschaffene Aktivitätenplan. Alle Partner bringen ihre Projekte ein, diese werden untereinander koordiniert und am Ende wird nicht nur die Umsetzung, sondern auch die finanzielle Unterstützung festgelegt. In dieser Gesamtsicht kommen aber nicht alle zum Zug?
Dieser bereinigte Plan wurde im November von allen Aktionären genehmigt. Das heisst, dass auch die Verteilung der vorhandenen finanziellen Mittel bewilligt ist. So braucht es weniger Leistungsvereinbarungen und Verträge mit einzelnen Partnern. Das ist für die tägliche Arbeit sehr effizient. Aber es ist klar, dass einzelne Projekte den finanziellen Rahmen sprengen oder nicht wirtschaftlich erfolgreich erscheinen und nicht umgesetzt werden können.
Durch die Neuorganisation haben die Tourismusvereine Verantwortung zurückerhalten. Wie wirkt sich das aus?
Das heisst beispielsweise, dass die lokalen Verantwortlichen gemäss Aktivitätenplan ihren Anteil an den Mitteln haben und frei sind, damit selber Verschiebungen und Gewichtungen vor Ort vorzunehmen. Wenn Kandersteg mehr in ein Belle-Epoque-Projekt stecken will, kann das im Gesamtbudget gemacht werden. Als Folge wird ein anderes ihrer Angebote weniger Geld erhalten.
Und was bleibt bei der TALK?
Klar ist, dass die Grundfinanzierung gesichert sein muss. Aber wir haben eine faire Lösung gefunden und unser Anteil ist nicht nur von den Beherbergungsabgaben, sprich Logiernächten abhängig, sondern wird auch unter Einbezug der Kurtaxen – also aller Gäste – abgegolten. Das ist eine komplexe Materie, aber wir haben jetzt eine Lösung für gemeinsame Projekte und Kampagnen, hinter der alle stehen.
Das Marketing für das Skifahren wird nun von der Skiregion gemacht. Auch die Bergbahnen oder die Hoteliers machen ihre eigenen Kampagnen, die TALK ist noch unterstützend tätig. Vor der Umstrukturierung war das zentraler geregelt. Wie bewährt sich dieser Ansatz?
Ich staune und freue mich, wie gut die einzelnen Marketingteams gerade zwischen den Bergbahnen und TALK funktionieren und sich absprechen. Die Bahnen kennen ihr Produkt und ihre Kunden besser, also machen sie das spezifisch für sie passende Marketing – so, wie es auch jeder Hotelier für sich tut. Da hat ein Umdenken stattgefunden, das Erfolg hat.
Apropos Umdenken: Wird es bei der TALK jemals wieder einen Kurdirektor geben?
Wir haben eine funktionierende Geschäftsführung unter Leitung von Dominique Lüthy. Derzeit erachte ich einen Kurdirektor nicht als notwendig. Natürlich hören wir ab und zu, uns fehle das Gesicht, das die Tourismusorganisation verkörpere. Aber brauchen wir das wirklich? Gibt es diese Person überhaupt, die unsere ganze Destination angesichts des breiten und vielfältigen Angebots vertreten kann?