40 Jahre alt, aber immer noch zeitgemäss – ein Grund zum Feiern
27.08.2024 KrattigenFür Hochzeiten, Taufen und Abdankungen musste die Bevölkerung jahrhundertelang den Weg nach Aeschi unter die Füsse nehmen – denn dort stand schon sehr früh eine Kirche. Erst vor 40 Jahren erhielten die Krattiger dann ihr eigenes Kirchengebäude.
...Für Hochzeiten, Taufen und Abdankungen musste die Bevölkerung jahrhundertelang den Weg nach Aeschi unter die Füsse nehmen – denn dort stand schon sehr früh eine Kirche. Erst vor 40 Jahren erhielten die Krattiger dann ihr eigenes Kirchengebäude.
SONJA STEUDLER
Erst 1963 wurde die Kirchgemeinde Aeschi, zu der Krattigen seit jeher gehörte, in Kirchgemeinde Aeschi-Krattigen umbenannt. Dies – und wohl auch die Distanz zur Kirche im Nachbardorf – gab den KrattigerInnen manchmal das Gefühl, von «ihrer» Kirchgemeinde etwas stiefmütterlich behandelt zu werden. Und so wurde Mitte des letzten Jahrhunderts der Wunsch nach einem eigenen Kirchengebäude konkreter. Es wurden Stimmen laut, die fanden: «Eine Kirche gehört zum Dorfbild, und wir sind doch ein richtiges Dorf!»
Ein unbekannter Spender überreichte dem damaligen Pfarrer Jörg Liechti fünf Franken zur Äufnung eines Kirchenfonds für einen Kirchenbau. So wurde 1965 schliesslich der Kirchliche Bauverein Krattigen gegründet. Gemäss den Statuten war der Vereinszweck «…die möglichst baldige Errichtung eines Kirchlichen Zentrums mit Friedhof in Krattigen.»
Bis jedoch die Glocken in den neu errichteten Kirchturm hinaufgezogen werden konnten, sollte es noch fast 20 Jahre dauern, und das Friedhofsprojekt musste wegen schlechter Ergebnisse der Bodenanalysen schon bald ganz fallen gelassen werden.
Kirchenbasare als Grundstein
Vom Kirchgemeinderat wurden die KrattigerInnen bei ihrem Vorhaben zwar grundsätzlich unterstützt. Doch standen in der Kirchgemeinde noch eine dringende Innen- und Aussenrenovation der Kirche Aeschi an. Ausserdem war dort auch noch der Einbau einer neuen Orgel geplant. Die Ressourcen waren also knapp, und deswegen mussten sich die KrattigerInnen erst einmal selbst um die Finanzierung des Bauprojekts kümmern. So wurden von zahlreichen unermüdlichen Helfern immer wieder Kirchenbasare und -feste organisiert, deren Erlöse dann in den Fonds flossen. Schliesslich sollte das zusammengesparte Kapital immerhin reichen, um eine geeignete Bauparzelle zu erwerben.
Walter Weyermann bringt neuen Schwung
1977 wurde der Krattiger Oberstufenlehrer Walter Weyermann zum Präsidenten des Kirchlichen Bauvereins gewählt. Sein damaliges Ziel formuliert er rückblickend so: «Wir machen keine Bazare, wir bauen eine Kirche». Dies soll keinesfalls despektierlich klingen gegenüber all den vorangehenden Bemühungen. Der Satz steht viel mehr für die Aufbruchstimmung, die Ende der 1970er-Jahre im Vorstand des Bauvereins und bei den Verantwortlichen der Kirchgemeinde aufkam.
Nun wurde konkret nach möglichen Standorten für den Kirchenneubau gesucht. Favorit war dabei die Parzelle, auf der seinerzeit das Konsum stand – der heutige Volg-Laden. Coop wollte jedoch die Parzelle um keinen Preis «herausrücken», wie Walter Weyermann erzählt. Alternativ konnte die Einwohnergemeinde Krattigen im Rossweidli von der Erbengemeinschaft Steudler eine grosse Parzelle erwerben. Diese wurde umgezont und unterteilt. Die Kirchgemeinde konnte dann die oberste Parzelle direkt an der Hauptstrasse für den Kirchenbau erwerben.
Zuschlag an Interlakner Architekten
1980 nahm die aus dem Kirchlichen Bauverein entstandene Baukommission unter dem Präsidium von Walter Weyermann ihre Arbeit auf und lud vier Architekten zur Einreichung eines konkreten Bauprojekts ein. Gefragt war ein moderner, in die Gegend passender Bau mit Kirchenraum für 150 bis 200 Personen. Das Gebäude sollte eine Empore und Platz für die Orgel enthalten und ausserdem Erweiterungsmöglichkeit für grössere Anlässe bieten. Platz finden sollten auch ein Unterrichtsraum, ein Begegnungsraum mit Küche und Cheminée, eine Sakristei und diverse zweckdienliche Nebenräume wie die WC-Anlage. Vorgesehen war überdies auch ein Glockenturm mit Kirchenuhr. Denn da war man sich in der Baukommission einig: Keine richtige Kirche ohne Glocke – «die Krattiger wollen eine Kirche und nicht ein Kapelleli!»
Im Rahmen eines anonymisierten Architekturwettbewerbs mit öffentlicher Ausstellung wurde schliesslich von einer Fachjury das Siegerprojekt ermittelt. Den Zuschlag erhielt das Interlakner Architekturbüro Fritz Brönnimann.
Die Baukosten wurden mit rund 1,8 Millionen Franken veranschlagt, und an der Kirchgemeindeversammlung vom 13. Dezember 1981 konnte der Kredit für das Projekt gesprochen werden.
Ein «fremdfinanziertes Fundament»
Bei der Vorstellung des Kirchenneubaus entstand im Krattiger Gemeinderat die Idee, gleichzeitig auch eine neue Zivilschutzanlage zu realisieren. Der Platz in der bestehenden Anlage unter dem Mehrzweckgebäude war zu diesem Zeitpunkt schon eher knapp bemessen. Die Abklärungen mit den zuständigen Behörden und die Planung der Zivilschutzanlage verzögerten zwar den Bau der Kirche. Andererseits half die gleichzeitige Realisierung einer unterirdischen Zivilschutzanlage bei der Finanzierung des Kirchengebäudes, war doch dessen Fundament dadurch sozusagen fremdfinanziert.
Ende April 1983 erfolgte der Spatenstich, und ein halbes Jahr später, am 29. Oktober 1983, fand die Grundsteinlegung für die neue Krattiger Kirche statt. Der Bau schritt zügig voran, und so konnte das Aufrichtfest bereits am 27. Januar 1984 gefeiert werden. In der medialen Berichterstattung erhielt der Krattiger Kirchenbau schon im Vorfeld viel Zuspruch. So berichtete etwa «Der Bund» im Februar 1981 zum bevorstehenden Projekt: «Architektonisch gesehen besticht die kirchliche Anlage durch die gute kubische Gestaltung und die einfühlendschöne Eingliederung ins Gelände.»
Gestaltung durch einheimischen Künstler
Mit der künstlerischen Ausgestaltung wurde der bekannte – inzwischen leider verstorbene – Krattiger Künstler Ernst Ramseier betraut. Er schuf eine in Eisen gefasste Holzrondelle mit prachtvollen, in den Farben Gold und Silber gehaltenen Schnitzereien, die den Eingangsbereich ziert. Abgebildet sind im Kreis fünf christliche Symbole – Fisch, Taube und Kreuz sowie die griechischen Buchstaben Alpha und Omega, die für den Anfang und das Ende stehen (siehe rundes Bild).
Auch die sechs farbenfrohen Kirchenfenster im eigentlichen Kirchenraum zeigen typische Symbole der reformierten Kirche wie die Friedenstaube. Sie wirken bis heute sehr zeitgemäss und finden in Fachkreisen nach wie vor Beachtung.
Ein Dorffest zum Glockenaufzug
Ein Car voller Kirchenmitglieder reiste im Sommer 1984 nach Aarau zur Firma Rüetschi, um dort den Guss des Geläuts für die neue Kirche mitzuverfolgen. Gespendet wurden die in den Tonlagen g, b und c gestimmten Glocken von der Einwohner- und Burgergemeinde Krattigen, der Gemischten Gemeinde Aeschi und gemeinsam von allen am Bau beteiligten Handwerkern, die zur Finanzierung auf ein Prozent ihrer jeweiligen Auftragssumme verzichteten.
Der Glockenaufzug am 11. August 1984 begann mit einem grossen Umzug durchs ganze Dorf. Gross und Klein war auf den Beinen und begleitete die reich geschmückten Pferdewagen mit den Glocken bis zur Kirche, wo sie von Schüler-Innen in den Turm hinaufgezogen wurden. Die zahlreichen Zuschauer mussten sich jedoch vorerst noch mit dem Betrachten der neuen glänzenden Prunkstücke begnügen. Die Firma Rüetschi brauchte noch ein wenig Zeit, um die drei Glocken fest zu installieren und den nötigen Mechanismus und die Elektronik einzurichten.
Erstmals erklingen durfte das Geläut am 2. September 1984 anlässlich der eigentlichen Kircheneinweihung mit dem ersten Gottesdienst. Kurz danach feierten die Krattiger die ersten Taufen und Trauungen in «ihrer» Kirche.
Warten auf die Orgel
Am Umzug für den Glockenaufzug hatten es die Mittelstufenschüler mit ihrem Sujet – selbst gebastelte, silbrig angemalte Orgelpfeifen aus Kartonröhren – bereits angekündigt: Auch eine Orgel sollte dereinst in der Krattiger Kirche erklingen. Hier mussten sich die KirchgängerInnen jedoch noch ein wenig gedulden. Die Finanzierung einer eigenen Kirchenorgel hatte nicht erste Priorität.
Am Sonntag, 10. Mai 1987, war es dann so weit: Das erhabene Instrument wurde feierlich eingeweiht und durfte erstmals einen Gottesdienst umrahmen. Nun war die Kirche Krattigen komplett.
Stolz auf die «Perle»
«So zentral gelegen ist die Krattiger Kirche in jeder Hinsicht nahe bei den Menschen», ist die heutige Krattiger Pfarrerin Uta Ungerer überzeugt. Sie ist noch nicht sehr lange in Krattigen, war jedoch vom ersten Moment an begeistert von Dorf und Kirche. Sie sieht denn auch sehr viel Potenzial in dem stimmigen und Wärme ausstrahlenden Kirchenraum. «Wir Krattiger dürfen stolz sein auf diese Perle», findet die Pfarrerin.
Am kommennden Wochenende soll der runde Geburtstag dieser «Perle» nun mit verschiedenen Veranstaltungen gebührend gefeiert werden.
Samstag, 31. August, ab 15 Uhr: Jubiläumsfest für Jung und Alt. Sonntag, 1. September, 9.45 Uhr: Festlicher Gottesdienst mit anschliessendem Apéro. Das detaillierte Festprogramm: finden Sie unter www.kg-aeschi-krattigen.ch