82 Gipfel in 72 Tagen: Ein Abenteuer im Visier
04.06.2024 SportGLEITSCHIRMSPORT Chrigel Maurer und Peter von Känel befinden sich in den letzten Vorbereitungen für ihr gemeinsames Projekt «XPeaks». Sie blicken mit Vorfreude auf die abenteuerliche Rundreise – und mit einer Portion Nervosität.
MARIA STEINMAYR
Der Start der Tour ist für den 8. Juni geplant, hängt jedoch vom Wetter ab. «Wenn wir einen durchschnittlichen Sommer haben, sollte das Projekt möglich sein», sagt Chrigel Maurer wenige Tage, bevor es losgeht. Sein Ziel ist es, alle 4000er der Alpen zu besteigen – 82 insgesamt. Der Gleitschirm dient dabei als Fortbewegungsmittel.
Chrigel Maurer und Peter von Känel bereiten sich seit Monaten akribisch auf ihr Projekt vor. Sowohl im Fitnessstudio als auch in der Luft verbrachten sie viele Stunden und auch die Materialvorbereitung nahm einiges an Zeit in Anspruch.
Ein Kompromiss von 13 Kilogramm
Nicht nur das Training, sondern auch die Ausrüstung spielt eine wesentliche Rolle. Da die beiden auf externen Support verzichten und sie sich während der gesamten Dauer des Projekts zu Fuss oder fliegend fortbewegen, müssen sie ihre Ausrüstung selbst tragen. Deshalb wollen sie so leicht wie möglich unterwegs sein und investierten viel Zeit in die Auswahl und Optimierung des Materials.
Ihr Ausrüster unterstützte sie bei Spezialanfertigungen der Flugausrüstung. Die Schirme sind nicht die leichtesten, bieten dafür aber eine höhere Gleitleistung, um die Piloten so weit wie möglich zum nächsten Gipfel zu tragen. Auch die Kletterausrüstung wurde unter Berücksichtigung der Sicherheitsaspekte auf ein Minimum reduziert. Schlafsäcke wurden keine eingepackt. «Wir laufen lieber etwas weiter zu einer Hütte und schlafen dafür in einem ordentlichen Bett, dies dient auch der besseren Erholung», erklärt Maurer diesen Verzicht. Ein Kocher sei hingegen notwendig, um bei längeren Touren unterwegs Schnee zu Wasser schmelzen zu können. Auch bei der Bekleidung achteten sie auf jedes Gramm. Ein Paar Socken pro Person darf mit auf das Abenteuer. Falls dieses zu grosse Löcher bekommt, kann es unterwegs übrigens ausgetauscht werden. Dies gilt für sämtliches defektes Material – so die Regeln der beiden (siehe Kasten). Am Ende wird jeder 13 Kilogramm auf dem Rücken tragen.
Bis zu acht Peaks pro Tag
«Das Ziel lautet, die 82 Gipfel zu besteigen. Doch meine Vision ist vielmehr das Aufbrechen ins Abenteuer», erklärt Peter von Känel seine Motivation. Von der eigenen Haustür in Frutigen aus geht es los in Richtung Südwesten. Die erste Etappe soll die beiden ins Mont-Blanc-Gebiet führen. Dort liegt noch viel Schnee, was die Besteigung der Berge begünstigt, aber das Vorwärtskommen erschwert. Theoretisch seien bis zu acht Gipfel pro Tag möglich, abhängig von den Bedingungen am Berg. Viel Unvorhergesehenes kann passieren, daher sei mentale Flexibilität wichtig. Die präzisen Vorbereitungen waren dabei hilfreich.
Beide Sportler sind überzeugt, dass sich das Projekt bereits vor dem Start gelohnt hat. «Die Vorbereitung an sich ist eine Bereicherung, wir lernen viel voneinander», so von Känel. Die Essenz des Ganzen sei, nichts zu erzwingen, sondern vielmehr die Grenzen auszuloten und gemeinsam ein Abenteuer zu erleben.
Eine klare Arbeitsteilung
Die Stärken sind klar verteilt. Peter von Känel ist seit Jahren Bergführer und hat bereits alle 48 4000er der Schweiz bestiegen. «Es ist ein bisschen wie Arbeitsteilung: Am Boden klettere ich voraus, in der Luft fliegt Chrigel vorneweg.» Damit die Sportler auf ähnlichem Niveau unterwegs sind, haben sie Verschiedenes trainiert. Während Maurer im Kraftraum schwitzte («ich fühle mich so fit wie noch nie»), war von Känel vermehrt am Fliegen. «Den ganzen Winter über habe ich viel trainiert, damit Chrigel nicht auf mich warten muss.» Nebst den vielen Stunden in der Luft trainierte er spezifisch die Starts und Landungen in schwierigem Gelände, um in den Bergen sicher unterwegs zu sein.
Zum Training zwingen mussten sich beide nicht. «Meine Motivation für dieses Projekt liegt nicht nur in der Herausforderung, sondern auch darin, mich zu verbessern und weiterzuentwickeln, dafür trainiere ich gerne», erklärt Maurer.
Offen, ehrlich und direkt
Kommunikation ist den beiden sehr wichtig. Besonders wenn etwas nicht gut läuft, und solche Situationen werden sie erleben. Sie sprechen offen miteinander über Schwächen und Stärken und diskutieren Lösungsansätze, mentale Aspekte und den Umgang mit dem Risiko. «Diese Gespräche haben bei mir viel Druck weggenommen», so von Känel. Besonders in Extremsituationen ist es wichtig, sich auf den Partner verlassen zu können. «Trotzdem wollen wir uns gegenseitig kontrollieren, bei Zweifeln nachfragen und uns auf die Finger schauen», ergänzt Maurer. Teamwork sei vom Sicherheitsaspekt her das Wichtigste.
Die tägliche Herausforderung
Die Herausforderungen des Projekts sind vielfältig, eine der grössten bleibt das Wetter. Bei Wind, Hitze und Kälte gilt es, lange Märsche und viele Höhenmeter mit Bergschuhen und schweren Rucksäcken zurückzulegen. Hinzu kommen die potenziellen Risiken in den Bergen. Die physische und mentale Belastung sei gross. «Ich denke, die Hälfte der Tage werden nicht lustig sein, besonders im hochalpinen Bereich sind die Ressourcen begrenzt», sagt Maurer. «Jeden Morgen müssen wir das Wetter prüfen und entscheiden, wie wir vorgehen – das ist unser tägliches Kreuzworträtsel.»
Gute taktische Routenentscheidungen sind ausschlaggebend. Ängste sind bei beiden vorhanden. «Die Dimension des Ganzen macht mich schon nervös», so von Känel. Das vermehrte Training in letzter Zeit hat die beiden Ausnahmeathleten zusammengeschweisst. Sie kennen einander gut und haben ein positives Gefühl, bereit, die Grenzen des Machbaren ein Stück weit zu verschieben.
«Wir freuen uns auf das bevorstehende Abenteuer und hoffen, dass wir am Schluss noch Freunde sind», sagt Peter von Känel zum Schluss mit einem Augenzwinkern.
Das Projekt kann im Livetracking verfolgt werden: www.xpeaks.ch/live-tracking">https://www.xpeaks.ch/live-tracking
Die 10 Regeln
• Gemeinsam auf allen 82 4000ern der Alpen stehen und dies mittels Selfies dokumentieren
• Zeitfenster: Maximal 72 Tage, ab 8. Juni 2024
• Fortbewegung nur zu Fuss oder per Gleitschirm, andere Transportmittel wie beispielsweise Seilbahnen, Fahrräder usw. sind nicht erlaubt
• Eigenständigkeit bezüglich Material. Kein Materialaustausch während der Tour, ausser 1:1 Ersatz bei Defekten
• Kein Begleitfahrzeug
• Benützung existierender Unterkünfte und Biwaks
• Start vom Zuhause in Frutigen, Ziel in Frutigen
• Kontinuierliche Anpassung der Taktik und der Route in Abhängigkeit der Bedingungen und der Verfassung
• Bei Schlechtwetter länger als fünf Tage: Möglichkeit, zur temporären Heimreise per ÖV, bei Wetterbesserung Anreise mit ÖV zum Ausgangsort und Fortsetzung des Abenteuers
• Projektabbruch bei Verletzung, Krankheit oder Aussichtslosigkeit
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