«Abzocke» oder Win-Win?
19.01.2024 SportWINTERSPORT Für ihr dynamisches Preismodell erntet die Bergbahnen Adelboden-Lenk (BAL) AG saftige Kritik. Man wirft ihr vor, durch die Hintertür Tarife zu erhöhen und das Wetterrisiko auf ihre Kunden abzuwälzen. Was ist daran?
BIANCA HÜSING
WINTERSPORT Für ihr dynamisches Preismodell erntet die Bergbahnen Adelboden-Lenk (BAL) AG saftige Kritik. Man wirft ihr vor, durch die Hintertür Tarife zu erhöhen und das Wetterrisiko auf ihre Kunden abzuwälzen. Was ist daran?
BIANCA HÜSING
Wenn es um Verbraucherpreise geht, sind die Schlagzeilen schnell gemacht und das Leser-Feedback ist garantiert. Schon Monate vor der effektiven Einführung des «Dynamic Pricing» in der Skiregion Adelboden-Lenk zitierte «BärnToday» eine Konsumentenschützerin mit der These, diese Art von Buchungssystem sei intransparent und diene den Unternehmen dazu, ihre Preise unbemerkt zu erhöhen. Vor wenigen Tagen doppelte das Newsportal nach und titelte: «88 Franken für einen Skitag? Skifahrer ärgern sich über dynamische Preise». Konkret ging es um einen einzigen Tag, den 29. Dezember. Wer an diesem Datum zwischen den Feiertagen spontan Ski fahren wollte, musste 88 Franken zahlen – und damit 18 Franken mehr als im Vorjahr. Damals kostete das Tagesticket fix 70 Franken. An den übrigen Tagen der Altjahrswoche 2023 lag der Preis heuer bei 75 Franken aufwärts. In den Onlinekommentaren wirft man den Bergbahnen deshalb «Abzocke» und «Geldgier» vor.
Januar-Durchschnitt bei 68,85 Franken
Schaut man jedoch etwas genauer hin, relativiert sich dieser Vorwurf. Hätte man das Ticket für den 29. Dezember 2023 bereits drei Monate im Voraus gebucht, so hätte man 63 Franken bezahlt. Am ersten Weihnachtstag hätte man sogar für 59 Franken Skifahren können. Kern des neuen Preismodells der Bergbahnen Adelboden-Lenk (BAL) AG ist nämlich ein Frühbucherrabatt: Wer seine Tickets im Voraus kauft, kommt günstiger weg als Kurzentschlossene. Im Gegenzug trägt der Frühbucher das Wetterrisiko – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Sind beispielsweise wegen eines Sturms weniger als drei der Hauptanlagen geöffnet, bekommt man sein Geld zurück.
Der Buchungszeitpunkt ist aber nicht der alleinige Faktor, der sich auf den Preis auswirkt. Fast ebenso entscheidend ist die Nachfrage. Und weil die an trüben Werktagen Mitte Januar nicht allzu gross ist, kann man sein Ticket getrost noch auf dem Weg ins Skigebiet bestellen und zahlt trotzdem ein paar Franken weniger als nach dem alten Preismodell. Für den kommenden Samstag – einem vermutlich sonnigen Wochenendtag – kostet das Ticket hingegen 79 Franken.
Im laufenden Monat Januar liegen die Preise im Schnitt bei 68,85 Franken (Stand Donnerstagnachmittag). Für den Februar kosten die Tickets aktuell durchschnittlich 64,27 und für März sogar nur 59,80 Franken (Änderungen aufgrund des dynamischen Systems vorbehalten). Von einer generellen Preiserhöhung kann also kaum die Rede sein.
«Skifahren findet unter freiem Himmel statt»
Trotzdem sind die Reaktionen auf das neue Preismodell harsch. Gemäss der BAL-Kommunikationsverantwortlichen Stefanie Inniger rufen Gäste an, um ihr Unverständnis auszudrücken oder Fragen zur Preisgestaltung zu stellen. Immerhin: Auf die Kundenfrequenzen scheint sich der Unmut bislang nicht auszuwirken. «Unsere Gästezahlen entsprechen dem Fünfjahresschnitt», so Inniger. Den Vorwurf der Intransparenz weist sie entschieden zurück: «Unsere Preise sind im Webshop tagesaktuell und jederzeit ersichtlich, die Preisentwicklung kann mitverfolgt werden und Gäste können in dem für sie passenden Moment buchen.» Dank Frühbucherrabatten könne man im Gegensatz zu früher nun auch «Gäste mit einer tieferen Zahlungsbereitschaft» abholen. Dass mit den günstigen Tarifen das Risiko einhergeht, nachher buchstäblich im Regen zu stehen, ist Inniger durchaus bewusst. «Aber wo hat man das nicht?», fragt sie. «Mit den fixen Preisen, wie wir sie im Vorjahr noch hatten, bezahlten Gäste 70 Franken und waren der Natur ebenfalls ausgesetzt. Skifahren findet unter freiem Himmel statt.»
Mit der Versicherung, die Adelboden-Lenk als erstes Skigebiet der Schweiz kostenlos anbiete, wolle man Gegensteuer geben und wenigstens die Hauptrisiken abdecken. Grundsätzlich seien Frühbucherrabatte und die Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage in vielen Branchen seit etlichen Jahren üblich. Warum gerade die Bergbahnen dafür kritisiert werden, weiss Inniger nicht. Aber: «Ich weiss, dass sich Menschen generell mit Veränderungen schwer tun. Wir stellen fest, dass über dynamische Preismodelle viel falsches Wissen im Umlauf ist. Viele Gäste meinen, dass wir die Preise willkürlich und nach Lust und Laune festsetzen.» In Wahrheit stecke aber ein Algorithmus dahinter, der mit den Besucherzahlen der letzten Wintersaisons gefüttert sei und weitere Faktoren miteinbeziehe.
Umsatzsteigerung in Gstaad
Ganz selbstlos hat die BAL das Dynamic Pricing natürlich trotzdem nicht eingeführt. Hauptziel der neuen Preispolitik ist die bessere Ausnutzung aller Anlagen im Teilgebiet und während der Rand- respektive Nebenzeiten. Dadurch können Bergbahnen ihren Umsatz um bis zu 15 Prozent erhöhen – so zumindest prognostizieren es die Anbieter solcher Systeme. Die Bergbahnen Destination Gstaad AG hat bereits eine erste Saison mit Dynamic Pricing hinter sich und spricht bereits von einer Umsatzsteigerung um 5 Prozent, die auf das neue System zurückzuführen sei. Auch sei die Akzeptanz in Gstaad von 57 auf immerhin 63 Prozent gestiegen.
In Adelboden ist es für derlei Bilanzen noch zu früh. Doch erste Anpassungen in Sachen Kundenverhalten stellt die BAL AG bereits heute fest. «Wir spüren, dass aktuell schon mehr Gäste als noch zu Beginn der Saison ihre Tickets vor dem eigentlichen Skitag buchen. Es ist aber immer noch so, dass aktuell rund zwei Drittel der Gäste sehr kurzfristig oder am Skitag selbst das Ticket kaufen», sagt Stefanie Inniger. Gäste würden vor allem dann früh buchen, wenn sie länger als einen Tag blieben und der Besuch in die Hochsaison falle. «Beispielsweise hatten wir per 31. Dezember 2023 bereits sehr viel mehr Tickets für den Februar 2024 verkauft als noch in den Vorjahren.»
KOMMENTAR
Keine Sozialbetriebe
Fast überall bestimmen Nachfrage und Qualität das Angebot. Ein Produkt ist umso teurer, je begehrter und hochwertiger es ist. Wer ein Stück Fleisch vom edlen Kobe-Rind essen will und es sich leisten kann, legt dafür schnell mal 300 Franken auf den Tisch. Und wer unbedingt zu Ostern spontan verreisen möchte, zahlt eben das Doppelte fürs Bahnticket. Das sind die Spielregeln des freien Markts – und ausgerechnet für Bergbahnen sollen sie nicht gelten? Ja, man kann Pech haben und einen Tag mit Nebel und Niederschlag erwischen. Das gehört zu den Risiken des Frühbuchens, die sonst auch überall akzeptiert werden. Ganze Sommerferien fallen manchmal ins Wasser. Hotelbetten sind an beliebten Tagen entweder ausgebucht oder teuer. Kommen Reisende deshalb auf die Idee, Hotelbetreibern Habgier vorzuwerfen? Bei vielen Onlinekommentaren zum Thema bekommt man den Eindruck, Bergbahnen seien quasi Sozialbetriebe, die Familien günstiges Skifahren ermöglichen müssen. Doch das sind sie nicht: Bergbahnen sind Wirtschaftsunternehmen mit laufenden Kosten. Sie stellen jeden Tag ihre Anlagen und ihr Personal bereit, auch bei Regen und in der Nebensaison. Dass sie die Anlagen besser auslasten und die Planbarkeit erhöhen wollen, ist deshalb verständlich.
Bei der aufgeregten Diskussion zeigt sich vor allem eines: Die Preise sind dynamisch – dem Menschen dagegen fehlt manchmal die Flexibilität, sich auf Neues einzustellen.
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH