Allergien übers Kreuz
21.06.2024 GesundheitAls wäre eine Allergie auf Bäume, Gräser oder Sträucher nicht schon genug, kommt oft noch eine Nahrungsmittel unverträglichkeit hinzu. Verantwortlich dafür sind meist botanische Verwandtschaften zwischen den Auslösern. Typische Symptome sind ein ...
Als wäre eine Allergie auf Bäume, Gräser oder Sträucher nicht schon genug, kommt oft noch eine Nahrungsmittel unverträglichkeit hinzu. Verantwortlich dafür sind meist botanische Verwandtschaften zwischen den Auslösern. Typische Symptome sind ein unangenehmer Juckreiz sowie Schwellungen im Mund- und Rachenbereich.
Wenn das Immunsystem auf gleiche oder ähnliche Allergene aus verschiedenen Quellen überempfindlich reagiert, handelt es sich um eine Kreuzallergie. Wer zum Beispiel bereits auf Birkenpollen allergisch ist, kann im Laufe der Zeit auch eine Apfel- oder Nussallergie entwickeln. Diese Reaktionen gehören zu den am häufigsten auftretenden Lebensmittelallergien im Erwachsenenalter und stehen meist in engem Zusammenhang mit einer zugrunde liegenden Pollenallergie. Die gleichzeitige Reaktion auf Birken-, Erlen- oder Haselpollen und auf Obst, Gewürze oder Nüsse nennt sich im medizinischen Fachjargon «pollenassoziierte Lebensmittelallergie».
Wenn sich nach dem Verzehr roher Lebensmittel ein lästiges Kribbeln am Gaumen, Brennen und Juckreiz oder gar eine Schwellung unangenehm im Mundbereich bemerkbar machen, sind dies die typischen Symptome einer durch Pollen vermittelten Nahrungsmittelallergie. Ihre Symptome können je nach Art und Schweregrad der Kreuzallergie variieren und klingen meist rasch wieder ab. In seltenen Fällen können ein allergisches Asthma, Hautreaktionen, Durchfall und Erbrechen oder – bei sehr starken Reaktionen – ein Blutdruckabfall und ein allergischer Schock auftreten.
Warum hat es der Apfel mit der Birke?
Wenn bestimmte Stoffgruppen in Lebensmitteln jenen der Pflanze ähneln, die für die ursprüngliche Allergie verantwortlich ist, können diese eine Nahrungsmittelallergie als zweite Reaktion begünstigen. Bei vielen Allergikern erfolgt die ursprüngliche Sensibilisierung über Birkenpollen. Das Protein «Bet v1» gehört zu einer im Pflanzenreich weit verbreiteten Gruppe stark allergener Eiweisse und gilt als potenter Auslöser von Kreuzallergien. Rund 70 Prozent der Birkenpollenallergiker sind davon betroffen. Die Birke (lateinisch: Betula) als Mutterpflanze ist Namensgeberin für diese Proteinfamilie. Bekannte Träger dieser Eiweisse sind sehr häufig verschiedene Apfelsorten sowie der Sellerie, die Haselnuss, die Karotte, die Erdnuss, die Kiwi oder die Kirsche. Zirkulieren also im Körper eines Allergikers bereits Antikörper gegen Birkenpollen, ist in der Folge auch eine Apfelallergie möglich.
Woher kommen diese Allergene?
Pflanzen produzieren nebst den für sie lebenswichtigen Bau- und Nährstoffen eine Vielzahl sogenannter sekundärer Pflanzenstoffe. Dazu gehören beispielsweise Duftstoffe zur Anlockung von Insekten, ätherische Öle oder Bitterstoffe zur Fernhaltung von Frassfeinden sowie Proteine, die als Antwort auf Stressfaktoren der Umwelt gebildet werden. Es wird vermutet, dass die Eiweisse der «Bet v1»-Familie für Pflanzen eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Bakterien und Pilzen spielen.
Die durch den Klimawandel zunehmend wärmeren Temperaturen führen zu einem früheren Blütebeginn und ermöglichen auch eine längere Blütezeit. In den Städten reagieren insbesondere die Bäume auf Feinstaub, Trockenheit sowie erhöhtes CO2 mit einer verstärkten Produktion aggressiverer Pollen. «Birken in der Stadt haben doppelt so viele Allergene wie Birken auf dem Land», erläutert Prof. Peter Schmid-Grendelmeier, Leiter der Allergiestation am Universitätsspital Zürich in einem Gespräch mit der «NZZ» im April 2024.
Wie kann man trotzdem geniessen?
Da pollenassoziierte Nahrungsmittelallergien oft «nur» unangenehme, jedoch nicht schwere allergische Reaktionen auslösen, muss ein Lebensmittel nicht unbedingt komplett vom Speiseplan verbannt werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, nicht gänzlich auf einen knackigen Apfel, Obst oder Nüsse verzichten zu müssen. Dabei spielen die Zubereitung, die Wahl der Sorte und die konsumierte Menge eine Rolle. Geriebene und etwas angebräunte Äpfel verlieren einen Teil ihrer aggressiven Eiweisse, gewisse Allergiker vertragen Äpfel ausserhalb der Birkenpollensaison besser und Mandeln können geschält ohne Probleme gegessen werden. Wichtig beim Ausprobieren ist, genau auf den Körper zu hören und die Stärke sowie Dauer der Reaktionen zu beachten. Die auslösenden Eiweisse sind hitzeempfindlich und nach dem Kochen oder Backen problemlos zu vertragen. Ebenso kann Obst oder Gemüse geschält besser toleriert werden, zudem kann die Kombination mit fett- und eiweissreichen Speisen helfen, mögliche Reaktionen zu mildern. Damit zukünftig auch Menschen mit einer Apfelallergie sorglos in einen Apfel beissen können, haben Wissenschaftler in einer mehrjährigen Forschungsarbeit zwei allergikerfreundliche Apfelsorten mit einem geringen Allergengehalt selektiert.
Mit Äpfeln Birkenpollenallergien behandeln?
Professor Dr. Norbert Reider von der Universitätsklinik Innsbruck hatte die Idee, aus der Not eine Tugend zu machen und Birkenpollenallergien mit Äpfeln zu kurieren. Mittels eines Hauttests wird geprüft, wie stark die Reaktion auf einzelne Sorten ausfällt. Danach werden die Sorten ausgewählt und die Menge der täglich konsumierten Menge langsam bis zu einem ganzen, hochallergenen Apfel pro Tag gesteigert. Anschliessend dauert die Therapie acht Monate. Am Ende der Studie berichteten die Probanden, weniger unter juckenden Augen und Niesreiz bei der Birkenallergie zu leiden.
BEAT INNIGER OFFIZIN-APOTHEKER FPH, ADELBODEN
Birke und Apfel – 70 Prozent der Birkenpollenallergiker entwickeln auch eine Nahrungsmittelallergie.
QUELLE: UNSPLASH / PIXABAY / MONTAGE: BEAT INNIGER
Feuer im Mund – Rüebli gehören zu den häufigen Auslösern von Nahrungsmittelallergien. QUELLE: PIXABAY / MONTAGE: BEAT INNIGER
Apfelkuchen – gekocht oder gebacken können auch Allergiker Äpfel geniessen
QUELLE: PIXABAY UND FREEPIK.COM
A LLERGIE ODER NICHT?
Die Reisallergie ist vor allem in asiatischen Ländern verbreitet. Hier führt aber nicht der Reis zu einer Allergie, sondern die Beilagen oder die verwendeten Saucen und Gewürze. Bekannt sind jedoch Reisallergien bei berufsbedingtem, regelmässigem Kontakt mit rohem Reis.
Handyallergie: Einzelne Fälle von Hautausschlägen an den Händen, der Wange und am Ohr liessen sich auf Nickel, ein stark allergenes Metall in Teilen der Gehäusehülle der benutzten Mobiltelefone zurückführen.
Schweissallergie: Rötungen, Ausschläge und Juckreiz beim Schwitzen sind keine klassische Allergie, sondern eine Reaktion der Haut auf Stress, Hitze und Feuchtigkeit. Dies führt zu einem leichten Anstieg der Körpertemperatur und dabei wird, wie bei echten Allergien, der Botenstoff Histamin ausgeschüttet.
Die Sonnenallergie ist ebenfalls keine echte Allergie, sondern eine Reaktion der Haut auf eine hohe UVA-Bestrahlung, oft auch im Zusammenhang mit Sonnencreme, welche die Poren verstopft («Mallorca-Akne»).
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LEDER A LLERGIE
Zum Thema Lederallergie gibt es einen alten Witz:
«Ein junger Mann meint zu seinem Kollegen: ‹Du, ich glaube ich habe eine Lederallergie.› ‹Wie kommst du denn plötzlich darauf?› ‹Nun, in letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass ich immer Kopfschmerzen habe, wenn ich morgens mit den Schuhen an den Füssen im Bett erwache.›»
Auch wenn es wohl keine Lederallergie ist, an der der junge Mann leidet: Grundsätzlich existiert so etwas. Die Lederallergie zählt zu den Kontaktallergien, ausgelöst wird sie jedoch nicht durch das Leder an sich, sondern durch Chromat, das beim Gerben eingesetzt wird. Viele Hersteller bieten heute pflanzlich gegerbtes Leder an.
BI
Zellen, die sich Allergien merken
Kürzlich berichteten kanadische und dänische Forscher über eine bahnbrechende Entdeckung. Sie fanden einen neuen, einzigartigen Zelltyp des Immunsystems, der die Fähigkeit hat, sich an Allergien zu erinnern. Kommen zum Beispiel Nussallergiker erneut mit dem auslösenden Allergen in Kontakt, erzeugt das Immunsystem rasch eine grosse Menge allergieauslösender Antikörper. Bei Nichtallergikern zirkuliert, wenn überhaupt, eine weit tiefere Menge dieser Zellen im Blut. Für die weitere Forschung eröffnen sich damit neue Ziele in der Allergiebehandlung. Nahrungsmittelallergiker können wegen dieser grundlegenden Entdeckung hoffen, dereinst von einem neuartigen, zielgerichteten Medikament zu profitieren. Jedoch wird der Weg für die Forscherinnen und Forscher bis dahin noch lang und spannend werden.
BEAT INNIGER