An der Basis tut sich was
23.02.2024 WirtschaftLANDWIRTSCHAFT Langsam schwappt der europäische Protest auch auf die Schweiz über. Hierzulande agieren die Bauern aber deutlich zurückhaltender – und bisher ohne offizielle Unterstützung ihrer Verbände. Für heute Abend sind im Kanton Bern fünf ...
LANDWIRTSCHAFT Langsam schwappt der europäische Protest auch auf die Schweiz über. Hierzulande agieren die Bauern aber deutlich zurückhaltender – und bisher ohne offizielle Unterstützung ihrer Verbände. Für heute Abend sind im Kanton Bern fünf Versammlungen geplant. Was sagt Nationalrat Ernst Wandfluh dazu?
BIANCA HÜSING
Lahmgelegte Autobahnen, riesige Traktorkolonnen, brennende Heuballen – mit solchen Bildern machen Europas Bauern zurzeit auf sich aufmerksam. Obwohl sie zu ähnlichen Mitteln greifen wie Klimaprotestler, zeigt die Bevölkerung mehrheitlich Verständnis. Selbst radikale Aktionen wie das Aufstellen symbolischer Galgen oder die Blockade einer Fähre, mit der der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck anlegen wollte, änderten bislang kaum etwas an der grundsätzlichen Sympathie gegenüber den LandwirtInnen und ihren Anliegen. Auf politischer Ebene trägt ihr Protest sogar Früchte: In Italien, Deutschland und auf EU-Ebene wurden geplante Kürzungen oder Umweltauflagen zumindest teilweise wieder zurückgenommen.
Trotz dieser aus Bauernsicht ermutigenden Bilanz geht es in der Schweiz vergleichsweise ruhig zu. Zwar fanden hier in den vergangenen Wochen vereinzelte Protestaktionen statt. In ihren Dimensionen und vor allem in der Wahl der Mittel waren sie aber deutlich bescheidener als bei den europäischen Nachbarn. Wenn sich Landwirte mit Traktoren versammelten, so taten sie dies am Strassenrand, sodass niemand blockiert wird. Auf Aktionen wie das Anzünden von Strohballen wurde komplett verzichtet.
Gut verankert im Parlament
Diese Zurückhaltung ist zum einen wohl eine Mentalitätsfrage: SchweizerInnen neigen gemeinhin nicht zur Radikalität. Zum anderen räumt selbst der grösste Branchenverband ein, dass seine Zunft hierzulande besser dran ist als im Ausland: «Der Unterschied in der Schweiz ist, dass die Anliegen der Landwirtschaft im Parlament oft Gehör finden. Bei uns hat das Parlament einiges verhindert oder zumindest abgeschwächt, was betreffend Landwirtschaft auf den Tisch kam», schrieb der Schweizer Bauernverband (SBV) Ende Januar in einer Medienmitteilung. Womöglich auch, um dieses Verhältnis nicht zu gefährden, organisiert der SBV keine Proteste. Er unterstützt sie auch nicht offiziell, sondern setzt lieber auf eine Petition, die er kürzlich mit 65 000 Unterschriften eingereicht hat. Darin fordert der Verband eine Erhöhung der Produzentenpreise sowie den Verzicht auf weitere Umweltauflagen und Kürzungen.
Doch nur zwei Tage später kündigte der Bundesrat ein Sparprogramm an, das unter anderem auch die Landwirtschaft treffen könnte. Die Reaktion des SBV folgte unverzüglich: Man werde sich «mit allen Mitteln» dagegen wehren. Ob zu diesen Mitteln zentral organisierte Demonstrationen gehören, ist indes zu bezweifeln.
Traktor-Mahnwache auf der Guntelsey
Für den ausserparlamentarischen Protest fühlen sich derzeit andere zuständig. In mehreren Kantonen hat die Basis selbst das Zepter in die Hand genommen und kleinere, dezentrale Aktionen geplant oder schon durchgeführt. In Bern hat sich ein loses Bündnis namens «Bauern Bern» formiert, dem nach eigenen Angaben 3000 LandwirtInnen angehören. Unter dem Motto «Weckruf» plant die Gruppierung für heute Abend fünf «stille Mahnwachen» an unterschiedlichen Orten des Kantons. Unter anderem auf der Thuner Guntelsey, wo nebst Nationalrat Thomas Knutti (SVP) auch ein Vertreter des Berner Bauernverbands sprechen wird. Ihre Forderungen klingen ähnlich wie die des SBV: mehr Wertschätzung, weniger Bürokratie und gerechtere Preise. Auch in ihrer Haltung zu angemessenen Protestformen unterscheiden sich die «Berner Bauern» nicht vom SBV. «Unseren Unmut bringen wir zum Ausdruck, ohne dass wir die Bevölkerung behindern wollen», betonen die Organisatoren.
«Wir sitzen alle im selben Boot»
Der Kandergrunder Landwirt und Nationalrat Ernst Wandfluh (SVP) hat von den geplanten Aktionen mitbekommen, allerdings «nur am Rande», wie er sagt. Fragt man ihn, was er davon hält, äussert er sich diplomatisch. «Ich habe grosses Verständnis für alle unzufriedenen Bauernfamilien, die unter strengen Bedingungen wirtschaften müssen und teilweise nicht wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen», sagt er einerseits. Auf der anderen Seite aber will er die Landwirtschaft nicht so stark hervorheben. Beizern, Lädelibesitzern und anderen KMU gehe es schliesslich genauso: «Wir sitzen alle im selben Boot.»
«Ohne Tumulte und Behinderung»
Was aber bedeutet das für Wandfluhs Beurteilung der Mahnwachen und anderer Protestformen? «Grundsätzlich finde ich es schon gut, wenn auf die Probleme in unserer Branche aufmerksam gemacht wird. Wichtig ist aber, dass das ohne Tumulte und ohne Behinderung unbeteiligter Bürger passiert.» Da eine Radikalisierung zumindest auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist, hat der Kandergrunder Politiker im Prinzip nichts gegen die Aktionen der «Bauern Bern». Aktiv daran beteiligen würde er sich aber nicht.
Funktionierender Fleischmarkt
Er selbst betrachtet es als zielführender, sich auf politischer Ebene für die Forderungen der Landwirte starkzumachen. Und dafür sitzt er als Nationalrat durchaus am richtigen Ort. Auf das Hauptproblem der Branche – dem Preisdiktat der Marktwirtschaft im Grunde ausgeliefert zu sein – hat das Parlament zwar keinen Einfluss. Das sei auch gut so, findet Wandfluh. «Die Politik sollte nicht in den Markt eingreifen. Aber sie kann dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen nicht noch schlechter werden.» Mit Rahmenbedingungen meint er zum Beispiel Steuern, Krankenkassenprämien, die Höhe der Direktzahlungen und die gesetzliche Vorgaben. «Die Fixkosten – vor allem in der energieintensiven Milchwirtschaft – steigen laufend und der Verwaltungsaufwand wird immer grösser.» Zumindest an diesen Stellschrauben möchte Wandfluh drehen und hat bereits einige Motionen in Vorbereitung. Ins Detail will er dazu allerdings noch nicht gehen.
Was die Preise angeht, so kann Wandfluh höchstens auf der Ebene Vieh- und Fleischmarkt etwas bewirken. Erst letzten Dienstag war er in Luzern, um mit Branchenvertretern und Abnehmern zu verhandeln. «Es ging um Details wie Zuschläge und Abzüge bei den Wochenpreisen. Trotz langer Vorbereitung und respektvoller Diskussionen sind wir aber noch zu keiner Einigung gekommen.» Davon abgesehen sei der Fleischmarkt aber einer der wenigen funktionierenden Märkte der Branche – ganz im Gegensatz zum Milchmarkt, auf dem zahlreiche Akteure mitmischen und diverse Faktoren im In- und Ausland die Preise drücken. Für dieses Problem hat Wandfluh denn auch keine Patentlösung parat.