Belle Epoque: An diesem Sonntag stimmte alles
24.01.2023 KanderstegEs gab Schnee, sogar auf den Strassen und den Trottoirs. Es war kalt, jedoch ohne bissigen Wind. Ab und zu lichteten sich die Wolken, sodass die majestätische Blümlisalp hervorlugte. Viele Personen waren passend zum Zeitgeist von vor gut 100 Jahren gewandet, von noch viel mehr ...
Es gab Schnee, sogar auf den Strassen und den Trottoirs. Es war kalt, jedoch ohne bissigen Wind. Ab und zu lichteten sich die Wolken, sodass die majestätische Blümlisalp hervorlugte. Viele Personen waren passend zum Zeitgeist von vor gut 100 Jahren gewandet, von noch viel mehr ZuschauerInnen in «normaler» Kleidung b estaunt. Kurz gesagt: Der Auftakt zur 13. Belle-Epoque-Woche in Kandersteg ist gelungen.
KATHARINA WITTWER
«Ihr alle habt auf Bundesrat Albert Rösti gewartet, denn im Programm steht: ‹Eröffnungsrede eines bundesrätlichen Gastes – lassen Sie sich überraschen!›, u itz isch nume ds Döfi cho.» Mit diesen Worten zog Adolf Ogi alle Anwesenden, die Berndeutsch verstanden, in seinen Bann. Umgehend lieferte er die Erklärung, weshalb nicht der neue Bundesrat mit Kandersteger Wurzeln die Eröffnungsrede halte: «Neue Bundesräte haben 100 Tage Schonfrist, damit sie sich in aller Ruhe auf ihre schwierige Aufgabe vorbereiten können. Diese wollen wir Albert Rösti geben!»
Was folgte, war eine wahre Lobhudelei auf seine Heimat, die nach Ogis Meinung als Wiege mehrerer Wintersportarten gelten kann. Passend dazu hatte der alt Bundesrat sich auch gekleidet: in einer Skispringerausrüstung von anno dazumal.
Um die Briten zu ehren, begann Ogi seine Rede in englischer Sprache. «Sie kamen zu uns und liessen sich von unseren Vorfahren auf die Berge führen. Sie brachten uns bei, was Curling und Eis(kunst)laufen ist. Dass Skispringen den Weg zuhinterst ins Tal gefunden hat, ist ebenfalls ihnen zuzuschreiben. Nicht zu vergessen die Scouts (Pfadfinder), die gekommen und geblieben sind.»
«Dieses Flecklein Erde ...»
Vieles spielte sich auf der Bahnhofmatte ab. «Auch heute stehen wir neben oder auf der Eisbahn am gleichen Ort», so der einstige Magistrat. Die Geschichte dieses Fleckleins Erde sei ein Spiegel des Wintertourismus. In der Nähe des heutigen Autoverlads hätte es einst zwei Sprungschanzen gegeben, erzählte Ogi. Von der kleinen flogen Mutige bis 30 Meter weit, von der grossen 65 Meter. «Wir Buben sprangen von der kleinen Schanze und konnten vor dem Tunnel, der unter den Bahngeleisen durchführt, abschwingen. Die grosse Schanze war den ‹Grossen› vorbehalten. Nach der Landung fuhren sie durch den Eisenbahntunnel und schwangen schliesslich auf der Bahnhofmatte ab», erzählte der feurige Redner. Für Autos wurde damals die Durchfahrt gesperrt. Den Schnee schaufelten kräftige Männer in den Tunnel, zur Sicherheit der Springer wurde an den Tunnelwänden je ein Strohballen platziert – sofern welche aufzutreiben waren.
«... würde einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde verdienen»
Ruedi Felber, Mitglied des Skiclubs Kandersteg, wurde 1939 Skisprung-Schweizermeister in Unterwasser. Auch er trainierte hier auf der grossen Schanze, auch er fuhr durch den Tunnel und auch er schwang auf dem Bahnhofplatz ab.
Schweizermeisterschaften und weitere Wettkämpfe wurden im Blümlisalpdorf ausgetragen. Unter anderem die vom einstigen Adelbodner Kurdirektor und Nationalrat Fred Rubi initiierten Oberländer Skisprungwochen. Sie begannen in Kandersteg, fanden ihre Fortsetzung in Adelboden und an der Lenk und endeten in Gstaad.
Grund für das vorläufige Ende der «Belle Epoque des Skispringens» war der Bau des Autoverlades. Die Schanzen mussten weg. «Abschwingen auf dem Bahnhofplatz» war Geschichte. «Diese weltweite Einmaligkeit würde eigentlich einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde verdienen», sinnierte Ogi.
Bekanntlich wird der Skisprungsport in Kandersteg seit rund zehn Jahren wieder aktiv betrieben. Dafür sorgen die vier modernen Schanzen in der Swisscom Nordic Arena «uf em Büel». Aktuell trainerten dort regelmässig gegen 100 junge Leute, vernahmen die Anwesenden.
Schon länger wird Kandersteg im Winter mit Langlauf gleichgesetzt. In dieser Sportart brachten es Einheimische weit, Kilian Ogi beispielsweise belegte 1935 an der Weltmeisterschaft in der Hohen Tatra (damals Tschechoslowakei) über 50 Kilometer den 5. Rang. Über die gleiche Distanz errang Edi Schild an den Olympischen Spielen 1948 in St. Moritz den 6. Platz. Ausdauer über eine lange Distanz wünschte Adolf Ogi schliesslich auch dem zweiten Bundesrat aus Kandersteg, Albert Rösti.
Annemarie Kempf Schluchter, die Präsidentin des Vereins Belle Epoque, hatte sich von Adolf Ogi gewünscht, dass er zur Eröffnung über die Geschichte des Wintersports in Kandersteg referiert. Dieser Bitte ist Ogi in vollem Umfang nachgekommen.