«Arena» in der Kanderarena
30.08.2024 PolitikMÜLENEN Die Kreiskommission des Berner Bauernverbands und die Bauernvereinigung Frutigland hatten zu einem hochkarätig besetzten Podium geladen. Die Diskussionsrunde, moderiert von Sandro Brotz, zeigte auf, wo bei der anstehenden Abstimmung zur Biodiversität die Probleme ...
MÜLENEN Die Kreiskommission des Berner Bauernverbands und die Bauernvereinigung Frutigland hatten zu einem hochkarätig besetzten Podium geladen. Die Diskussionsrunde, moderiert von Sandro Brotz, zeigte auf, wo bei der anstehenden Abstimmung zur Biodiversität die Probleme liegen – und warum selbst ihre Befürworter sich damit schwertun.
Mark Pollmeier
Den Auftakt machte der für Umweltfragen zuständige Bundesrat Albert Rösti. In seinem Input-Referat variierte er eine Rede, die er so ähnlich auch schon im Parlament gehalten hatte. Die Biodiversitätsinitiative berühre mehrere Politikbereiche: Förderung der Artenvielfalt, Orts- und Landschaftsschutz, Energieproduktion, Klimaschutz, Ausbau der Infrastruktur. Alle diese Bereiche seien für sich genommen wichtig und hätten ihre Berechtigung. Aber, so Rösti: «Alles können wir nicht machen.»
«Eine Glocke über die Schweiz»
Für den Bundesrat sei die Biodiversität ein wichtiges Anliegen und er nehme auch die Warnungen der Wissenschaft ernst. Deshalb tue die Schweiz und insbesondere die Landwirtschaft auch heute schon viel für die Artenvielfalt. Die Sorge des Bundesrats sei aber, dass es bei Annahme der Initiative noch schwieriger werde, etwas zu realisieren. Derzeit sei bei Bau- und Infrastrukturprojekten noch eine Abwägung zwischen Nutzen und Schutz möglich. Mit der Initiative und der Ausweitung des Schutzgedankens «würden wir quasi eine Glocke über die Schweiz stülpen». Damit schütze man zwar die Heimat und die Landschaft, «was ein absolut hehres Anliegen ist» – aber die Entwicklung werde dann sehr, sehr schwierig.
Rösti sprach insbesondere den Kerngehalt der Schutzwerte an, der laut Initiativtext «ungeschmälert zu erhalten» sei. Das sei ein sehr schwammiger Begriff – niemand wisse heute genau, was das eigentlich bedeuten solle. Röstis Prognose: «Am Ende werden die Gerichte im Einzelfall darüber entscheiden müssen, was zum Kerngehalt gehört und was nicht.»
Vermischte Themenbereiche
Damit war ein grundsätzliches Problem der Initiative benannt: Was würde die Umsetzung – vor allem der stärkere Schutz von Landschaften und Ortsbildern – konkret bedeuten? Mit dieser Frage hadern selbst jene, die das Grundanliegen des Vorstosses eigentlich unterstützenswert finden.
Einer von ihnen ist Nationalrat und Parteipräsident Jürg Grossen (GLP). Seine Partei hat gerade die Ja-Parole beschlossen – Grossen selbst ist gegen die Initiative. Ihn störe, dass in der Initiative zwei Themenbereiche vermischt werden, die eigentlich nicht zusammengehören: die Förderung der Biodiversität und der Orts- und Landschaftsschutz. Er sei überzeugt, dass man für die Biodiversität mehr machen müsse. Dass aber im Bau- und Energiebereich weitere Beschränkungen zu erwarten seien, könne er nicht unterstützen. Schon jetzt könne man, gerade im ländlichen Bereich, an Gebäuden kaum etwas machen. Und wenn die Initiative dann auch noch den Ausbau erneuerbarer Energien behindere, also zwei wichtige Anliegen gegeneinander ausgespielt würden, könne er dazu nur Nein sagen.
Vertrauen ins Parlament
Moderator Sandro Brotz konfrontierte die Initiativbefürworterin Andrea Zryd mit diesem Konflikt. Die SP-Nationalrätin wies darauf hin, dass für die konkrete Ausgestaltung das – bürgerlich geprägte – Parlament zuständig sei. Sie mache sich keine Sorgen, dass der Bereich Heimatschutz dabei überbetont werde. Für sie sei entscheidend: Die Biodiversität sei unter Druck, das Artensterben sei real, und diesen Umstand gewichte sie höher. Deshalb sei sie, bei aller Kritik, die man daran vorbringen könne, für die Initiative.
«Das wäre heute nicht mehr möglich»
Ernst Wandfluh nahm in der Runde den Blick der Landwirtschaft ein – und die habe in den letzten Jahren enorm viel für die Biodiversität gemacht. Er sehe die Biodiversität auch nicht so stark gefährdet wie seine Vorrednerin. Auch Wandfluh kritisierte die Beschränkungen, die im Baubereich schon jetzt vorhanden seien. Eine gewisse Entwicklung müsse doch möglich bleiben. Wandfluh erwähnte die Erschliessung der Alpschaft Ueschinen mit Wasser und Strom. «Ein solches Projekt wäre nach Annahme der Initiative nicht mehr möglich, davon bin ich überzeugt.»
Grünen-Nationalrätin Irène Kälin stimmte Ernst Wandfluh zu: Ja, gerade in der Berglandwirtschaft und bei der Waldbewirtschaftung werde schon viel für die Biodiversität getan, dafür sei sie dankbar. Aber die Realität zeige eben: Es reiche offenbar nicht. Kälin skizzierte die Schäden, die aufgrund der schwindenden Biodiversität schon jetzt sichtbar seien. «Das ganze Ausmass haben einige noch nicht erfasst.» Es gehe eben nicht alles von alleine, es brauche dafür Rahmenbedingungen, und die Initiative sei eine davon.
Einmal mehr: die «Ritter-Maschinerie»
Mehrmals thematisiert wurde der viel moderatere Gegenvorschlag, der im Parlament keine Mehrheiten gefunden hatte und den fast alle der anwesenden PolitikerInnen begrüsst hätten – und der auch der Landwirtschaft keine neuen Vorgaben auferlegt hätte. In Anspielung auf den SBV-Präsidenten Markus Ritter (Nationalrat Die Mitte) war dabei spöttisch von der «Ritter-Maschinerie» die Rede, die diesen Entwurf verhindert habe.
Ernst Wandfluh verteidigte die Ablehnung des Gegenentwurfs. Es gehe ja nicht nur um die Bauern, sondern auch um andere Akteure, etwa die Bergbahnen. Auch die habe man im Blick gehabt – «wir im ländlichen Raum müssen zusammenhalten». Aus demselben Grund wollte Wandfluh auch nicht die Landwirtschaft im Berggebiet und jene im Flachland auseinanderdividieren lassen. «Wir sind aufeinander angewiesen und arbeiten gut zusammen.»
Wandfluh und das linke Blatt
Der Anlass in Mülenen zeigte, dass man auch über kontroverse Fragen manierlich streiten kann – was sicher auch daran lag, dass sich die Beteiligten gut oder sogar sehr gut kennen. Die rund 70-minütige Diskussionsrunde kam ohne Polemik aus; man liess sich ausreden, tauschte Argumente aus und klopfte sich auch mal auf die Schulter. Sogar heitere Momente gab es. So zitierte Ernst Wandfluh aus einem Artikel, den er in der linken Wochenzeitung woz entdeckt hatte. «Passen Sie bloss auf, dass man Sie nicht sieht, wenn Sie die woz lesen...», witzelte Moderator Sandro Brotz unter dem Gelächter des Publikums. Apropos Publikum: Bundesrat Albert Rösti bedankte sich in seinem Schlusswort auch bei den zahlreich erschienenen «Studiogästen». Er habe in der letzten Woche an zwei anderen Diskussionsrunden zum selben Thema teilgenommen – mit deutlich weniger Beteiligung als in Mülenen.
«Realistisch beiben und vorwärtsmachen»
Wie er es schon in seinem Eingangsstatement getan hatte, bat Rösti die Anwesenden im Namen des Bundesrats, die Biodiversitätsinitiative abzulehnen. Und wie am Anfang beteuerte er nochmals, die Landesregierung werde weitere Schritte zur Förderung der Artenvielfalt unternehmen. Ein zweiter Aktionsplan Biodiversität mit Fokus auf den Städten sei bereits in Planung.
Bei Jürg Grossen dürfte er dabei offene Türen eingerannt haben. «Neue Verfassungstexte alleine bringen nichts», hatte der GLP-Politiker mit Blick auf die Initiative angemerkt. «Wir müssen dort vorwärtsmachen, wo es realistisch ist und wo wir Mehrheiten zusammenbringen.» Dass dieses «Vorwärtsmachen» auch in den Städten stattfinden müsse, davon waren alle in der Runde überzeugt.
Der Städter auf dem Land
Für den Diskussionsabend hatten die OrganisatorInnen einen prominenten Namen gewinnen können: den Moderator der SRF-»Arena», Sandro Brotz. Es sei doch bemerkenswert, dass man «ausgerechnet einem Städter» das Mikrofon anvertraue, um diese Vorlage zu diskutieren, scherzte Brotz zu Beginn – und bewarb bei der Gelegenheit gleich noch die «echte» Arena zum selben Thema, die am Freitagabend im SRF-Fernsehen ausgestrahlt wird. Die Kanderarena sei allerdings deutlich grösser als jene in Zürich, das müsse er zugeben, so Brotz mit einem Blick in den hohen Raum. POL
Kommentar
«Das weiss heute niemand»
Das Problem vieler Abstimmungsvorlagen ist: Man weiss nicht so recht, was die Folgen wären. Auch die Initiative zur Biodiversität ist so ein Fall. Sie ist sehr offen gehalten und nennt lediglich Ziele. Den Weg zu diesen Zielen müsste im Fall einer Annahme aber das Parlament bestimmen – und was dabei herauskäme, ist heute weitgehend offen.
Eine solche Ausgangslage erschwert die Diskussion, das zeigte sich am Mittwoch auch in der Kanderarena. Selbst der zuständige Bundesrat musste beim einen oder anderen Punkt zugeben, dass er zur Ausgestaltung wenig sagen könne. «Das kommt stark aufs Parlament an», hiess es dann. Oder: «Das weiss heute niemand.»
Diese Unsicherheit führt dazu, dass im Abstimmungskampf jeder alles Mögliche behaupten kann. Würde ein Ja den Bau einer Bergbahn beeinflussen? Wäre ein neuer Weg zur Alperschliessung noch möglich? Solche Detailfragen wurden am Mittwoch vom Publikum gestellt. Die DiskutantInnen gaben zwar Auskunft – aber letztlich waren viele Antworten doch nur Annahmen und Mutmassungen.
Den StimmbürgerInnen bleiben damit zwei Möglichkeiten, und beide sind auf ihre Art unbefriedigend. Entweder sie sagen Ja zur Initiative und hoffen darauf, dass das Parlament es schon richten werde. Oder sie stimmen Nein, weil sie nicht die Katze im Sack kaufen wollen – obwohl sie das grundsätzliche Anliegen vielleicht sogar unterstützen.
Mark Pollmeier