Aufgeheizte Stimmung
26.05.2023 PolitikDie Schweiz steht vor ihrer nächsten Klimaabstimmung. Obwohl die Gesetzesrevision anders als frühere Vorlagen weder Verbote noch Preisaufschläge beinhaltet, wurde dagegen das Referendum ergriffen. Die wichtigsten Argumente von Gegnern und Befürwortern.
...Die Schweiz steht vor ihrer nächsten Klimaabstimmung. Obwohl die Gesetzesrevision anders als frühere Vorlagen weder Verbote noch Preisaufschläge beinhaltet, wurde dagegen das Referendum ergriffen. Die wichtigsten Argumente von Gegnern und Befürwortern.
JULIAN ZAHND
Solange er bloss auf dem Papier steht, ist der Klimaschutz quasi unbestritten. Doch sobald die konkreten Auswirkungen spürbar werden – meist in Form höherer Kosten – bröckelt der Rückhalt. Schmerzlich erfuhren das die politischen Entscheidungsträger vor zwei Jahren: Damals stimmte die Schweiz über das CO2-Gesetz ab. Es sah eine Verminderung des Treibhausgasausstosses vor, etwa durch zusätzliche Abgaben auf Heizöl, Gas oder Flugtickets. Einer knappen Mehrheit der Stimmbevölkerung missfielen diese Eingriffe: 51,6 Prozent lehnten die Gesetzesrevision ab.
Beträge statt Verbote
Das Parlament schien daraus gelernt zu haben. Das Klima- und Innovationsgesetz, das nun vors Volk kommt, setzt auf Anreize statt Abgaben und enthält keine Verbote, aber eine klare Zielvorgabe: Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral sein. Zum einen sollen HausbesitzerInnen beim Wechsel auf klimafreundliche Heizsysteme wie etwa Wärmepumpen finanziell unterstützt werden. Die maximalen Bundesausgaben liegen dafür bei 200 Millionen Franken jährlich, beschränkt auf zehn Jahre. Auch Firmen, die in zukunftsweisende Technologien investieren, würden subventioniert. Zum anderen nimmt die Vorlage Bund und Kantone in die Pflicht, Massnahmen umzusetzen, damit die Bevölkerung vor extremen Wetterereignissen besser geschützt ist. Sollten all diese Anreize nicht ausreichen, um das erklärte Ziel zu erreichen, müsste das Parlament künftig neue, strengere Gesetze erlassen – gegen die wiederum das Referendum ergriffen werden könnte.
Die jetzige Vorlage ist ein indirekter Gegenvorschlag zur «Gletscher-Initiative», die 2019 eingereicht wurde. Diese verlangte unter anderem ein Verbot fossiler Energieträger wie Gas und Öl ab dem Jahr 2050, was Bundesrat und Parlament aber zu weit ging. Die Initianten erklärten sich bereit, ihr Anliegen zurückzuziehen, sollte der indirekte Gegenvorschlag durchkommen.
Danach sah es zunächst auch aus: Das Parlament winkte das Gesetz durch. Wer auf den Kanton Bern blickte, mochte darüber kaum staunen: Hier wird beispielsweise der Ersatz von Öl- oder Elektroheizungen seit 2019 mit rund 10 000 Franken unterstützt. Die entsprechenden baulichen Massnahmen haben sich seither vervielfacht, die Subventionen zeigen somit Wirkung. Initiiert wurde die Förderung von der damaligen BDP (heute Die Mitte), die Zustimmung reichte bis weit ins bürgerliche Lager hinein. So befürwortete auch die kantonale SVP-Fraktion die Förderbeiträge klar.
Vermutlich auch deshalb wähnten sich die Befürworter des nationalen Klimagesetzes auf der sicheren Seite. Doch es kam anders: Die nationale SVP ergriff erfolgreich das Referendum, weswegen das Gesetz nun an die Urne kommt. Sollte die Bevölkerung die Vorlage ablehnen, werden die Initianten der Gletscher-Initiative entscheiden müssen, ob ihr ursprüngliches Begehren doch noch zur Abstimmung gelangen soll.
Das sagen die Gegner
Das Initiativ-Komitee besteht im Wesentlichen aus SVP-Politikern, vereinzelt haben sich aber auch Vertreter anderer bürgerlicher Parteien angeschlossen. Unter den Gegnern befinden sich etwa SVP-Grossrat Ernst Wandfluh (Kandergrund) oder Kurt Zimmermann, früherer Kantonsparlamentarier aus Frutigen, aber auch GastroSuisse-Präsident Casimir Platzer (Kandersteg). Die Kritiker des Gesetzes bemängeln unter anderem, dass es das Pferd von hinten aufzäume. Ihre Forderung: Bevor man sich von herkömmlichen Energieträgern verabschiede, müsse die Versorgung durch die Erneuerbaren gesichert sein. Ansonsten drohe eine Stromlücke und die Schweiz sei auf weitere Importe aus dem Ausland angewiesen. Das Gesetz mache Strom zudem massiv teurer, was Wirtschaft und Privathaushalten zusetze.
Das sagen die Befürworter
Das Ja-Lager hält dem entgegen, dass die Auslandsabhängigkeit durch das Gesetz im Gegenteil reduziert werde. Denn da die Schweiz über keine eigenen Gasoder Öl-Vorkommen verfüge, müsse sie diese fossilen Energieträger vollumfänglich importieren. Im Winter werde auch heute schon ein bedeutender Teil des Stroms vom Ausland bezogen. Das Klimagesetz mache die Schweiz somit unabhängiger. Das Gesetz schaffe ausserdem Anreize, um von ineffizienten Systemen wie etwa Elektroheizungen loszukommen. Dadurch stehe gerade im Winter mehr Energie zur Verfügung, die man beispielsweise für den Betrieb neuer Wärmepumpen benötige. Durch ein verstärktes Engagement in Schutzbauten wappne sich das Land letztlich für die Zukunft, in der es vermehrt zu Hochwassern, Stürmen oder Erdrutschen kommen werde.
Das sagen die Bauern
Der Schweizerische Bauernverband befürwortet das Gesetz, auch der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband sowie die Kleinbauern-Vereinigung stehen hinter der Vorlage. Der Berner Bauernverband hingegen beschloss Stimmfreigabe. Man sieht zwar einerseits die Chance, Fördergelder zu erhalten. Gleichzeitig fürchtet man aber eine Verteuerung fossiler Energieträger, auf welche die Landwirtschaft nach wie vor angewiesen sei.
Auch der Landwirt Ernst Wandfluh wird gegen das Gesetz stimmen. Zwar sei die Landwirtschaft von den anvisierten Reduktionszielen ausgenommen. Im Gesetzesentwurf werden bloss die Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie genannt. Dennoch ist Wandfluh überzeugt: «Auch die Landwirtschaft wird mit höheren Kosten konfrontiert sein.»
Bleibt die Frage, weshalb Wandfluh ein Gesetz ablehnt, das die Natur und damit die Produktionsbasis eines Bauern schützen will. «Dass wir in Erneuerbare investieren und von fossilen Energieträgern loskommen müssen, ist für mich unbestritten», sagt der Kandergrunder dazu. Doch habe sich die Ausgangslage in letzter Zeit verändert, die Versorgungssicherheit sei nicht mehr ohne Weiteres gewährleistet. «Wir sollten die Elektrifizierung daher nicht zu schnell vorantreiben, sondern besonnen vorgehen. Zuerst will ich wissen, woher der zusätzliche Strom genau kommt.» Was die Energieträger angeht, plädiert Wandfluh für Offenheit. Holz-, Wasser- und Solarenergie seien auf jeden Fall sinnvoll. Doch auch von der Atomenergie möchte er sich nicht endgültig verabschieden, sei sie doch, zumindest was die CO2-Bilanz angehe, «sehr sauber».
Das sagt Albert Rösti
Der neue Umwelt- und Energieminister vertritt das Klimagesetz nach aussen, was ihm insbesondere in der eigenen Partei Kritik einbringt. Tatsächlich bekämpfte Albert Rösti 2019 das CO2-Gesetz noch vehement, das Klimagesetz befürwortet er nun aber.
Er sei Teil einer Kollegialbehörde, sagt Rösti dazu. Hinter dem Gesetz könne er aber stehen, da es sich massgeblich vom damaligen CO2-Gesetz unterscheide: «Man setzt diesmal auf Anreize statt auf Abgaben. Auch das erleichtert mir den Rollenwechsel.»
Grundsätzlich glaubt Rösti daran, die drohende Stromlücke schliessen zu können, sofern man den Prozess ernsthaft vorantreibe. Im aktuellen Energiegesetz ist festgelegt, dass die Schweiz bis in gut 20 Jahren 45 Terrawattstunden mehr Strom produzieren muss, was ungefähr dreimal dem Verbrauch der Stadt Basel entspricht. Das gehe kurzfristig nur mit Sonne, Biogas, Wasser und Wind. «Alles andere steht in den Sternen.» Rösti spricht zudem von 15 Wasserspeicherprojekten, auf die sich die Parteien geeinigt hätten und die mittelfristig gebaut werden sollen. Diese Massnahmen, gepaart mit einer gewissen Technologieoffenheit und schnelleren Verfahren, seien nötig, damit man die Stromversorgung auch in Zukunft gewährleisten könne.