Aufstieg und Fall einer populären Idee
11.06.2024 PolitikPolitischen Geschenken stehen die SchweizerInnen skeptisch gegenüber. Das hat sich einmal mehr in der deutlichen Ablehnung der Prämien-Entlastungs-Initiative gezeigt. Dabei hatte es anfangs noch gut ausgesehen.
BIANCA HÜSING
Mittags um 12 Uhr erfolgte ...
Politischen Geschenken stehen die SchweizerInnen skeptisch gegenüber. Das hat sich einmal mehr in der deutlichen Ablehnung der Prämien-Entlastungs-Initiative gezeigt. Dabei hatte es anfangs noch gut ausgesehen.
BIANCA HÜSING
Mittags um 12 Uhr erfolgte die definitive Wende: Just nach der Urnenschliessung war klar, dass die Prämien-Entlastungs-Initiative abgelehnt würde, und zwar deutlich. Dabei hatten die Prognosen wenige Stunden zuvor noch anders ausgesehen. Dass es sehr knapp werden und letzten Endes von den Ständen abhängen könnte, hatte sich zwar abgezeichnet, aber ein Ja galt immer noch als möglich.
Von anfänglicher Umfrage-Euphorie über eine Zitterpartie bis hin zur klaren Schlappe – die SP-Forderung nach einer Deckelung der Krankenkassenbeiträge hat einen langen Weg zurückgelegt. Letztlich führt dieser Weg aber zurück zum «Courant normal».
13. AHV-Rente war eine Ausnahme
SchweizerInnen sind nicht besonders empfänglich für Ideen, die auf den ersten Blick eigentlich gut ankommen müssten. Das eindrücklichste Beispiel dafür ist die «Ferieninitiative» von 2012. Erzählt man deutschen oder französischen KollegInnen, dass eine grosse Mehrheit der Eidgenossen sich selbst keine zusätzliche Ferienwoche gönnen wollte, erntet man Gelächter oder ungläubiges Kopfschütteln. Hierzulande tut man sich allgemein schwer mit solchen politischen «Geschenken», auch wenn man selbst davon profitieren würde. Dabei ist nicht einmal die Urheberschaft der Initiativen entscheidend: Aus allen Lagern wurden bereits Vorstösse abgelehnt, wenn sie allzu populär und dadurch unrealistisch daherkamen. Die SchweizerInnen wissen: Jedes vermeintliche Geschenk muss am Ende bezahlt werden.
Umso grösser war die Überraschung, als die Gewerkschaften im März mit ihrer Forderung nach einer 13. AHV-Rente durchgekommen sind. Unter dem Eindruck globaler Krisen und gestiegener Lebenshaltungskosten haben sich die StimmbürgerInnen diesmal einen finanziellen Zustupf gegönnt. Die Frage, woher der Bund die rund vier Milliarden Franken nehmen soll, war in den Hintergrund gerückt.
Keine Umschweife im Frutigland
Das linke Lager wähnte sich im Hoch, nach diesem Erfolg schien plötzlich alles möglich – auch ein Ja zur Prämien-Entlastungs-Initiative. Die Höhe der Krankenkassenbeiträge gehört zurzeit zu den grössten Sorgen der SchweizerInnen. Entsprechend sah es in den ersten Umfragen tatsächlich noch so aus, als hätte die Vorlage eine Chance. Doch wie bei Volksinitiativen so üblich, bröckelte die Zustimmung mit der Zeit. Die Gegner legten sich diesmal mehr ins Zeug, warnten vor den Kosten eines Prämiendeckels und arbeiteten einen Gegenvorschlag aus. Das Ergebnis: Statt der anfänglich prognostizierten Zustimmung von 56 Prozent kassierte die SP-Initiative eine Niederlage in ebendieser Höhe (genau: 55,47 Prozent).
Während das Resultat auf Bundesebene über Umwege zustande kam, war das Nein im Frutigland von vornherein erwartbar. Alle hier dominanten Parteien hatten die Initiative abgelehnt, ausserdem haben zusätzliche Sozialleistungen – selbst wenn alle davon zu profitieren scheinen – auf dem Land einen schweren Stand. Der Verwaltungskreis lehnte die SP-Vorlage sogar noch deutlicher ab als jene der Mitte (siehe Text unten links) und wich damit vom Bundestrend ab. Das deutlichste Nein kam aus Adelboden (71,5 Prozent), das knappste aus Krattigen (54,4 Prozent).
Gleiche Forderung auf Kantonsebene
Was bedeutet die Ablehnung nun für die Krankenkassenprämien? Diese werden zwar nicht, wie von der SP gefordert, auf zehn Prozent des Einkommens gedeckelt. Trotzdem sollen die BürgerInnen teilweise entlastet werden. Durch das Volks-Nein tritt nun automatisch der indirekte Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament in Kraft. Er verpflichtet die Kantone dazu, künftig einen Mindestbeitrag an die Prämienverbilligungen zu entrichten. Je höher die Gesundheitskosten in einem Kanton sind, desto mehr muss dieser für Prämienverbilligungen ausgeben. Zudem müssen die Kantone selbst festlegen, wie hoch der Anteil der Prämien am verfügbaren Einkommen der BürgerInnen sein darf. Die SP des Kantons Bern hat bereits angekündigt, eine Motion im Grossen Rat einzureichen. Sie wird eine Deckelung der Krankenkassenprämien auf zehn Prozent des Haushalteinkommens fordern – also genau das, womit die Bundes-SP am Sonntag gescheitert ist.