Auftakt ins letzte Jahrhundert
05.07.2024 FrutigenDas Freilichttheater «Lötschberg – ein Tal im Aufbruch» feierte am Mittwochabend Premiere mit viel Prominenz. Die historische Kulisse sowie die wohldosierte Mischung aus geschichtlichen Fakten und emotionalem Drama verhalfen dem Stück zum Erfolg.
...Das Freilichttheater «Lötschberg – ein Tal im Aufbruch» feierte am Mittwochabend Premiere mit viel Prominenz. Die historische Kulisse sowie die wohldosierte Mischung aus geschichtlichen Fakten und emotionalem Drama verhalfen dem Stück zum Erfolg.
JULIAN ZAHND
Wer am Mittwoch das Gelände beim historischen Bahnhof betrat, ahnte sogleich, dass an diesem Abend vieles gut kommen würde: Zwar war da die miserable Wetterprognose, die Nieselregen bei 10 Grad voraussagte. Doch zumindest die Zuschauertribühne war gedeckt, die gut 300 BesucherInnen gut gerüstet und bestens gelaunt. Vor allem war da aber die Theaterkulisse, im Zentrum das bestehende Perron des historischen Bahnhofs, flankiert von einer nostalgischen Dampflokomotive, einer Hotelfassade sowie einem rabenschwarzen Tunneleingang. Die stimmige Szenerie diente als idealer Einstieg ins frühe 20. Jahrhundert – in die Zeit des Tunnelbaus also, um den sich das Stück dreht.
Die ersten Lacher gab es bereits vor Aufführungsbeginn
Während sich die geladenen Gäste am rustikalen Apéro-Buffet bedienten, startete OK-Präsident Faustus Furrer das Rahmenprogramm. Er interviewte den Regisseur Mitja Staub, den Autor Ueli Schmid sowie die jüngste (16) und den ältesten (83) SchauspielerIn, die ein rührendes Duo abgaben. Später, als das Publikum die Plätze bezogen hatte, begrüsste Furrer insbesondere die anwesende politische Prominenz – Gemeinde(rats)- und Stadtpräsidenten, Gross- und Nationalräte und natürlich Bundesrat Albert Rösti. An den Verkehrsminister gewandt erwähnte Furrer einen historischen Fahrplan, auf den er vor Ort gestossen sei. «London, Paris und Rom steht da drauf. Lieber Herr Bundesrat, da besteht für Frutigen noch Luft nach oben!» Das Publikum quittierte dieses augenzwinkernde Votum mit ausgelassenem Applaus.
Eine Geschichte – zwei Perspektiven
Ab 20.30 Uhr gehörte die Bühne den SchauspielerInnen. Während rund 90 Minuten versetzten sie das Publikum zurück ins frühe 20. Jahrhundert, als der Lötschberg-Bau das ärmliche Frutigland in Aufbruchstimmung versetzte. Der Anspruch der Story ist ein doppelter: Information und Unterhaltung. Einerseits spiegelt sie die historischen Gegebenheiten wider, andererseits lockert sie das faktenreiche Geschichtsmaterial mit teils fiktiven Drama-Bausteinen auf. Autor und Regisseur trennten diese beiden Elemente weitgehend, indem sie zwei verschiedene Zeitebenen schufen und diese miteinander verwoben:
Im Heute bewegt sich «Leslie», die Nachfahrin eines Frutigländer Auswanderers. Die Studentin will ihre Geschichte aufarbeiten und befragt deshalb die ortskundige «Erika», die sie mit faktenreichen historischen Erzählungen beliefert.
Das restliche Bühnenensemble spielt Szenen aus dem 20. Jahrhundert und reichert die historischen Fakten mit Emotionen an. Da ist beispielsweise das Gefälle zwischen arm und reich: Während sich die «Trückler-Frauen» von einer herablassenden Hotelière bezahlen lassen müssen (für 2000 Truckli gibt es im besten Fall 2 Franken), bezieht letztere den Lohn von den noblen Touristen, die in jener Zeit auch das Kandertal entdeckten.
Als der «Herr Nationalrat» eines Tages den Enscheid verkündet, einen 15 Kilometer langen Tunnel ins Wallis zu bauen, eröffnen sich für die Bevölkerung neue Perspektiven. Die zahlreichen italienischen Gastarbeiter verändern das Gesellschaftsgefüge, ein verheerendes Tunnelunglück versetzt die Bevölkerung in eine kurzzeitige Schockstarre. Indem sie unbequeme Fragen stellt, erzeugt eine Journalistin vor Ort zusätzliche Nervosität.
Eine Liebe mit Hindernissen
Der Umbruch sorgt jedoch nicht nur für Unsicherheit, sondern ermöglicht auch glückliche Fügungen. Eine davon ist die Bekanntschaft zwischen dem Frutiger Daniel und der Italienerin Belinda, die alsbald geprägt ist von einer gegenseitigen, tiefen Zuneigung. Diese Liebe und die Umwege, die sie nehmen muss, sind das Kernstück der Geschichte.
Die beiden Erzählperspektiven – das Heute und die Zeit des Aufbruchs – wechselten sich immer wieder ab, waren harmonisch ineinander verwoben. Die Mischung war gut austariert, was das Stück abwechslungsreich und kurzweilig machte. Die LaiendarstellerInnen verkörperten ihre Rollen bereits sattelfest, der urchige Frutiger Dialekt sorgte immer wieder für Erheiterung. Am Schluss erntete das Ensemble stehenden, anhaltenden Applaus – der Auftakt ins letzte Jahrhundert ist damit geglückt.
Grosse Nachfrage nach Tickets
Zwischen dem 3. Juli und dem 10. August finden insgesamt 22 Aufführungen für je rund 320 Zuschauer statt. Der Vorverkauf laufe äusserst zufriedenstellend, wie OK-Präsident Faustus Furrer sagte. Täglich würden derzeit weit über 100 Billette über den Tisch gehen, rund 5000 Eintritte seien bereits verkauft. «Finanziell sind wir daher bereits über dem Berg», so Furrer.
JUZ
Alle Infos zum Theater: freilichtspiele-tellenburg.ch