Beziehung ist das A und O
16.09.2025 GesellschaftTabea rennt bei meiner Ankunft am Tag der offenen Tür vom vergangenen Freitag, 12. September, gleich auf mich zu und fragt mich freundlich, was ich zu trinken wolle. Es koste … Im Hintergrund meldet sich ein Betreuer und sagt: «Heute sind alle eingeladen, die Gäste ...
Tabea rennt bei meiner Ankunft am Tag der offenen Tür vom vergangenen Freitag, 12. September, gleich auf mich zu und fragt mich freundlich, was ich zu trinken wolle. Es koste … Im Hintergrund meldet sich ein Betreuer und sagt: «Heute sind alle eingeladen, die Gäste müssen nichts bezahlen.» Auch von Sandro werde ich begrüsst. Er ist aufgeregt und hofft, dass ein ehemaliger Betreuer ihn im Polaris besuchen kommt, er fragt mich, ob ich wisse, ob dieser komme.
«Wir wollen den Kindern und Jugendlichen, welche Beziehungsbrüche erlitten haben, ein solides Zuhause bieten», erzählt Matthias Bühlmann, der Leiter der prima-familia-Institution Polaris. Der gelernte Zimmermann ist entgegen seiner ursprünglichen Pläne Sozialpädagoge geworden. Seine ersten Erfahrungen machte er in Italien, anschliessend arbeitete er in einer abgelegenen sozialen Einrichtung für Jugendliche in Grindelwald und schliesslich im Schulheim Sunneschyn in Steffisburg. «Als Sozialpädagoge musst du einiges wegstecken können. Daher ist es sehr wichtig, dass du selbst ein gutes soziales Umfeld hast und mitten im Leben stehst», sagt Bühlmann und erwähnt dabei die vielen aussteigenden Berufskolleginnen und -kollegen.
Die Nachfrage ist gross
Im Haus auf dem Bühl in Achseten war vorher das KomSol, eine Einrichtung für psychisch kranke Kinder und Jugendliche. Dieses hat den Sitz nun in Kandersteg und kann dadurch mehr Plätze anbieten. Als das Haus im Oktober 2024 zum Kauf ausgeschrieben war, packte Bühlmann die Chance auf «etwas Eigenes» und erfüllte sich damit einen Traum. Die Kinder werden von sechs Personen betreut, drei weitere sind für den Unterricht in der anerkannten besonderen Volkschule verantwortlich. Die Nachfrage ist gross, daher waren bald alle sieben Fixplätze von Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen Kantonen besetzt. Zusätzliche Kinder sind in der Tagesbetreuung. «Jedes trägt seinen Rucksack. So sind auch individuelle Regeln und Förderungsangebote erforderlich», betont der Sozialpädagoge.
Gut vernetzt
Die Kinder und Jugendlichen verdienen ein stabiles, soziales Umfeld. Damit ihre Bedürfnisse erfüllt werden können, ist es wichtig, gut vernetzt zu sein. So geht ein Junge regelmässig beim Nachbarn im Stall helfen, ein anderer hat das Fischen entdeckt. Das A und O ist jedoch die Beziehung zu den Kindern. Wenn sie sich einmal auf das Beziehungsangebot eingelassen haben, wollen sie bleiben und nicht gleich wieder aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen werden.
Die Institution ist noch im Aufbau, so soll beispielsweise der Umschwung neu gestaltet werden.
Ohne Trägerschaft nicht möglich
Polaris gehört dem Verein prima-familia an. Ohne Trägerschaft wäre es nicht möglich gewesen, die Institution aufzubauen und weiterzuführen. Werden Kinder aus anderen Einrichtungen entlassen, ist die grösste Herausforderung, einen passenden Folgeplatz mit Langzeitbetreuung zu finden. Optimalerweise ist es die Familie, diese Rückführung ist aber oft nicht möglich. Aus diesem Grund hecken Bühlmann und seine Mitarbeitenden bereits einen nächsten Plan aus: «Für Kinder und Jugendliche, welche noch keinen passenden Platz gefunden haben, möchten wir eine betreute Zwischenstation anbieten. Es soll etwas Spezielles sein: auf einem Campingplatz oder sogar in einem Baumhaus.»
Ist der Platz dann gefunden, taucht sofort die Frage nach der Finanzierung auf. Bis diese geklärt sei, dauere es manchmal Monate, berichtet der Sozialpädagoge, daher sei es unumgänglich, mit einer Trägerschaft zusammenzuarbeiten. Zudem biete sie Unterstützung bei der Kommunikation mit dem Kanton sowie bei der Buchhaltung und bei pädagogischen Anliegen.
Stolz auf ihr Zuhause
Sandro zeigt draussen auf dem Trampolin seine Show, während zahlreiche Interessierte Polaris besuchen und ihr Interesse kundtun. Tabea führt mich voller Stolz durch das Haus. Alles Mögliche will sie mir dabei schenken. Die Räume sind klein, aber zweckmässig ausgestattet. Gekocht wird selber, in die Haushaltarbeiten werden die Kinder und Jugendlichen miteinbezogen. In der Küche macht Tabea halt und bittet mich, meinen Namen auf ein Post-it-Zetteli zu schreiben. Sie hat sich nämlich ein Auslosespiel ausgedacht und dieses sorgfältig vorbereitet. Tabea ist stolz auf ihr neues Zuhause.
RUTH STETTLER
Gesucht: Polaris sucht für die Grundausstattung des Hauses Winterkleider, Skiausrüstungen, Wanderschuhe und Spielsachen für drinnen und draussen. Wer Material für 10- bis 17-Jährige hat, meldet sich bitte unter: polaris@prima-familia.ch oder 077 481 05 04.
RUTH STETTLER