Briefe vom Bauherrn

  20.01.2023 Frutigen

Ein Unternehmer, der gleichzeitig Gemeinderat ist, setzt unliebsame Bürger unter Druck, damit diese ihre Einsprachen zurückziehen. Seine robusten Methoden haben zuletzt auch den Gesamtgemeinderat beschäftigt. Doch vorerst bleibt in der Behörde alles beim Alten.

MARK POLLMEIER
Seit Längerem schwelt ein Streit um verschiedene Bauvorhaben in Kanderbrück. Diverse Anwohner wehren sich mit Einsprachen und Beschwerden, ein Fall liegt mittlerweile beim Berner Verwaltungsgericht (der «Frutigländer» berichtete). Eine besondere Rolle spielt bei den umstrittenen Projekten Markus Grossen-Brenzikofer (EVP). Er ist gleich dreifach involviert: als (Mit-)Bauherr, als Unternehmer (Grobau Gartenbau AG) und als Frutiger Gemeinderat mit Ressort Hochbau.

Schon unter günstigen Umständen wäre es hier nicht einfach, die verschiedenen privaten und öffentlichen Interessen sauber zu trennen. Umso mehr gilt dies für strittige Bewilligungsverfahren. Von einem Bauherrn und Unternehmer, der gleichzeitig Gemeinderat ist, wäre in einer solchen Situation Zurückhaltung gefordert – schon um die eigene Behörde und die Verwaltung nicht angreifbar zu machen.

Doch Zurückhaltung scheint bislang nicht die Sache des Markus Grossen zu sein. Bereits vor zwei Jahren, damals ging es um ein Mehrfamilienhaus im Aussenmatteweg, unterbreitete er einem Einsprecher schriftlich seine «Vorschläge». Sofern man sich gütlich einigen könne, werde er davon absehen, gegen ihn vorzugehen, schrieb Grossen auf dem Briefpapier seiner Firma. Sollten seine Vorschläge jedoch kein Gehör finden, werde er den Adressaten des Briefs unverzüglich auffordern, einen Baum auf der Grundstücksgrenze zu kürzen. Ausserdem werde er die Tiefbauabteilung der Gemeinde anweisen, die übrige Bepflanzung des Einsprechers mit Blick auf die Sicherheit zu überprüfen.

Ein Unternehmer, der gleichzeitig Gemeinderat ist, macht sein Handeln davon abhängig, ob ein Kontrahent ihm entgegenkommt – ein zumindest fragwürdiges Vorgehen, zumal es um angebliche Sicherheitsbelange ging.

Boykottdrohung an den Einsprecher
Vor einem Monat schrieb der Unternehmer Markus Grossen erneut einen Brief an einen Einsprecher. Diesmal ging es um ein Bauprojekt im Guggigässli. In seinem Schreiben zeigt Grossen sich enttäuscht, dass der Einsprecher gegen diese Projekte vorgeht: «Ich hätte nicht geglaubt, dass Du Dich für solche Spielchen gebrauchen lässt.»

Die Retourkutsche folgt gleich im nächsten Absatz. Grossen kündigt an, künftig alle Arbeiter zu boykottieren, die eine Bewilligung für seine Bauvorhaben verhindern wollen – unter ihnen auch der Adressat des Briefs. «Ich empfehle Dir, in Anbetracht Deines Arbeitgebers und mir als Bauherr die Einsprache umgehend zurückzuziehen», schrieb Grossen. Und damit die Botschaft auch wirklich ankommt, schickte er eine Kopie des Schreibens auch noch an den Arbeitgeber des Einsprechers. Wiederum wurden die «Empfehlungen» auf dem Briefpapier der Firma Grobau versandt. Formal betrachtet handelte Markus Grossen-Brenzikofer demnach als Privatperson bzw. Unternehmer.

«Ich kann nicht verstehen, warum»
Doch Grossen gehört eben auch dem Frutiger Gemeinderat an und verantwortet dort das Ressort Hochbau. Darf jemand, der ein öffentliches Amt bekleidet, zu solchen Mitteln greifen – zumal, wenn dabei das eigene Ressort unmittelbar betroffen ist?

«Das Ganze hat ja eine längere Vorgeschichte», erklärt Markus Grossen. Seit Jahren versuche man, seine Bauprojekte zu verhindern. Und auch, wenn sich viele daran beteiligen würden, seien die Einsprachen und Beschwerden doch vor allem von einer Person gesteuert. «Ich kann nicht verstehen, warum.»

Aus dieser Situation heraus erkläre sich auch sein Brief, so Grossen. Er arbeite seit Jahren gut mit dem Arbeitgeber des Adressaten zusammen. Der Empfänger des Schreibens habe selbst schon in vielen «Grobau»-Liegenschaften gearbeitet. Dass nun ausgerechnet dieser Mann gegen seine Bauprojekte vorgeht, «das hat mich einfach gestört», sagt Grossen. «Ich habe den Arbeitgeber dreimal darauf aufmerksam gemacht, dass ich das nicht in Ordnung finde.» Als dann nichts passiert sei, habe er eben den Brief geschrieben.

Niemand möchte das Ressort wechseln
Zum Inhalt seines Schreibens steht Markus Grossen nach wie vor: Wer seine Bauprojekte verhindern wolle, werde dort nicht mehr arbeiten. Grossen bezieht das ausdrücklich nicht auf die Firma, mit der er gut zusammenarbeite – wohl aber auf den Einsprecher selbst. «Ich halte das für legitim und verständlich.»

Als Gemeinderat sei er nach wie vor am richtigen Ort, findet Markus Grossen. Er bringe das nötige Fachwissen für das Hochbauressort mit und alle Geschäfte würden stets korrekt behandelt. «Wann immer es nötig erscheint, trete ich in den Ausstand.»
Der Gesamtgemeinderat ist über den jüngsten Brief des Kollegen Grossen informiert. Auf Anfrage heisst es, man habe die Thematik an der Gemeinderatssitzung vom 12. Januar ausführlich beraten und analysiert. Aufgrund der bekannten Konstellation von Gemeinderat Markus Grossen-Brenzikofer – einerseits Baufachmann und Inhaber von Baugeschäften, andererseits Behördenmitglied – sei «besondere Achtsamkeit» geboten. «Der Gemeinderat hat in diesem Zusammenhang auch über einen Ressortwechsel diskutiert», so die Stellungnahme weiter. Allerdings habe kein amtierendes Ratsmitglied sein jetziges Ressort abgeben wollen. «Sowohl der Ressortchef Hochbau wie auch ein weiteres Gemeinderatsmitglied hätten somit zu einem Wechsel gezwungen werden müssen, was für die Fortsetzung der Arbeit als Kollektivbehörde nicht förderlich gewesen wäre.»

Die Führung des Ressorts Hochbau sei überdies sehr anspruchsvoll und zeitintensiv. «Eine neue Vorsteherin oder ein neuer Vorsteher müsste sich mit grossem Aufwand in diese Materie einarbeiten.» Der Gemeinderat habe deswegen einstimmig beschlossen, die aktuelle Ressortzusammensetzung beizubehalten. «Der als Privatperson abgefasste Brief von Markus Grossen-Brenzikofer war ungeschickt, hat aber mit seiner amtlichen Tätigkeit nichts zu tun», so die Einschätzung der Gemeinde. Dennoch wolle man künftig noch genauer hinschauen. Man habe Markus Grossen dringend nahegelegt, solche Schreiben zu unterlassen, solange er ein öffentliches Amt bekleidet. Zudem soll der Ressortchef Hochbau nun vermehrt «aus dem Schussfeld» genommen werden, wenn sich Friktionen zwischen Amt und privater bzw. unternehmerischer Tätigkeit ergeben könnten. Die vorgeschriebene Ausstandspflicht werde – wie bisher schon – konsequent auf jeder Stufe umgesetzt. Grossens Stellvertretung sei geregelt und funktioniere gut; er erhalte bei Bedarf zusätzliche Unterstützung durch den Vize-Gemeinderatspräsidenten Thomas Gyseler.

Grundsätzlich steht der Gesamtgemeinderat also zu Markus Grossen. «Der Ressortchef Hochbau macht im Übrigen gute Arbeit und hat weiterhin das Vertrauen des Gemeinderates», heisst es dazu.

Verwaltungsrechtlich kein Handlungsbedarf
Bleibt noch die rechtliche Dimension. Laut Auskunft der Gemeinde wurde diese mit Blick auf den jüngsten Brief geprüft. Eine Sorgfaltspflichtverletzung als Behördenmitglied gemäss Artikel 17 Gemeindeordnung liege jedoch nicht vor. In Artikel 17 ist festgeschrieben, dass die Mitglieder des Gemeinderats ihre Amtspflichten gewissenhaft und sorgfältig zu erfüllen haben. Darüber hinaus liege auch kein disziplinarisches Vergehen vor, das eine Massnahme gemäss Artikel 18 Gemeindeordnung rechtfertigen würde. Darin ist u. a. die disziplinarische Verantwortlichkeit des Gemeinderats geregelt. Disziplinarbehörde für die Mitglieder des Gemeinderats ist die Regierungsstatthalterin – und die sah offenbar keinen Handlungsbedarf.


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