Brückenbauerin zwischen Frutigen und New York
18.07.2025 PorträtVom 9. bis 12. Juni 2025 vertrat Hanishha Soosai (23), in Frutigen aufgewachsen, als erste offizielle N-Jugenddelegierte der Eidgenossenschaft die Anliegen der Schweizer Jugend in New York an der 18. UN-Konferenz zur Behindertenkonvention. Der «Frutigländer» sprach mit ...
Vom 9. bis 12. Juni 2025 vertrat Hanishha Soosai (23), in Frutigen aufgewachsen, als erste offizielle N-Jugenddelegierte der Eidgenossenschaft die Anliegen der Schweizer Jugend in New York an der 18. UN-Konferenz zur Behindertenkonvention. Der «Frutigländer» sprach mit der Brückenbauerin über ihre Erfahrungen.
Aus dem Frutigland stammen zwei Bundesräte, mehrere Nationalräte und Grossräte sowie ein Ex-Kommunikationschef in bundesrätlichem Auftrag. Zu diesen Persönlichkeiten gesellt sich nun auch eine Frau: die erste offizielle UN-Jugenddelegierte der Schweiz, die vor einem Monat in New York, im UN-Plenarsaal, an einer grossen Konferenz sprechen durfte: Hanishha Soosai, Schweizerin mit tamilischen Wurzeln, ist in Frutigen aufgewachsen und setzt sich seit ihrer Schulzeit für Menschen mit Behinderung, für Menschenrechte und gegen Diskriminierung aller Art ein.
Familiäre Fluchterfahrung
Hanishha wuchs mit zwei kulturellen Identitäten auf und musste früh erleben, was es heisst, dazuzugehören oder eben gleichzeitig anders zu sein. Diese Erfahrung habe sie sehr geprägt, betont sie im Gespräch: «Ich habe gesehen und gespürt, wie strukturelle Ungleichheiten Menschen ausschliessen können – sei es im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt oder im politischen Raum.»
Aus diesen Gründen habe sie sich als «UN-Jugenddelegierte» beworben. Ihre Motivation sei es, dazu beizutragen, dass junge Menschen – insbesondere jene mit mehrfacher Diskriminierungserfahrung – eine Stimme erhalten. Nach einem Auswahlverfahren mit dreisprachigen Interviews in Englisch, Französisch und Deutsch wurde die junge Frau gemeinsam mit zwei Co-Delegierten (aus der Westschweiz) für eine Mandatsdauer von zwei Jahren gewählt. Als UN-Jugenddelegierte durfte sie vor einem Monat die Schweizer Delegation an die 18. Konferenz zur Behindertenkonvention begleiten.
Die Konvention
Das «Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen» wurde 2006 von der UN-Generalversammlung angenommen und trat am 3. Mai 2008 in Kraft. Die Vertragsstaaten, zu denen auch die Schweiz gehört, treffen sich jährlich zu Konferenzen, um die Umsetzung der Konvention zu diskutieren. Ausser Diplomatinnen und Diplomaten des Aussendepartements, Delegierten des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und der Zivilgesellschaft gehörte dieses Jahr erstmals eine Vertreterin der Schweizer Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände, eine UN-Jugenddelegierte, zur Delegation.
Während ihres Aufenthalts in New York besuchte Hanishha ein Forum für Zivilgesellschaft, eine Sicherheitsratssitzung und nahm an Dialogen mit Diplomatinnen und Diplomaten teil. Höhepunkt war die Konferenz, an der sie als Schweizer Delegierte sprechen durfte. In ihrem Statement hob sie sowohl das Potenzial als auch die Risiken der künstlichen Intelligenz für die Inklusion junger Menschen mit Behinderung hervor. Ihre Botschaft: «Digitale Bildung muss von Anfang an inklusiv, zugänglich und menschenrechtsbasiert gestaltet werden, um eine echte Teilhabe zu ermöglichen.»
Zurück in der Schweiz, will sie diese Ziele weiterverfolgen. Hanishha ist bis im Mai 2026 Jugenddelegierte. In dieser Funktion sieht sie sich als «Brückenbauerin zwischen denen, die Entscheidungen treffen, und denen, die oft nicht gehört werden». In ihrer Freizeit organisiert sie Workshops, macht Schulbesuche und engagiert sich ehrenamtlich für Menschenrechte.
PETER SCHIBLI
ZUR PERSON
Hanishha Soosai ist zusammen mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder in Frutigen aufgewachsen, wo sie den Kindergarten sowie alle Schulen bis zur Oberstufe besuchte. Anschliessend wechselte sie ans Gymnasium Thun-Schadau, das sie 2020 mit einer zweisprachigen Matura (Deutsch und Englisch) in «Wirtschaft und Recht» abschloss.
Von 2021 bis 2024 studierte Hanishha an der Universität St. Gallen «International Affairs» und schrieb eine Bachelorarbeit zum Thema «Fluchtgeschichten von Eelam-Tamilen in der Schweiz». Die Themenwahl war kein Zufall: Ihre Familie (der Vater ist in den 1980er-Jahren als Flüchtling in die Schweiz gekommen) gehört zu dieser Ethnie.
Berufliche Erfahrung holte sich die junge Frau bei der Fluggesellschaft Swiss, zuerst als Praktikantin und dann als Teilzeitmitarbeiterin fürs Vertragswesen. Während des Bachelorstudiums war sie an der Uni St. Gallen in unterschiedlichen Jobs als Teilzeitmitarbeiterin tätig. Seit August 2024 arbeitet sie als Konsulentin für die Internationale Organisation für Migration (IOM). Im kommenden Herbst will sie in St. Gallen ihr Masterstudium beginnen.
Hanishhas Interesse gilt den Themen Migration, Menschenrechte, Bildung und Inklusion. Mit ihrer eigenen Integration hat die Tamilin in der Schweiz viele positive wie negative Erfahrungen gemacht. Besonders gern erinnert sie sich an den Frutigmärit, wo sie zusammen mit der Frutiger Familie Moorty, ihren Eltern und ihrem Bruder gegenüber dem «Chäs-Eggä Thönen» ab 2010 einen Stand mit tamilischen Spezialitäten betrieb. An die vielen schönen Begegnungen denkt sie bis heute gerne zurück.
Gefragt nach negativen Erfahrungen, erwähnt sie eine Spendenaktion für den Wiederaufbau einer Schule im Nordosten Sri Lankas, für welche sie unter anderem im Frutigland von Tür zu Tür ging. Damals habe sie so manche unschöne Bemerkung bis hin zu rassistischen Äusserungen hören müssen, erzählt sie im Gespräch. Auch auf dem Schulweg habe man ihr hin und wieder diskriminierende Sprüche hinterhergerufen, was sie als Kind nicht verstand. Während sie früher geschwiegen und sich geduckt habe, sei sie heute als junge Frau der Auffassung, dass sich eine angepöbelte oder diskriminierte Person mit unaufgeregten, aber klaren Worten wehren sollte.
Dass sie im Frutigland vor allem noch mit ihrer besten Freundin, nicht aber mit anderen Jugendlichen in Kontakt steht, findet Hanishha Sooai zwar schade, erklärt es aber damit, dass sie ihren Wohnsitz noch in Frutigen hat, jedoch während der Woche in St. Gallen lebt. Die Frage, ob sie in ihrer Jugend Skifahren gelernt hat, bejaht sie sofort, ergänzt aber, sie sei in den letzten Jahren nicht mehr auf den Brettern gestanden. Dafür besucht sie mit Begeisterung Kurse in indischem Tanz und war früher auch im Schwimmclub Frutigen sowie im Turnverein.
PS