Das brutale Ende eines Alpsommers
08.07.2025 Kandergrund, Blausee, MitholzAuf der Alp Tschingel oberhalb von Kandergrund riss ein Luchs elf Schafe, was zu einem vorzeitigen Alpabtrieb führte. Ursprünglich sollten die 66 Schafe den Sommer dort verbringen, doch nach den Angriffen sahen sich die Nutztierhalter gezwungen, die Alp bereits am 4. Juli zu ...
Auf der Alp Tschingel oberhalb von Kandergrund riss ein Luchs elf Schafe, was zu einem vorzeitigen Alpabtrieb führte. Ursprünglich sollten die 66 Schafe den Sommer dort verbringen, doch nach den Angriffen sahen sich die Nutztierhalter gezwungen, die Alp bereits am 4. Juli zu verlassen.
Es war am Freitagmorgen, 4. Juli, um 9.21 Uhr, als Glockengeläut ertönte. Dazwischen immer wieder Rufe des Begleittrosses, welcher die Schafe zum Streitboden auf 1555 m ü. M. führte. Bei der Sammelstelle wurden die Tiere in eine Umzäunung getrieben. Dort wurden ihre Ohrenmarken kontrolliert, um zu überprüfen wie viele fehlten. Dabei kochten die Emotionen über. Vorwürfe wurden laut, etwa dass «vom Jagdinspektorat her die Massnahmen gegen die Risse fehlen». Auch die Klage, «eigentlich wäre der Alpabzug erst im September geplant gewesen», war zu hören.
Erst Anfang Juni waren 66 Schafe auf die Alp Tschingel in der Gemeinde Kandergrund gezügelt. Die Alp hat sechs Kuhrechte und ist teilweise sehr steil. Ein unwegsames Gelände, aber für Schafe ist es ideal. Hier riss der Luchs bereits in der ersten Alpwoche sieben Tiere. «Auf Wunsch des Herdenschutzes haben wir den Schafen Dufthalsbänder angebracht, um den Luchs abzuhalten. Dabei wussten wir von Anfang an, dass dies nichts bringen würde, sondern nur stinkt», so die Hirten der Alp gegenüber dem «Frutigländer». Sie hätten zugleich den Wunsch nach einer Abschussbewilligung angebracht, erzählen sie.
Gerissene Nutztiere
Die Szenerie auf der Alp wurde von den Beteiligten so beschrieben: «Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Wir trafen nur noch die Skelette und die Felle an. Das war eindeutig der Riss eines Luchses.» Für alle Betroffenen ein Schock. Die grosse und unglaubliche Fassungslosigkeit stand den Hirten und Besitzern der Tiere am Freitag ins Gesicht geschrieben. Man wandte sich an die Behörden. Vertreter kamen und nahmen einen Augenschein vor Ort. Das Gefühl, nicht genügend Hilfe zu bekommen, wurde immer wieder angesprochen. «Ein Abschuss kann genehmigt werden, wenn ein einzelner Luchs oder Wolf mehr als 15 Nutztiere innerhalb eines Monats tötet – vorausgesetzt, es wurden zuvor Schutzmassnahmen getroffen.» Die Kantone müssen solche Eingriffe mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) abstimmen. Es wird nun geprüft, ob ein Abschuss des Luchses möglich ist – eine Entscheidung dazu soll diese Woche fallen.
Verbuschung auf der Alp
Neben dem Problem Luchs kommt nun noch die Gefahr der Verbuschung auf der Alp dazu. Stand Freitagmorgen planen die Schafbesitzer, nächstes Jahr die Schafe nicht mehr auf die Alp zu geben. Sollten diesem Beispiel weitere Alpen folgen, kommt noch viel Arbeit auf die Behörden zu.
Thomas Knutti (SVP) fordert nach wie vor den schnellstmöglichen Abschuss des Luchses. «Dies werden wir kommenden Mittwoch, 9. Juli, in einem persönlichen Gespräch mit der Jagdinspektorin nochmals fordern. Nach den geltenden gesetzlichen Vorgaben – konkret ab zehn Rissen mit der Begründung einer vorzeitigen Abalpung
– wäre es bereits möglich gewesen, den Luchs vergangenen Donnerstag zum Abschuss freizugeben. Dass dies nicht geschehen ist, ist für uns unverständlich und inakzeptabel», liess Knutti in einem Telefonat wissen.
Stimmen zum Alpabzug
Toni Michel gibt seine Schafe schon seit 30 Jahren auf die Alp: «Es sind zwei Sachen, die der Riss mit einem machen. Das eine ist das Finanzielle und das andere das Emotionale. Wir schauen, dass es den Schafen gut geht und machen alles, damit sie gesund bleiben. Es macht traurig zu sehen, wie elendiglich die Tiere verrecken.»
Kobi Rösti von der Vereinigung zum Schutz von Wild- und Nutztieren vor Grossraubtieren im Kanton Bern: «Am Mittwoch, 2. Juli, haben wir vom frühzeitigen Abzug erfahren. Wir fanden, dass wir da etwas machen müssen. Uns ist bewusst, wenn wir Tiere z’Bärg geben, dass eines gerissen werden kann. Vor dem Luchs kann man sie nicht schützen, der kommt überall durch.»
Stefan Schwendener hat neun Schafe verloren: «Es war geplant, die Tiere bis Anfang September auf der Alp zu lassen. Es war eine riesige organisatorische Sache, den vorzeitigen Abzug durchzuführen. Es war eine harte Zeit, bis wir den Entscheid getroffen haben, es blieb uns nichts anderes übrig, wir mussten handeln.»
MICHAEL SCHINNERLING