«Das Dorf muss dahinterstehen»

  21.11.2023 Interview

Fünf Jahre nach der geplatzten Kandidatur für «Sion 2026» will sich die Schweiz erneut um die Austragung der olympischen Winterspiele bewerben. Wie schon damals wäre auch das Nationale Nordische Skizentrum Kandersteg (NNSK) involviert. Dessen Präsident Lars Guggisberg ist von den Olympia-Plänen überzeugt.

BIANCA HÜSING
Wer die aktuelle Machbarkeitsstudie von Swiss Olympic liest (der «Frutigländer» berichtete), fühlt sich ins Jahr 2018 zurückversetzt. Schon damals, als die Schweiz für die Winterspiele 2026 kandidieren wollte, warb der Verband mit dezentralen, nachhaltigen Wettkämpfen, für die kaum Neubauten nötig wären und die einen Gegenentwurf zum Gigantismus der vergangenen Jahre darstellen sollten. Dieser Ansatz ist geblieben – und er wird noch angereichert durch diverse Superlative: Die Schweiz zeichne sich durch «die besten öffentlichen Verkehrsbedingungen der Welt» und durch «enorme Innovationskraft» aus. Als «first host country ever» könne das Land seine «Zusammengehörigkeit als Willensnation» unterstreichen. Und so weiter.

Kleineres Budget, mehr Austragungsorte
Doch obwohl vieles ähnlich klingt, gibt es doch Unterschiede zwischen den Olympia-Bestrebungen von 2018 und jenen von 2023. Zum Beispiel beim Geld: Das damalige Budget lag bei 2 Milliarden Franken, von denen der Bund 994 Millionen übernommen hätte. Diesmal wollen die Veranstalter ohne Steuergelder auskommen und die 1,5 Milliarden Franken weitgehend aus privaten Mitteln finanzieren. Auch wird das «dezentral» diesmal noch weiter gefasst: 13 Austragungsorte in allen Sprachregionen des Landes schweben Swiss Olympic vor. Durch diese Streuung und die überwiegend private Finanzierung sei «Switzerland 203X» nicht nur nachhaltiger, sondern auch mehrheitsfähiger. Tatsächlich scheint zurzeit eine gewisse Pro-Olympia-Stimmung zu herrschen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts gfs.bern äusserten sich 67 Prozent der Befragten positiv zu Winterspielen in der Schweiz. Mit einer Abfuhr aus dem Volk rechnet Swiss Olympic diesmal nicht – obwohl es heute wie damals Kritiker gibt, die das Budget für unter- und den Nutzen der Wettkämpfe für übertrieben halten.

Wer 2018 eindeutig zu den Olympia-Befürwortern gehörte, war Kandersteg. Mit über 80 Prozent Zustimmung sprach die Gemeindeversammlung damals einen Kredit ans Nationale Nordische Skizentrum Kandersteg, wo die Sprungwettkämpfe hätten stattfinden sollen. Auch im neuen Konzept ist die Nordic Arena als Austragungsort vorgesehen – und laut NNSK-Präsident Lars Guggisberg auch sehr gewillt, diese Aufgabe anzunehmen. Zunächst aber muss das Sportparlament am 24. November grünes Licht für die Olympia-Bewerbung der Schweiz geben.

Herr Guggisberg, fiebern Sie dem Entscheid des Sportparlaments am Freitag entgegen – oder ist er reine Formsache?

Lars Guggisberg: Beides. Ich bin einerseits sehr gespannt, andererseits aber auch ganz sicher, dass das durchkommen wird. Ich bin überzeugt von diesem bestechenden Konzept, die olympischen Winterspiele erstmals nachhaltig und dezentral zu gestalten. Die Schweiz ist prädestiniert dafür und dazu in der Lage.

Gilt das auch für Kandersteg?

Absolut! Unsere Schanzen sind neu und entsprechen den aktuellen Anforderungen. Es braucht zwar noch einige Investitionen, aber diese werden nachhaltig dimensioniert, damit sie den zukünftigen Betrieb der Nordic Arena optimieren.

Was fehlt konkret?

Ein zweckmässiges Betriebsgebäude und ein neuer Sprungrichterturm. Beides ist schon länger Thema und müsste sowieso bald in die Hand genommen werden. Wir würden diese Anlagen nicht extra für die olympischen Spiele bauen – höchstens etwas früher, als wir es sonst getan hätten. Auch über eine neue LED-Beleuchtung machen wir uns unabhängig von Olympia 203X Gedanken. Die einzige temporäre Installation wäre die Zuschauertribüne. So etwas ist aber heute problemlos auf- und abbaubar, wie man unter anderem an den Schwingfesten in der Region sehen kann.

Ist das Gelände gross genug dafür?

Die Platzverhältnisse in der Nordic Arena sind begrenzt, jedoch sind wir überzeugt, dass eine olympiataugliche Arena möglich ist. Die Fragen rund um die Langlaufstrecke für die Nordische Kombination und den Start- und Zielbereich müssen sicherlich noch geklärt werden.

Ausserdem stellt sich die Frage, wie Sie das Ganze finanzieren wollen. Dass das Betriebsgebäude der Nordic Arena ein Container-Provisorium ist, hat ja schliesslich Gründe ...

Die Finanzierung solcher Projekte erfolgt teilweise über Bundes- und Kantonsgelder. Ein Teil muss über Sponsoren und Eigenmittel finanziert werden. Der Rest wird über Darlehen bestritten.

Bei der 2018 geplatzten Olympia-Kandidatur plante die Gemeinde Kandersteg, die Zufahrtsstrasse mithilfe öffentlicher Gelder auszubauen. Ist das nach wie vor Thema?

Die Zufahrtsstrassen müssten ausgebaut werden, um den Zugang für Lastfahrzeuge hinsichtlich des Auf- und Abbaus der temporären Bauten gewährleisten zu können. Der Zugang für die Zuschauenden ist aus meiner Sicht unproblematisch. Man muss die Leute richtig lotsen, die letzten zehn Minuten können sie zu Fuss gehen. Die Verkehrsführung ist anspruchsvoll und herausfordernd, aber absolut lösbar. Wir werden in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde ein Konzept erstellen und haben dafür ja durchaus Vorbilder – zum Beispiel das Park-and-Ride-Konzept des Adelbodner Weltcups. Kandersteg hat zudem den grossen Vorteil, dass es sowohl von Norden als auch von Süden her mit dem Zug erreichbar ist.

Ist die Gemeinde denn nach wie vor pro Olympia eingestellt?

Der Gemeinderat hat sich kürzlich grundsätzlich positiv dazu geäussert. Das Wichtigste ist aber, dass wir die Bevölkerung ins Boot holen. Das Dorf muss dahinterstehen, sonst funktioniert es nicht. 2018 hat die Gemeindeversammlung dem Kredit für «Sion 2026» mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. Das macht mich auch heute noch zuversichtlich. Wir werden aber sicher mit den Leuten sprechen, um sie von diesem tollen Konzept zu überzeugen.

Sie werden auf Freiwillige angewiesen sein – und das in einem Dorf, in dem das ehrenamtliche Engagement der Bevölkerung sowieso schon regelmässig gefordert wird.

...was aber auch ein Vorteil ist. Die Kandersteger Bevölkerung ist erprobt darin, grosse Anlässe wie etwa die Junioren-WM 2018 durchzuführen. Das lokale Veranstalter-Know-how ist vorhanden. Das Grossartige an diesem dezentralen Olympia-Konzept ist ja, dass die Aufgaben auf ganz viele Schultern verteilt werden. Aber es gilt klar festzuhalten, dass wir auf die Unterstützung der Kanderstegerinnen und Kandersteger und des ganzen Frutiglands angewiesen sein werden.

Allerdings sollen nicht alle Sprungwettbewerbe in Kandersteg stattfinden, sondern manche auch in Engelberg.

Das stimmt, unsere Normalschanze eignet sich für Sprünge bis ca. 100 Meter. Ausserdem sind wir mit unseren ausgebauten Loipen prädestiniert für Wettkämpfe in der Nordischen Kombination. So ist es im Konzept von Swiss Olympic auch vorgesehen. Aber die Detailplanung wird erst aufgenommen, wenn sowohl das Schweizer Sportparlament als auch das IOC zustimmen. Das NNSK ist jedenfalls bereit, sich dieser spannenden Herausforderung zu stellen und der Welt zu zeigen, dass olympische Spiele ohne Gigantismus möglich sind.


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