«Das Spital ist und bleibt rund um die Uhr Anlaufstelle
07.10.2025 FrutigenIm April wurde die Geburtenabteilung im fmi-Spital Frutigen geschlossen. Den Unmut in der Oberländer Bevölkerung spürt und hört man noch heute. Der Entscheid ist jedoch definitiv. Wie geht es nun weiter?
HANS RUDOLF SCHNEIDER
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Im April wurde die Geburtenabteilung im fmi-Spital Frutigen geschlossen. Den Unmut in der Oberländer Bevölkerung spürt und hört man noch heute. Der Entscheid ist jedoch definitiv. Wie geht es nun weiter?
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Die fmi-Verwaltungsratspräsidentin und aktuelle Geschäftsführerin Dr. Karin Ritschard Ugi erklärt im Gespräch, was im Frutigland Stand der Dinge ist.
Karin Ritschard Ugi, die sehr kurzfristig kommunizierte Schliessung der Geburtenabteilung im Spital Frutigen hat die Gemüter bewegt und beschäftigt die Bevölkerung sowie die Politik immer noch. Ist das bei Ihnen in der fmi-Führung auch so?
Karin Ritschard Ugi: Es ist immer noch ein Thema und überhaupt nicht abgeschlossen. Wir verstehen, dass die Verlegung der Geburten zu reden gab und weiterhin gibt. Es war auch für den Verwaltungsrat kein einfacher Entscheid – und basierte auf viel Zahlenmaterial, Überlegungen und Diskussionen. In Kombination mit dem Fachkräftemangel mussten wir aktiv werden. Wir konnten die Qualität nicht mehr auf dem von uns erwarteten Niveau halten. Wir sind überzeugt, dass es der richtige Entscheid ist.
Verzeichnen Sie nun einen Zuwachs an Patientinnen und Geburten in Interlaken?
Es war und ist eine meiner Sorgen, wie wir die Frauen und Familien langfristig für die Geburt in unserem Einzugsgebiet halten können. Im Sommer ist das gut gelungen, was allenfalls auch mit der Kurzfristigkeit der Verlegung von Frutigen begründet werden kann. Wir setzen deshalb alles daran, die Geburtshilfe in Interlaken zu stärken und weiterzuentwickeln, das heisst auch, die Infrastruktur und den Personalbestand auf mehr Geburten und unterschiedliche Bedürfnisse der Familien auszurichten.
Frutigen war bekannt für das Beleghebammensystem. Diese betreuten ihre eigenen Patientinnen im Spital. Wo sind diese Hebammen nun?
Das System der freischaffenden Hebammen existiert schon länger auch in Interlaken. Mehr oder weniger alle Beleghebammen aus dem Frutigland kommen mit den Familien für die Geburt nach Interlaken, was uns sehr freut. Die Beleghebammen sollen auch hier weitgehend ihre bisherige Autonomie behalten können.
Was genau bieten Sie aktuell im Spital Frutigen den Frauen noch an?
Was nach Interlaken verlegt wurde, ist die Geburt an sich, da dafür jederzeit das entsprechende Personal und Infrastruktur vorhanden sein müssen. Die ganzen Voruntersuchungen und die Nachsorge – die ambulanten Leistungen – sind weiterhin in Frutigen gewährleistet.
Die Frage stellt sich, wie die Geburtshilfe der Zukunft aussieht …
Man muss richtigerweise grundsätzlich überlegen, wie die Geburtshilfe in ländlichen Regionen in Zukunft aussehen wird. Deshalb bauen wir in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Hebammenwissenschaft der Berner Fachhochschule ein Projekt auf, um solche Fragestellungen zu bearbeiten. Andere Spitäler sind zwar in ähnlichen Situationen, aber die geografische Lage und die Spitallandschaft im Oberland sind anders als beispielsweise im Emmental, deshalb braucht es bei uns andere Modelle für werdende Mütter und Familien.
Die Berner Regierung stützte den Entscheid der fmi-Führung, betonte aber auch, dass die Unternehmensführung Sache der AG sei. Dennoch macht die Berner Politik weiter Druck. Kann sich unter diesen Voraussetzungen am Schliessungsentscheid noch etwas ändern?
Nein. Die eine Seite ist das Geld, die Wirtschaftlichkeit eines Betriebes. Wir haben festgesetzte Tarife und den Auftrag, damit den Betrieb und die eigenen Investitionen decken zu können. Der Verwaltungsrat hat die Verantwortung, dass das Unternehmen finanziell gesund ist und auch in Zukunft bleibt.
… und die andere Seite?
Das nötige Personal, da hat uns die Geburtshilfe Frutigen vor dem Entscheid schon monatelang Sorgen bereitet. Damit jederzeit ein Notfall-Kaiserschnitt durchgeführt werden könnte, müssen vor Ort mehrere Fachpersonen innerhalb von zehn Minuten im Operationssaal bereitstehen – und dies rund um die Uhr, an 365 Tagen. Das haben wir in den letzten Monaten vor der Verlegung nur noch knapp geschafft. Zusammen mit der lokalen Politik und Bevölkerung müssen wir daran arbeiten, eine sichere und zukunftsfähige Gesundheitsversorgung für die Region zu gewährleisten. Es ist bedeutend einfacher, Angestellte für Jobs von Montag bis Freitag und von 7 bis 17 Uhr zu finden. Das Spital ist aber 24 Stunden und an sieben Tagen pro Woche im Schichtbetrieb offen. Ich denke, die künftigen Auswirkungen des Fachkräftemangels in vielen Bereichen sind uns noch gar nicht richtig klar.
Der Abbau ist im Spital Zweisimmen bei der benachbarten Spitalgruppe im Gang, dort geht es um die Chirurgie. Das Spital Münsingen ist dicht gemacht worden, im Emmental wird über Zusammenschlüsse diskutiert. Insgesamt wurden im Kanton über ein Dutzend Spitäler in den letzten 25 Jahren geschlossen. Wo führt das hin?
Künftig soll die Gesundheitsversorgung im Kanton organisatorisch in vier Regionen aufgeteilt werden, gemäss dem sogenannten Vier-Plus-Regionen-Modell. In diesem Rahmen haben wir und die Spital Thun-Simmental AG (STS) den Auftrag, die medizinische Grundversorgung im Oberland sicherzustellen. Die Spitäler haben dabei den Lead. Wir wollen diese Führung aktiv wahrnehmen und selber entscheiden, bevor wir von aussen gestaltet werden.
Ist ein Zusammenschluss mit STS eine Variante?
Wir haben klar den Auftrag des Kantons, enger zusammenzuarbeiten und innerhalb des erwähnten Regionenmodells die Gesundheitsversorgung Berner Oberland neu zu denken. Der Auftrag ist recht offen formuliert und gibt uns Spielraum. Dafür bin ich froh. Wir sind im Gespräch mit STS, die Zusammenarbeit
wird sich in nächster Zeit intensivieren, das ist klar. Aktiv wird derzeit nicht über eine Fusion nachgedacht, dazu haben wir auch keinen Auftrag.
Und wenn doch …?
Thun und Interlaken sind nur 20 Fahrminuten voneinander entfernt. Wir können irgendwann nicht mehr zwei Betriebe mit einem ähnlichen Angebot auf so engem Raum betreiben. Da müssen wir gemeinsam Lösungen finden, ein Beispiel ist die Koordination bei den Rettungsdiensten. Auf operativer Ebene funktioniert das bereits gut. Und nicht zu vergessen: Es hat neben den Spitälern etliche private Unternehmen, die bei diesen Überlegungen einbezogen werden können und müssen – denken wir an die Michel-Gruppe in Meiringen.
Wie gefährdet ist bei dieser Entwicklung der Spitalstandort Frutigen?
Der Standort Frutigen ist unbestritten. Sonst würden wir auch nicht in neue Angebote investieren. Wir sind auch daran, die Ressourcen von Interlaken und Frutigen besser zu bündeln und enger zusammenzuarbeiten. Dies immer mit dem Ziel, der Bevölkerung und den touristischen Tages- und Feriengästen eine professionelle medizinische Grundversorgung anbieten zu können.
Haben Sie ein Beispiel?
Im Frühjahr 2026 wird Ulrich Stricker, langjähriger Chefarzt Orthopädie am Spital Frutigen, pensioniert. Er ist sehr breit aufgestellt und ist aufgrund der heutigen Spezialisierung in der Medizin schlicht nicht 1:1 zu ersetzen. Wir müssten drei bis fünf Ärzte anstellen, um seine fachlichen Kompetenzen abdecken zu können. Dann sind wir bei den erforderlichen Fallzahlen für die nötige Qualität der Eingriffe und dann wieder bei den Fachkräften.
Wie lösen Sie dieses Problem?
Aktuell sind wir daran, eine Nachfolge für Ulrich Stricker zu rekrutieren. Wie bereits erwähnt wird diese Person nicht das ganze bisherige Spektrum abdecken können. Deshalb werden wir auch in der Orthopädie die Zusammenarbeit mit Interlaken stärken: Unsere Spezialistinnen und Spezialisten vom Spital Interlaken werden künftig auch Sprechstunden am Spital Frutigen anbieten. Allenfalls wird die Operation dann in Interlaken durchgeführt, da es auch bei solchen Eingriffen gewisse Vorhalteleistungen durch das Spital und eine entsprechend hohe Anzahl von Fallzahlen braucht. Aber die Vor- und Nachbetreuung wird in Frutigen stattfinden. Damit ist auch sichergestellt, dass die Hausärzte in der Region jederzeit Patienten ans Spital Frutigen verweisen können – auch bei Notfällen.
Dafür benötigt es Personal. Wie sieht es damit konkret in Frutigen aus?
Wir hatten Kündigungen, gerade im Pflegebereich, die wir in Frutigen in diesem Umfang nicht gewohnt waren. Im Gesundheitswesen gibt es viele freie Stellen und eine gewisse Unsicherheit über die Zukunft sorgt verständlicherweise für Wechsel. Aktuell konnten wir jedoch nachrekrutieren, und beispielsweise den Notfall personell und fachlich sogar stärken.
Während dieses Gespächs sind im Nebentrakt die Bauarbeiter am Werk, die Psychiatrie wird wie angekündigt ausgebaut. Sind weitere Investitionen vorgesehen?
Wo sinnvoll, werden wir auch in Zukunft investieren. Mit der angespannten finanziellen Situation müssen Investitionen aber gut überlegt sein. Wir haben im Spital teils Infrastruktur, die 40- oder 50-jährig ist. Haben wir die Mittel, diese zu erneuern – und ist der Bedarf langfristig da? Wir wollen zukunftsorientiert handeln und investieren. Aktuell laufen beispielsweise Gespräche mit der Standortgemeinde zu einem möglichen Aufbau eines Hausärztenotfalls in einem Gebäudeteil. Auch das renovationsbedürftige Stattmattehaus – das ehemalige Schwesternhaus – wird in unsere Überlegungen einbezogen.
Das alles tönt ganz so, als ob Frutigen weiterhin ein richtiges Spital haben wird?
Ja, es braucht den Standort: Schon heute ist das Spital Frutigen Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und touristischen Tagesund Feriengäste. Gleichzeitig sind wir gefordert, den Standort zukunftsgerichtet weiterzuentwickeln. Aufgrund der Bevölkerungsstruktur und -grösse benötigt es eine Bettenstation, ein stationäres Angebot in der Region. Klar ist auch, dass es im Frutigland einen Mangel an Hausärzten gibt, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Es ist deshalb ein zentraler Auftrag des Spitals, mit einem gut funktionierenden Notfall rund um die Uhr Hilfestellung zu bieten.
Erstmals wird die Spitäler fmi AG auch am Frutig-Märit vom 31. Oktober 2025 präsent sein. Vor dem Amthaus Frutigen stellt sie gemeinsam mit dem Regierungsstatthalteramt und der Kantonspolizei ihr Dienstleistungs- und Ausbildungsangebot vor und präsentiert ihr neues Ambulanzfahrzeug.
ZUR PERSON
Dr. Karin Ritschard Ugi (45) ist in Interlaken aufgewachsen und heimatberechtigt. Sie hat ihre berufliche Laufbahn in der Pflege begonnen und sich einen breiten Erfahrungsschatz in verschiedenen Tätigkeitsgebieten des Gesundheitswesens erworben. Sie ist seit Juni 2021 Mitglied des Verwaltungsrats der Spitäler fmi AG und steht diesem seit Juni 2023 als Präsidentin vor. In dieser Funktion hat sie massgeblich bei der Erarbeitung und Verabschiedung der Standortstrategie Frutigen mitgewirkt und ist seit dem 1. Juni 2025 auch interimistische CEO und Vorsitzende der Geschäftsleitung der Spitäler fmi AG. Ab März 2026 übernimmt diese Funktion die kürzlich gewählte Stephanie Hackethal (der «Frutigländer» berichtete). HSF
Was läuft aktuell am Standort Frutigen?
Die Spitäler fmi AG hat mit dem Abbau der Geburtshilfe gleichzeitig einen Ausbau anderer Bereiche in Frutigen angekündigt. Wie weit ist dieser definitiv oder fortgeschritten? Ein kurzer Überblick.
Ausbau Psychiatrie
Aktuell sind die Umbauarbeiten im Gang, offiziell eröffnet wird die stationäre Abteilung auf Januar 2026. Dafür wird eine nur wenig ausgelastete Etage ausgebaut. Vorgesehen sind zum Start zehn Betten für die stationäre Behandlung sowie dieselbe Anzahl Behandlungsplätze ab Februar für die Tagesklinik. Bisher hat in Frutigen ein ambulantes Angebot bestanden, man decke neu eine Versorgungslücke im Kandertal ab und spreche auch überregionale Patientinnen und Patienten an. Das stationäre Angebot umfasst vor allem die kurzzeitige Krisenintervention, Mütter mit Kleinkindern und Frauen in der Menopause. Mit der Anstellung der nötigen Fachpersonen sei man derzeit gut unterwegs.
Stärkung Notfall
Diese Abteilung soll unabhängiger vom laufenden Spitalbetrieb werden und sich auf den Notfall konzentrieren können. Dies betrifft sowohl Personal als auch Infrastruktur, umfasst zusätzliche Angestellte und eigene Geräte. Eine enge Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten – am Boden wie auch in der Luft – ist eine Grundvoraussetzung.
Oftmals im Winter ist Frutigen wegen Nebel der einzige Standort, der angeflogen werden kann und entsprechend muss für komplexe Fälle auch der Weitertransport der PatientInnen organisiert werden können.
Kooperation Rettungsdienst
Die bestehende und gut laufende Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst der STS AG werde sicher künftig noch enger, sagt Karin Ritschard Ugi. Eine besondere Herausforderung bleibe der Tourismus. Deshalb sei der saisonale Standort des Rettungsdienst Frutigland in Adelboden im Winter unbestritten. Gleichzeitig sorgen die Tagesgäste auch regelmässig vor allem im oberen Kandertal für Staus auf der Strasse. Es gebe aber kaum Rückmeldungen von den Rettungskräften, dass ein Durchkommen nach Kandersteg nicht möglich sei. «Die Rettungsgassen funktionieren trotz beengten Verhältnissen. Ansonsten muss ein Helikopter eingesetzt werden», sagt die VR-Präsidentin. Sie betont, dass der Rettungsdienst fmi viel Erfahrung bei Einsätzen in anspruchsvollem Gelände habe.
Gesundheitsnetzwerk Kandertal
Gemeinsam mit der Planungsregion Kandertal soll das Gesundheitsnetzwerk als Teil der vom Kanton vorgesehenen integrierten Versorgung entstehen. Karin Ritschard Ugi erklärt: «Es geht darum, dass der Patient zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort geht. Kommunikation, Information und Vernetzung auf einer regionalen Plattform sind zentral.» Sie nennt als Beispiel, dass das Spital wissen muss, wann welche Hausärzte in den Ferien sind und allenfalls entsprechend den Notfall in dieser Zeit verstärken kann und nicht von zusätzlichen Patienten überrascht wird. In dieses Netzwerk zur Gesundheitsversorgung sollen aber auch Spitex, Apotheken und Drogerien eingebunden werden. Im Oktober ist ein weiteres Treffen – gemeinsam organisiert mit der Planungsregion Kandertal – der bisher Beteiligten und potenzieller Partner vorgesehen. So soll das Verständnis für die sich verändernde Gesundheitslandschaft und die unterschiedlichen Bedürfnisse geschaffen werden.
HSF