Das Stehaufmännchen aus Frutigen
17.05.2024 FrutigenMUSIK Nils Burri ist ein künstlerischer Schwerarbeiter, für sein facettenreiches Album «Colorblind» nahm sich der Musiker drei Jahre Zeit. Das neue Werk wird am 30. Mai in der Mühle Hunziken in Rubigen getauft.
MARIA STEINMAYR
Manchmal ...
MUSIK Nils Burri ist ein künstlerischer Schwerarbeiter, für sein facettenreiches Album «Colorblind» nahm sich der Musiker drei Jahre Zeit. Das neue Werk wird am 30. Mai in der Mühle Hunziken in Rubigen getauft.
MARIA STEINMAYR
Manchmal schwermütig mit rauchiger Stimme, dann wieder froh und luftig: Auf dem neuen Album von Nils Burri findet sich von tiefgründigen Balladen bis hin zu hoffnungsvollen Pop-Rock-Songs so einiges. Die Texte erzählen nicht nur von den Sonnseiten im Leben des Musikers, sondern leuchten ebenso die schattigen Winkel aus. Nils Burri komponiert seine Lieder selbst und verfasst auch die englischsprachigen Texte. Im Gespräch erläutert der Frutiger, was ihn beim Komponieren inspirierte, weshalb er nur selten Musik konsumiert und was er vom Alleinsein hält.
«Frutigländer»: Wieso singen Sie auf Englisch und nicht in Ihrer Muttersprache?
Deutsch fühlt sich für mich beim Singen wie eine Fremdsprache an. Ich weiss, das mag komisch klingen, aber im Englischen kann ich mich sehr gut ausdrücken. Zudem ist der Dialekt ausserhalb des Berner Oberlands oftmals ein Problem.
Sie wohnen nicht mehr im Tal, haben Sie noch viel Kontakt zu Ihrer Heimat?
Ich komme immer gerne zurück und pflege viele Freundschaften, die in jungen Jahren entstanden sind. Meine Kindheit in Frutigen hat mir gute Grundwerte vermittelt, dafür bin ich dankbar. Doch irgendwann musste ich raus und auch mal auf die Nase fallen, um meine musikalische Karriere in Gang zu setzen. Der Wegzug hat mir sehr geholfen, mich weiterzuentwickeln, ebenso bin ich toleranter und offener geworden. Jetzt wohne ich in der Nähe von Thun, das ist auch logistisch gesehen einfacher, denn manche Konzerte sind in Bern oder Graubünden.
Man liest, dass Sie generell viele Konzerte spielen?
Das stimmt, ich spiele gerne live, egal ob vor grossem Publikum wie am Gurtenfestival oder bei einer Firmenfeier. Im Durchschnitt sind es 80 bis 100 Konzerte pro Jahr.
Das ist eine überschaubare Anzahl, kann man davon denn gut leben?
Reich wird man definitiv nicht, auch wenn das relativ ist. Allerdings steht bei mir die Leidenschaft über dem Geld. Solange ich von der Musik leben kann, ist das in Ordnung. Ebenso benötige ich meinen Freiraum und auch viel Zeit, um kreativ sein zu können.
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Fröhliche Songs und Mitsingparolen wie «Feel the Love» (das Video dazu wurde zwischen Wildstrubel und Blüemlisalp gedreht) sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Nils Burri nicht immer nur vom Glück gesegnet war. Seine Ehe ging in die Brüche und er verlor einen Sohn kurz nach dessen Geburt. Auf seinem neuen Album findet man auch einen Song über das allani-Kinderhospiz in Bern, der mit dem passenden Namen «Hope» schwerkranken Kindern und deren Eltern Hoffnung geben soll.
Hatten Sie nie Mühe, so offen mit schwierigen Themen umzugehen?
Ich bin jemand, der grundsätzlich über alles redet. Allerdings kann das für das Umfeld herausfordernd sein. Besonders bei Themen wie Kindsverlust. Deswegen hilft mir die Songschreiberei beim Verarbeiten solcher Erlebnisse.
Musik ist also Ihre Therapie?
Auf jeden Fall. Es ist das Schönste für mich, wenn ich im Bandraum stehen kann und Lieder schreibe. Mir ist so viel Negatives passiert, doch das hat auch sein Gutes, denn daraus ist ein Grossteil meiner Musik entstanden. Ich verarbeite vieles in meinen Liedern. Auf dem neuen Album «Colorblind» ist zwischen buntem Glück und tristem Grau alles dabei.
Ihr Album ist ja nicht gerade über Nacht entstanden.
Meine Songs entstehen über einen längeren Zeitraum, denn ich kann mich nicht wie andere einen Monat lang hinsetzen und durchschreiben. Doch ich denke, so wird das Ganze abwechslungsreicher. Ich möchte nicht, dass die Leute sagen: «Das tönt ja alles gleich.» Es muss vielfältig sein, das ist mein Anspruch an mich selbst. Ich denke, das ist mir gelungen, und ich bin stolz auf dieses Album, aber im Endeffekt entscheiden die anderen.
Das wird sich in zwei Wochen in der Mühle Hunziken bei Ihrer Plattentaufe zeigen. Sind Sie aufgeregt?
Sehr. Und gleichzeitig ist die Vorfreude gross. Man muss einfach einmal an einem Konzert in der Mühle Hunziken dabei gewesen sein. Der Ort sprüht vor Charme und hat etwas Magisches an sich. Dort wird schon seit vielen Jahren Musik gemacht. Nach den letztjährigen Shows am SnowpenAir und am Seaside Festival in Spiez steht mit der Plattentaufe in der Mühle Hunziken das nächste Highlight vor der Türe. Es sind noch ein paar wenige Tickets erhältlich
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Die Mühle Hunziken wurde bereits von allen möglichen Grössen der Musikszene bespielt, allerdings nie von den Lieblingsmusikern Burris – Michael Jackson und Prince. Musikalisch beeinflusst wurde der Frutiger unter anderem auch von den Counting Crows sowie von John Mayer. Doch privat hört Burri laut eigenen Angaben gar nicht allzu viel Musik.
Ihre Vorbilder singen alle auf English, wie sieht es denn privat mit deutscher oder Schweizer Musik aus?
Eigentlich höre ich querbeet. Zum Beispiel auch Patent Ochsner, obwohl ich eher im Hip-Hop-Bereich angesiedelt bin. Ich mag die Berner Mundart-Rapper Baze oder Chlyklass, zudem gefallen mir Peter Fox und Jan Delay – eher die alten Sachen halt. Generell höre ich sehr wenig Musik, dafür dass ich Musiker bin.
Warum?
Im Auto höre ich zum Beispiel überhaupt keine Musik. Höchstens mal einen Podcast. Der Grund ist sicher, dass ich mit meinen Kindern viel um die Ohren habe, sie sind zu 50 Prozent bei mir. Ansonsten bin ich im Bandraum und werde dort dauerbeschallt. Dann geniesse ich auch mal die Stille. Im Zug tragen 90 Prozent Kopfhörer. Ich mag es hingegen, wenn sich Menschen ab und zu noch miteinander unterhalten. Ich für meinen Teil verbringe ohnehin viel Zeit allein – sei es auf dem Weg zu Konzerten oder im Bandraum. Das Leben eines Musikers ist oft einsamer, als man denkt.
Sind Sie denn gerne allein?
Eigentlich nicht. Seit der Trennung von meiner Frau ist das nicht so einfach, allerdings verbringe ich viel Zeit mit meinen Kindern. An den Wochenenden bin ich mit den Konzerten unterwegs, aber sonst verbringe ich schon einiges an Zeit allein im Bandraum. Obwohl ich mit meiner Band unterwegs bin, bereiten wir uns alle individuell vor. Vieles läuft online ab und man trifft sich vor den Konzerten nur zwei- bis dreimal für gemeinsame Proben. Das sind alles Profimusiker, somit funktioniert das, aber ich habe mir lange eine Band wie Pegasus gewünscht, in der alle befreundet sind. Ich habe zwar probiert, mit Kollegen Musik zu machen, aber ich war so auf meinen Weg fokussiert, dass ich kompromisslos aussortieren musste, um nicht gebremst zu werden. Manchmal muss man auch unpopuläre Entscheidungen treffen.
Sie könnten sich jemanden für ein Duett auf Schweizerdeutsch oder Frutigtütsch suchen?
Ja, wieso nicht? Am meisten reizen würde mich eine Zusammenarbeit mit Melanie Oesch. Generell finde ich es spannend, Genres zu vermischen. Auch eine Co-Produktion mit Baze wäre für mich ein Traum, er ist mein Lieblingsrapper. Ich finde, ab und zu muss man einfach etwas wagen. Aber jetzt freue ich mich erst mal auf die Plattentaufe. Wer weiss, was die Zukunft noch bringt …