«Dass wir die Schweiz einmal im Jahr feiern, finde ich mehr als richtig»
25.07.2025 Frutigen«Am 1. August kann man schon mal demütig werden»
Während ihrem Jahr als Nationalratspräsidentin nimmt Maja Riniker (FDP) keine Stellung zu politischen Themen. Für Fragen über die Schweiz und die Demokratie ist sie allerdings eine begehrte ...
«Am 1. August kann man schon mal demütig werden»
Während ihrem Jahr als Nationalratspräsidentin nimmt Maja Riniker (FDP) keine Stellung zu politischen Themen. Für Fragen über die Schweiz und die Demokratie ist sie allerdings eine begehrte Gesprächspartnerin. Mit dem «Frutigländer» unterhielt sie sich über ihr Amt und den Bundesfeiertag.
Die Sonne scheint ins Büro der Nationalratspräsidentin unter der kleinen Kuppel Ost im Bundeshaus, als sich der «Frutigländer» mit der Nationalratspräsidentin zum 1.-August-Interview trifft. Sie ist soeben von ihrem Besuch in der Ukraine zurück gekommen. Freundlich lädt Maja Riniker am grossen Holztisch zum Gespräch ein. Die FDP-Politikerin nimmt sich Zeit. Die Vielfalt der Regionen und der Medien ist der 47-Jährigen wichtig.
Frutigländer: Maja Riniker, wie feiern Sie den 1. August?
Maja Riniker: Am 31. Juli feiere ich in Bad Zurzach, in meinem Heimatkanton Aargau. Am 1. August bin ich dann am Tag der offenen Tür im Bundeshaus und werde mich mit Ständeratspräsident Andrea Caroni den Fragen von Besucherinnen und Besuchern stellen. Danach gehe ich nach Appenzell Innerrhoden, wo ich eine Festansprache halte.
Weshalb gerade im Appenzell?
In diesem Kanton war ich dieses Jahr noch zu keinem offiziellen Besuch. Es ist auch sehr schön dort. So habe ich die Einladung von Landesfähnrich und Vorsteher des Justiz-, Polizei-, und Militärdepartements Jakob Signer gerne angenommen.
Haben Sie auch persönlich etwas geplant?
Seit ich politisch aktiv bin, gehören Auftritte an 1.-August-Feiern dazu – und ich nehme sie gerne wahr. Nebst den Ansprachen gibt es Gelegenheit für gemütlichen Austausch – irgendwo daneben wird ein Vulkan entzündet – und ich erlebe sehr schöne Momente.
Würden Sie sich als Patriotin bezeichnen?
Ich bin eine stolze Schweizerin; stolz auf alle, die etwas zu diesem Land beitragen. Ich erwarte das auch. Es gibt viele Möglichkeiten dazu, so etwa in der Gemeindepolitik oder in der Feuerwehr. Engagement verstehe ich als Aufgabe für Bürgerinnen und Bürger der Schweiz.
Es «tschuderet» mich, wenn wir an der 1.-August-Feier die Landeshymne anstimmen und von unserem freien Land singen. Gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Welt sieht man, wie wertvoll Freiheit und Sicherheit sind. Am 1. August kann man schon mal demütig werden. Es ist ein Glück, in der Schweiz leben und sich für unser Land engagieren zu dürfen.
Was braucht es für das Amt der Nationalratspräsidentin?
Von Vorteil ist eine integrative, zugängliche und offene Persönlichkeit. Sprachkenntnisse sind wichtig, um bei internationalen Besuchen nicht immer gleich einen Dolmetscher oder eine Dolmetscherin beiziehen zu müssen.
Dann ist auch Robustheit gefragt. Das Amt ist intensiv und es erfordert Konzentration, von morgens um 8 bis abends um 19 Uhr die Session zu leiten. Als Nationalratspräsidentin begleite ich die Geschäfte, teile die Wortmeldungen ein, spreche mich mit dem Ständerat ab,
führe Abstimmungen durch und stelle sicher, dass die Ratsdebatten ordentlich ablaufen. Dazu gehören auch disziplinarische Ermahnungen, etwa die Erinnerung daran, dass während der Debatte nicht im Saal telefoniert werden soll.
Man muss auch willens sein, zwei Jahre darauf zu verzichten, sich parteipolitisch oder zu tagespolitischen Themen zu äussern – als Vizepräsidentin und dann als Präsidentin. Denn es geht bei dem Amt darum, den Rat während vier Sessionen zu leiten und dabei für alle da zu sein.
Ab der Wintersession am 2. Dezember wird der jetzige Vizepräsident Pierre-André Page (SVP) Ihre Rolle übernehmen. Danach sind Sie wieder zu 100 Prozent Nationalrätin?
Ich freue mich schon darauf, dass man mich als Politikerin wieder spürt. Ich bin Sicherheitspolitikerin und werde mich zum Beispiel wieder intensiv mit den Dossiers der europäischen Sicherheitsarchitektur, Neutralität oder der Beziehung zu Europa beschäftigen.
Welchen Bezug haben Sie persönlich zu den Alpen?
Ich finde die Alpen wunderbar. Selbst gehe ich oft in die Berge, um mich zu erholen. In Grindelwald habe ich das Privileg eines eigenen Rückzugsorts. Dort sehe ich aber auch, wie der Klimawandel die Natur verändert. Ich schätze es, mit den Einheimischen zu sprechen. Unserem Land täte es gut, etwas mehr Austausch unter den Regionen zu haben. Denn die Schweiz ist vielfältig und besteht aus verschiedenen Regionen. In den Bergen und in den Städten herrscht ein unterschiedlicher «Groove». Das sehe ich auch an unseren Volksvertretern und -vertreterinnen im Parlament. Einige kommen in die Session ins Bundeshaus, nachdem sie um vier Uhr morgens die Kühe gemolken haben, andere reisen aus einer Grossstadt an.
Mit Destinationen wie dem Oeschinensee ist «Overtourism» ein Thema im Frutigland. Wie stehen Sie zu diesem Phänomen?
Der Tourismus ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Schweiz – gleichzeitig gilt es, mit seinen Schattenseiten verantwortungsvoll umzugehen. Ich weiss, dass zum Beispiel beim Blausee die Anzahl Besucherinnen und Besucher eingeschränkt wird. Das kann an Hotspots Sinn machen. Gleichzeitig sollte man sich gerade als Schweizerin und Schweizer überlegen, was es für Alternativen gibt. Oft sind am selben Ort andere, ebenso schöne Wanderwege vorhanden, auf denen viel weniger los ist.
Ich denke, es kann nützlich sein, klare Regeln zu kommunizieren, um die regionale Natur und Landwirtschaft zu schützen: In der Schweiz tritt man nicht ins hohe Gras, um ein Foto zu schiessen, weil es von den Bauern noch verwendet wird. Oder man lässt keinen Abfall liegen, man campiert nicht frei und desgleichen mehr.
Am 1. August feiert sich die Schweiz selbst. Hat das Land an der Bundesfeier 2025 etwas zu feiern?
Doch, ja. Am Bundesfeiertag können wir uns daran erinnern, was die letzten Generationen für die Schweiz getan haben und wo wir zukünftig hinwollen. Wir Schweizerinnen und Schweizer sind sehr bescheiden. Dass wir die Schweiz einmal im Jahr feiern, finde ich mehr als richtig.
Wie stehen Sie zur «Wilhelm Tell»-Erzählung?
Die Figur des Freiheitshelden ist ein Mythos mit grossem Symbolcharakter. Sie hat mich nicht geprägt. Die Gründung des Bundesstaats im Jahr 1848 ist für mich das bedeutsame Ereignis in der Entwicklung unseres Landes. In Ansprachen nehme ich aber auch gerne Bezug auf Schriftsteller und Autorinnen. Ich habe vor kurzem in einer Rede Zitate von Friedrich Dürrenmatt und seiner Auseinandersetzung mit unserem politischen System verwendet. 1993 wurde übrigens eines seiner Stücke im Nationalratssaal aufgeführt. Ich lasse mich also von vielfältigen Ideen inspirieren und greife deren Perspektiven gelegentlich in meinen Reden auf.
Sie blicken auf eine erfolgreiche Karriere zurück. Haben Sie Tipps für unsere Leser und Leserinnen: Wie schafft man, was man schaffen möchte?
Ich habe in meiner Vergangenheit beobachtet, wie Ernsthaftigkeit und Freude Menschen weitergebracht haben. Mein Vater etwa war Architekt und ich erinnere mich an die Freude, die er ausstrahlte, immer dann, wenn er ein neues Haus einweihen konnte.
Mein Tipp: Das machen, was einem Freude bereitet. Ich hatte zum Beispiel als 15-Jährige nicht das Ziel, Nationalratspräsidentin zu werden. Doch ich ergriff die Chance, in die Politik zu gehen, weil es mir Freude machte. So ist die Arbeit keine Last, sondern eine Bereicherung. Es ist für mich auch wichtig, mich fürs Land zu engagieren.
ANGELA KRENGER
Maja Riniker ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. 2003 trat die heute 47-jährige Aargauerin in die FDP ein. 2014 bis 2019 politisierte sie im Aargauer Parlament, danach wurde sie zur Nationalrätin gewählt. Seit Dezember 2024 amtiert sie ein Jahr lang als Nationalratspräsidentin. In ihrer Freizeit verbringt sie gerne Zeit mit ihrer Familie, wandert, fährt Ski, und trifft Freunde.