Den Frieden pflegen, bevor es eskaliert
09.02.2024 FrutigenIm Rahmen der Ökumenischen Erwachsenenbildung zum Thema «Ernstfall Frieden» informierte Una Hombrecher letzten Dienstag über ihre Tätigkeit als HEKS-Beauftragte. Das Hilfswerk leistet bei Kriegen humanitäre Nothilfe und setzt in Unruhegebieten auf ...
Im Rahmen der Ökumenischen Erwachsenenbildung zum Thema «Ernstfall Frieden» informierte Una Hombrecher letzten Dienstag über ihre Tätigkeit als HEKS-Beauftragte. Das Hilfswerk leistet bei Kriegen humanitäre Nothilfe und setzt in Unruhegebieten auf Prävention und Vermittlung.
PETER ROTHACHER
«Ein Leben in Würde und sozialer Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.» Dies ist das Fazit der Ethnologin und Geografin Una Hombrecher. Die aus Deutschland stammende Frau ist seit 2009 Beauftragte für Konflikttransformation, Zivilgesellschaft und Recht auf Land beim Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in der Schweiz (HEKS). Wie lässt sich – unter den oft schwierigen Bedingungen in Krisengebieten – ein Leben in Würde ermöglichen? Wie können soziale Unruhen vermieden werden, damit es nicht zu einem Krieg kommt? Auf solche Fragen erhofften sich die rund 30 Anwesenden im Kirchgemeindehaus Frutigen Antworten. Und sie sollten nicht enttäuscht werden.
«Aber nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie!»
Der seit 17 Jahren in Frutigen tätige Pfarrer Christian Gantenbein hielt zum Einstieg ins Thema fest: «Der Titel ‹Ernstfall Frieden› basiert auf den Schriften des Schweizer Theologen Karl Barth, der sich in Deutschland als Professor gegen das Hitlerregime gestellt hatte und in der Folge entlassen wurde.» Noch am Vorabend seines Todes im Dezember 1968 habe Barth in einem Telefonat mit einem Freund gesagt: «Ja, die Welt ist dunkel. Aber nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her!
Zur Arbeit von HEKS hielt dann Una Hombrecher fest: «Wir engagieren uns in über 30 Ländern auf vier Kontinenten zur Bekämpfung von Armut und Ungerechtigkeit. Wichtig ist, dass wir in unserer Arbeit auch versuchen, einen strukturellen Wandel anzuregen. Einerseits wird direkte Not gelindert, andererseits wollen wir den Menschen zu ihrer Würde und zu ihrem Recht verhelfen. Dies gerade auch mit kirchlicher Zusammenarbeit.»
In der Schweiz seien die Themenschwerpunkte Integration, Flucht und Migration sowie Recht auf Land und Nahrung. Über die Fusion mit «Brot für alle» sei zudem das Thema Klimagerechtigkeit dazugekommen.
HEKS besteht seit 75 Jahren
Nebst der humanitären Hilfe seien die langfristig angelegten, in 20 Ländern betriebenen Entwicklungsprojekte von grosser Bedeutung, betonte Hombrecher. HEKS sei gleich alt wie die «Erklärung der Menschenrechte», nämlich 75-jährig. Die Ursprünge gingen auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg zurück.
In einer Gesellschaft, die sich «nicht im Krieg» befinde, herrsche nicht automatisch «Frieden», hielt die Referentin fest. «Frieden ist nicht einfach die Abwesenheit von Spannungen: Es ist die Anwesenheit von Gerechtigkeit», zitierte sie Martin Luther King. «Es geht auch darum, dass alle Menschen die gleichen Rechte bekommen. Mit der Abwesenheit von direkter struktureller und kultureller Gewalt wird erst ein Friede möglich, der längerfristig Bestand haben kann.»
Oft erfordere das anhaltende Verhandlungen und Dialoge mit Regierungen und religiösen Würdenträgern. Umgekehrt müssten Angehörige von verwundbaren Gruppen und Kasten über ihre Rechte aufgeklärt werden. Frieden sei eine Voraussetzung, um Menschenrechte konstruktiv umzusetzen. «Deren Verletzungen erzeugen Wut und Hass, führen zu Unruhen und können in einen Bürgerkrieg ausarten», hielt Una Hombrecher fest.
Drei Ebenen von Gewalt
Die Referentin listete drei Gewaltformen auf: Die direkte Gewalt mit physischer Schädigung; die strukturelle Gewalt, die auf der ungleichen Verteilung von Ressourcen und Macht basiert, sowie schliesslich die kulturell legitimierte Gewalt an benachteiligten Bevölkerungsgruppen.
Bei der Stärkung benachteiligter Gruppen müssten alle Bevölkerungsschichten mit einbezogen werden, damit nicht noch mehr Spannungen entstehen. Una Hombrecher führte dazu Beispiele aus Indien, Kosovo, Rumänien und Serbien an. Wichtig sei, dass diese unterdrückten Gruppen auch in den politischen Prozess miteinbezogen würden, damit sie ihre Wünsche und Bedürfnisse mit einbringen können.
Angesichts der weltweit wachsenden Bedrohungen für Frieden und Stabilität listete die Referentin abschliessend einige Punkte aus dem Konzept der Vereinten Nationen auf:
• bestehenden Frieden nicht als selbstverständlich ansehen
• kontinuierlich an der Beibehaltung und Verbesserung des Friedenstatus arbeiten
• Konflikte präventiv vermeiden
• Schaffung einer gerechteren und umweltfreundlicheren Wirtschaftsordnung
Wohin die Gelder fliessen
Una Hombrecher zeigte sich optimistisch, dass dringend nötige Fortschritte möglich seien. «Aber leider Gottes fliesst die Förderung für internationale Projekte immer noch vielmehr direkt in die Infrastruktur und Wirtschaft. Und so sind viel weniger Gelder für langfristige Friedensbestrebungen vorhanden, obwohl solche Projekte zwar als wichtig betrachtet werden, aber nicht kurzfristig umsetzbar sind, um entsprechende Erfolge zu zeitigen.»
Pfarrer Christian Gantenbein beschloss den Vortragsabend mit dem Gedicht von Peter Härtling: Wenn jeder eine Blume pflanzte… und wünschte allen eine friedliche Zeit und endlose Hoffnung.
Informationen vermitteln
Im Frutigland hat die Ökumenische Erwachsenenbildung Tradition. Seit vielen Jahren organisiert jeweils ein regionales Pfarrteam Vorträge zu aktuellen Themen. Unter dem Titel «Ernstfall Frieden» fanden in den vergangenen Wochen wieder drei solche Vortragsabende statt. «Angesichts der vielen Kriege auf der Erde macht sich unter der Bevölkerung Angst und Ratlosigkeit breit», erklärte der Frutiger Pfarrer Christian Gantenbein. «Darum wollen wir Aufklärungsarbeit leisten, Hintergründe beleuchten und – auch aus religiöser Sicht – die Hoffnung auf eine positive Entwicklung stärken.»
Die Vortragsreihe wurde organisiert von den reformierten Kirchgemeinden Adelboden, Aeschi-Krattigen, Frutigen, Kandergrund-Kandersteg, Reichenbach und Spiez sowie der Römisch-katholischen Pfarrei Frutigen.
PRR