Der Gemeindepräsident wechselt die Bühne
12.01.2024 FrutigenSechs Jahre war Faustus Furrer «höchster Frutiger». Nun will er es zwar ein bisschen ruhiger angehen lassen, hat aber noch konkrete Ideen für politische Veränderungen – und für Theaterproduktionen.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Vor ...
Sechs Jahre war Faustus Furrer «höchster Frutiger». Nun will er es zwar ein bisschen ruhiger angehen lassen, hat aber noch konkrete Ideen für politische Veränderungen – und für Theaterproduktionen.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Vor genau einem Jahr hat Faustus Furrer seinen Rücktritt auf Ende 2023, also zur Halbzeit der zweiten Amtszeit, bekannt gegeben. Er habe lange darüber nachgedacht, das Für und Wider abgewogen, mit der Familie und seinem Umfeld gesprochen. Der Entscheid sei schliesslich klar ausgefallen. Sein Gesundheitszustand lasse öfters zu wünschen übrig und er wolle seine Kräfte «auf positive und konstruktive Aktivitäten» konzentrieren, die ihm Freude bereiten, begründete er damals gegenüber dem «Frutigländer». Nun hat Furrer das Amt abgegeben, und damit ist es Zeit für einen Rück- und Ausblick.
Herr Furrer, haben Sie das Amt des Gemeindepräsidenten unterschätzt?
Nein. Es war mir bewusst, dass man ein solches Amt mit mehr oder weniger Enthusiasmus bewältigen kann. Ich habe mich von Beginn an für die Variante «mit mehr Enthusiasmus» entschieden. Das hatte zur Folge, dass mehr Bürgerinnen und Bürger mit ihren Anliegen zu mir kamen, als ich erwartet hatte. So gesehen habe ich den Aufwand ein wenig unterschätzt. Aber ich verstand meine Funktion auch als Brücke zum Gemeinderat. Es war mir wichtig, eine Ansprechstelle für Bürger mit kritischen Anliegen zu sein. Dass diese Haltung nicht allen Ratsmitgliedern gefiel, hat mich ab und zu schon ein wenig enttäuscht.
In Ihrer Ombudsfunktion wurden Sie also mit überraschenden Themen oder Situationen konfrontiert?
Im Vergleich zu meiner beruflichen Vergangenheit in der Armee war das Amt doch sehr übersichtlich. Aber natürlich gab es die eine oder andere spezielle Begebenheit. So rief mich eine ältere Dame an, was sie machen solle, ihr Mann sei «abgehauen» und habe erst noch ihr Sparheft mitgenommen. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt …
Erzählen Sie von Ihren persönlichen Höhepunkten …
Unvergessen bleibt ein Besuch in der Schule in Kanderbrück. Man wollte von mir wissen, was ein Gemeindepräsident so macht. Der Empfang hat mich sehr berührt. Als ich im Schulhaus das Treppenhaus hochstieg, begannen die Zweitund Drittklässler bei offenen Zimmertüren, ein Lied anzustimmen. Es war eine eigens einstudierte Begrüssung für den Gemeindepräsidenten. Als ich einige Wochen später noch von jedem Schüler eine Zeichnung erhielt, war das schon ein berührender Moment.
… und bei politischen Veranstaltungen?
In Erinnerung bleibt mir die Gemeindeversammlung mit der Abstimmung über eine Klassenzusammenlegung – mit mehr als 900 anwesenden Frutigerinnen und Frutigern. Die Ruhe an diesem Abend und der gegenseitige Respekt trotz des sehr emotionalen Themas waren beeindruckend. Ich erinnere mich, dass meine Schlussworte «Heute Abend hat niemand gewonnen und niemand verloren» mit einem Applaus bestätigt wurden – und das, obschon die Abstimmung mit nur 18 Stimmen Unterschied ausging. Ein spezielles Erlebnis war auch, als ich mit zwei Schulklassen aus dem Widi-Schulhaus an der Jahresversammlung 2023 der Schweizerischen Patenschaft für Berggemeinden in Zürich teilnehmen durfte.
Und wie sehen die Tiefpunkte aus?
Davon gab es einige, die behalte ich heute lieber für mich. Aber dass es Meinungsverschiedenheiten und Konflikte mit Mitgliedern der politischen Behörde gab, ist kein Geheimnis. Wichtig ist für mich, dass ich glaube, dass das Positive das Unvermögen letztlich besiegen wird. In meinem Alter wird man sich bewusst, dass man zu wenig Zeit hat, um sich immer und immer wieder mit dem Vergangenen zu beschäftigten. Leicht verliert man dabei erreichbare Ziele und erstrebenswerte Visionen aus den Augen. Wie sagte der österreichische Schriftsteller Franz Grillparzer: «Eine frohe Hoffnung ist mehr wert als zehn trockene Wirklichkeiten.»
Würden Sie mit dem heutigen Wissen und den gemachten Erfahrungen nochmals zur Wahl antreten?
Natürlich. Ich liebe Herausforderungen und war vor sechs Jahren auch bereit, das Risiko einer Nichtwahl einzugehen.
Sie sind als umtriebiger Gemeindepräsident bekannt geworden, verschwinden Sie jetzt von der Bildfläche?
Zuerst gönne ich mir ein bisschen mehr Ruhe, damit ich wieder zu Kräften komme. Wäre ich ein Auto, würde mir das Kontrollzentrum anzeigen, dass ich nur noch auf zwei der vorhandenen vier Zylinder laufe. Klar ist auch, dass ich keine offizielle Funktion in einer Partei oder in einem politischen Amt mehr anstreben werde. Das darf ich jetzt mit Freude Jüngeren überlassen. In diesem Sinne setzte ich mich zur politischen Ruhe, aber ich werde weiterhin als Bürger versuchen, einen konstruktiven Beitrag zum Gemeindewohl zu leisten.
Das heisst konkret?
Aufgrund meiner Erfahrungen und des Einblicks in die Gemeindepolitik denke ich, dass unsere Gemeinde eine moderne und den heutigen Anforderungen entsprechende Gemeindeordnung dringend benötigt. Eine effizientere Zusammenarbeit zwischen Gemeinderat und Verwaltung muss mit schlankeren Strukturen und einer neuen Kompetenzverteilung erreicht werden. Dieses Anliegen werde ich mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern vorantreiben, doch für Details ist es noch zu früh. Jetzt will ich zuerst einmal ein wenig Abstand von Gemeindeanliegen gewinnen.
Langweilig wird es Ihnen aber kaum. Da ist ja noch Ihre Reiseagentur …?
Mein vorzeitiger Rücktritt ermöglicht es mir nun, intensiver meinen Hobbys nachzugehen. Dazu gehört die Organisation von Reisen, wobei mir die letzte Reise vor zwei Monaten nach Usbekistan meine gesundheitlichen Grenzen definitiv aufgezeigt hat. Mein Aktionsradius wird in Zukunft wesentlich kleiner werden.
… und ganz aktuell das Freilichttheater?
Wir stecken mitten in den Vorbereitungen für das Freilichtspiel «Lötschberg – ein Tal im Aufbruch». Die Schauspielerinnen und -spieler haben mit ihren Proben begonnen. Meine Arbeit als OK-Präsident entspricht aktuell vor den Aufführungen etwa einem 40-Prozent-Pensum. Das ist eine grosse Herausforderung für alle ehrenamtlich Beteiligten. Insbesondere muss das Gesamtbudget von 360 000 Franken gedeckt werden können. Noch sind viele Aufgaben zu lösen und zu bewältigen, bevor die Premiere am 3. Juli 2024 beim historischen Bahnhof in Frutigen stattfinden kann. Aber wie sagte Wilhelm Busch: «Ich bin Pessimist für die Gegenwart, aber Optimist für die Zukunft.»
Die Nachfolge
Der parteilose Faustus Furrer (73) wurde für die Legislatur 2018 – 22 zum Gemeindepräsidenten gewählt und für die zweite Amtszeit still bestätigt. Auf Ende 2023 ist er vorzeitig zurückgetreten. Nachfolger bis zum Ende der Legislatur im Dezember 2025 ist der bisherige Vizepräsident Urs Kallen. Er hatte bereits als Gemeinderat amtiert, bevor er 2018 das Vize-Gemeindepräsidium übernahm. In dieses wurde Marianna Bütschi-Schmid in stiller Wahl gewählt.
HSF