Der Ruhestand ist unruhig
29.11.2024 Reichenbach, KientalLangjährige Mitarbeiter und deren Erfahrung sind für Firmen wertvoll. Diese Einsicht wird umso stärker, je näher das Pensionsdatum rückt. Bei Wyssen Seilbahnen betrifft dies in den nächsten Tagen Ruedi Zurbrügg – und irgendwie auch Peter Althaus ...
Langjährige Mitarbeiter und deren Erfahrung sind für Firmen wertvoll. Diese Einsicht wird umso stärker, je näher das Pensionsdatum rückt. Bei Wyssen Seilbahnen betrifft dies in den nächsten Tagen Ruedi Zurbrügg – und irgendwie auch Peter Althaus und Joaquim Martins.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Wenn Arbeitnehmer viele Jahre beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt sind, ist das ein Qualitätsmerkmal – für beide Seiten. Bei der Wyssen Seilbahnen AG in Reichenbach (WSR) geht einer der langjährigen MitarbeiterInnen in wenigen Tagen in den Ruhestand. Zwei andere denken langsam über eine weitere Pensenreduktion nach – obwohl sie bereits pensioniert sind. Für den Geschäftsführer Jakob Wyssen ist das ein Verlust, auch wenn es bereits Nachfolger gibt: «Wir haben grundsätzlich eine tiefe Fluktuation, aber es findet naturgemäss eine Verjüngung der Belegschaft statt.»
Der Werkstattchef
Schon fast zwei Jahre über seinem ordentlichen Pensionsalter ist Peter Althaus. Er kam 2010 als Werkstattleiter nach Reichenbach. Seine Karriere hatte er in Thun bei der damaligen Habegger-Seilbahnfirma als Mechaniker begonnen. Nach einigen Wechseln und Weiterbildungen landete er beim staatlichen Rüstungsunternehmen RUAG. «Das waren andere Dimensionen», sagt er und zeigt ein Bild von einer Leopard- 2-Panzerwanne und dem Geschützturm einer Panzerhaubitze. «Bei Wyssen waren nicht diese grossen Durchmesser die Herausforderung, sondern dass ich die Werkstatt neu und effizienter organisieren musste. Ich konnte aber auch weitgehend selbst entscheiden», erzählt Althaus. Im Laufe der Zeit seien immer neue Aufgaben wie die Lehrlingsausbildung und Arbeitssicherheit hinzugekommen. Alles das hat ihm offenbar gefallen, denn er betont, nie an einen Branchenwechsel gedacht zu haben, und lobt insbesondere den freundschaftlichen Umgang im Team. Den Chefposten hat er an seinen Nachfolger abgegeben. Zurzeit arbeitet er noch mit einem 40-Prozent-Pensum im Betrieb und denkt nach eigener Aussage «nun doch über eine Pensionierung Anfang 2025 nach» – mit fast 67 Jahren.
Der Mechaniker
Auch Joaquim Martins ist mit 67 Jahren noch fast unentbehrlich. Bekannt ist er vielen in der Region vom Fussballfeld. Mehr als 30 Jahre hat er als Platzwart des FC Frutigen amtiert und über 40 Jahre als Schiedsrichter. «Damit ist es wie mit der Arbeit: So langsam möchte ich ein bisschen reduzieren.» Der gebürtige Portugiese kam 1977 in die Schweiz, wo Verdienst lockte. Zuhause hatte er nach der Schule als Maurer gearbeitet, nach einem Abstecher in ein Lausanner Hotel kam er mit seiner späteren Frau nach Frutigen. In der Maschinenfabrik Trummer in Zrydsbrügg erhielt der ungelernte Quereinsteiger die Chance, als Mechaniker zu arbeiten, und seit 1989 ist er in der Reichenbacher Seilbahnfirma beschäftigt. Wenn es um knifflige Werkstücke geht, ist er der Richtige an der Drehbank oder der CNC-Maschine. Er könne Teile fertigen, die niemand sonst hinkriege, sagt Geschäftsführer Jakob Wyssen. Ein bisschen Sorgen bereiten ihm Martins Pensionierungsankündigungen deshalb schon. Martins’ selbst sorgt sich nicht, jedenfalls nicht um Langeweile: Der aufgestellte Mechaniker ist regelmässig in Portugal und baut ein Haus.
Der Einkäufer
Wer definitiv in ein paar Tagen sein Büro räumen wird, ist Ruedi Zurbrügg. Fast die Hälfte der 98-jährigen Firmengeschichte hat er miterlebt und -geprägt. Aktuell arbeitet er für die dritte Besitzergeneration, hat auch den ursprünglichen Firmengründer Jakob Wyssen miterlebt. Vor genau 50 Jahren habe er als Mechaniker eine Schnupperlehre bei der Seilbahnfirma absolviert. Nach einem Unterbruch ist er seit 1975 im Reichenbacher Unternehmen beschäftigt und besorgt dort den Einkauf und die Arbeitsvorbereitung. Ohne diese kann weder produziert noch montiert werden – und in Reichenbach werden sehr viele Teile der Materialseilbahnen, Seilwinden oder Sprengmasten hergestellt. Auf besondere Ereignisse in seinem Arbeitsbereich angesprochen, erzählt Zurbrügg vom Telefax – damals «ein Quantensprung» und heute ein Gerät, das mit ganz wenigen Ausnahmen längst ausgedient hat. Schmunzelnd spricht Zurbrügg auch von den ersten Computern im Betrieb, wobei er betont, dass ihn technische Fortschritte immer stark interessiert hätten. Er habe sowieso immer neue Werkstoffe oder Herstellungsmöglichkeiten berücksichtigen müssen. Mit einem Lachen bemerkt er nebenbei, dass er bis heute keinen schriftlichen Arbeitsvertrag habe, was doch ein Beweis des gegenseitigen Vertrauens sei.
Im Gegensatz zu seinem Arbeitskollegen Peter Althaus hat Ruedi Zurbrügg sehr konkrete Pläne für die nächste Zeit. «Ich habe ein Blatt Papier, auf dem sind allerhand Ideen aufgelistet, was ich mit meiner Frau vermehrt oder überhaupt einmal machen will. Ganz zuoberst steht ‹Grosskinder hüten›.» Daneben zählt der begeisterte Velo- und Skifahrer aber auch «Spargel stechen» auf, «in einer Lokomotive oder einem grossen Schneepflug mitfahren» und «Weintrauben lesen». Der 65-Jährige wird definitiv weiterhin aktiv sein.