Der Umbau des Energiesystems kann beginnen

  11.06.2024 Politik

ENERGIE Klares Verdikt: Eine sichere Stromversorgung und die Förderung erneuerbarer Energiequellen ist den SchweizerInnen wichtig. Auch im Frutigland ist man dieser Ansicht, wenn auch unterschiedlich deutlich.

HANS RUDOLF SCHNEIDER
Elektrische Energie soll in der Schweiz zunehmend aus erneuerbaren Quellen produziert werden. Um die Sonne besser und vor allem rascher zu nutzen, startete der Bund den «Solar-Express». Damit sollen hochalpine Solaranlagen einfacher ermöglicht und stark subventioniert werden. In Saanen entgleiste dieser Express letzten Freitag zum zweiten Mal. Ein Projekt wurde an der Gemeindeversammlung mit 539 Nein- zu 209 Ja-Stimmen auch in redimensionierter Form wuchtig abgelehnt. Damit ist das Vorhaben zumindest in Saanen vom Tisch. Insbesondere der Landschaftsschutz war von den Gegnern als Argument ins Feld geführt worden.

Im Gegensatz dazu haben das Lichtund Wasserwerk Adelboden (LWA) und seine Projektpartnerin, die BKW, ein Ja von den Gemeindebürgern für ihr Projekt an Tschenten erhalten. LWA-Geschäftsführer Pascal von Allmen: «Wir befinden uns mit dem Projekt der alpinen Solaranlage Schwandfäl in der Vorbereitung der Baueingabe. Wir arbeiten am Baugesuchsdossier und am Baurechtsvertrag mit der Grundeigentümerin. Im Verlauf des Juni oder Juli 2024 werden wir detaillierter informieren können.»

Knapp in Kandergrund, klar in Kandersteg
Im Gegensatz zum konkreten Saaner Projekt hat der Mantelerlass, die Anpassung verschiedener Gesetze auf eidgenössischer Ebene zur Sicherung der Stromversorgung, am Wochenende eine klare Mehrheit erhalten. Dies hatte sich seit den ersten Umfragen abgezeichnet, alle grossen Parteien – mit Ausnahme der SVP – hatten ein Ja empfohlen. National wurde die Vorlage schliesslich mit 68,7 Prozent Ja-Stimmen angenommen, in allen Kantonen gab es eine Mehrheit.

Im Kanton Bern war die Zustimmung mit 70,8 Prozent noch ein bisschen höher. Im Verwaltungskreis Frutigen-Niedersimmental resultierte ein Ja-Anteil von 59,8 Prozent (siehe Tabelle), einzig Därstetten und Oberwil lehnten die Vorlage mit je rund 62 Prozent Nein ab. Letzteres ist bemerkenswert, da in Oberwil die erste Alpine Solaranlage auf der Alp Morgeten im Bewilligungsverfahren weit fortgeschritten ist. Die Gemeindeversammlung gab im vergangenen Jahr mit 77 Prozent Ja-Stimmen grünes Licht dafür. Aktuell sind aber Beschwerden gegen den positiven Baubescheid hängig.

Im Frutigland sticht einerseits das knappste Ja mit 50,9 Prozent in der Gemeinde von Ernst Wandfluh hervor. Der Kandergrunder SVP-Nationalrat hat sich wie die Kantonalsektion gegen die Mutterpartei gestellt und sich für das Gesetz eingesetzt. Die deutlichste Zustimmung gab es andererseits mit 69,9 Prozent in Kandersteg, der Herkunftsgemeinde von SVP-Bundesrat Albert Rösti, in dessen Departement die Energie angesiedelt ist und der sich stark für die Vorlage engagiert hatte.

Auswirkungen des Gesetzes
Dem Ja müssen nun Taten folgen, denn Paragrafen alleine produzieren keine zusätzliche Energie. Das Gesetz bietet der Schweiz den Rahmen dafür, mehr Strom für den Winter (beispielsweise mit alpinen Solaranlagen) zu produzieren, durch den Zubau von Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren und bis 2050 klimaneutral zu werden. Dies bedingt eine weitgehende Abkehr von fossilen Energieträgern wie Erdöl oder -gas.
Erreicht werden soll dies zudem durch Anreize wie schweizweit gleiche Entschädigungen für Solarstrom, die Bewilligung für kleine Netzwerke in Quartieren und Orten, aber auch durch den gezielten Ausbau von 16 grossen Wasserkraftwerken und erleichterten Bewilligungsverfahren für Anlagen von nationalem Interesse. Die Mitsprache der Bevölkerung bleibt gewährleistet, ebenso die Einsprache- und Beschwerdemöglichkeiten. Für die Wasserkraftnutzung können allerdings neu Schutzgebiete tangiert werden. Laut Bundesamt für Energie sollen für die Bevölkerung die direkten Kosten trotz zusätzlicher Förderung nicht steigen, allerdings müssen Energieunternehmen ihre Investitionen finanzieren. Diese sind auch dazu angehalten, ihre Kunden zum Stromsparen zu bewegen.

Reaktionen auf das Resultat
Das Schlussresultat zum «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» war am Sonntagnachmittag noch nicht bestätigt, als bereits die Medienmitteilung des Energieclubs Schweiz eintraf, dass mit dem Ja zu einer sicheren Stromversorgung auch die Planung neuer Kernkraftwerke diskutiert werden müsse (es geht um die Initiative «Jederzeit Strom für alle [Blackout stoppen]»). Selbst wenn sämtliche 16 Wasserkraftprojekte und ein paar Solar- und Windkraftanlagen gebaut würden, «wäre dies nur ein Tropfen auf den heissen Stein», wird argumentiert. Auch bürgerliche Parteien wollen neue Kernkraftwerke wieder in Betracht ziehen, zudem wird bereits eine Initiative zur Rettung der Alpen vom unterlegenen «Naturkomitee» geprüft.

Andererseits freuen sich Befürworter wie die Umweltverbände oder beispielsweise der grösste Berner Stromversorger, die BKW: «Nach dem Ja geht es nun darum, das Gesetz pragmatisch und lösungsorientiert umzusetzen», sagt CEO Robert Itschner. Nun wolle man die eigenen Projekte möglichst rasch realisieren. Mit Trift und Grimselsee ist die BKW an zwei weit fortgeschrittenen Wasserkraftprojekten beteiligt, die im Stromgesetz explizit genannt werden. Diese sollen dank des nun angenommenen Gesetzes schneller realisiert werden können.

Was ändert sich fürs LWA?
Aktuell geht es also um die konkrete Umsetzung des Gesetzes. Was heisst das beispielsweise für das Licht- und Wasserwerk Adelboden im Alltag? «Das Stromgesetz wird zusammen mit den Verordnungen, die sich in der Vernehmlassung befinden, für das LWA als Verteilnetzbetreiber Anpassungen in der Regulierung ergeben», erklärt Pascal von Allmen. «Es werden Bereiche präzisiert und es werden neue Möglichkeiten eingeführt. Diese Anpassungen werden wir umsetzen müssen, was zusätzliche Ressourcen binden wird, aber auch Chancen eröffnet.» Unabhängig vom Stromgesetz werde die sichere Stromversorgung für kleinere Verteilnetzbetreiber anspruchsvoller. Auf der anderen Seite würden sich weitere Möglichkeiten im Bereich der Stromproduktion und Stromspeicherung ergeben, welche man vertieft prüfen müsse. «Als Installateur von Solar- und Batteriespeicheranlagen dürfen wir schon seit Längerem Lösungen bei Kunden umsetzen. Inwiefern sich die Nachfrage zum Beispiel aufgrund von Anpassungen in der Förderung oder der schweizweiten Vereinheitlichung der Rückliefervergütungen ändern wird, werden wir sehen.» Von Allmen äussert sich verhalten positiv zu der Frage, wie sich das Ja konkret im Alltag auswirken wird.

Dass übrigens Saanen grundsätzlich durchaus für eine sichere Stromversorgung und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen ist, zeigt die Zustimmung zum Mantelerlass mit 59,6 Prozent.


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