Der Weg ist das Ziel
03.04.2024 KanderstegDie Alpnutzer wollen sich den Zugang zum Oeschinensee sichern und planen eine neue Strasse ausserhalb des Gefahrengebiets. Nach jahrelangen Vorbereitungen nahmen die Verantwortlichen letzte Woche die Überzeugungsarbeit in Angriff.
JULIAN ZAHND
Eine Strasse ...
Die Alpnutzer wollen sich den Zugang zum Oeschinensee sichern und planen eine neue Strasse ausserhalb des Gefahrengebiets. Nach jahrelangen Vorbereitungen nahmen die Verantwortlichen letzte Woche die Überzeugungsarbeit in Angriff.
JULIAN ZAHND
Eine Strasse in einen Berg zu bauen, ist schon aus technischer Sicht ein anspruchsvolles Vorhaben – vor allem dann, wenn das Gelände steil ist. An Oeschinen ist es steil. Die geplante neue Strecke führt daher teilweise im Zickzackkurs nach oben, mit einer Steigung von bis zu 15 Prozent.
Doch beim vorliegenden Projekt ist das nicht die einzige Herausforderung: denn eine neue Strasse bedeutet stets einen erheblichen Eingriff in die Natur, der insbesondere dann Gewicht erhält, wenn geschützte Lebensräume betroffen sind. An Oeschinen gibt es Gebiete, die auf nationalen Inventarlisten geführt werden. Zudem ist die Alp eigentlich bereits erschlossen. Docj die bestehende Strasse führt über weite Strecken entlang des Oeschibachs – und wurde daher in der Vergangenheit mehrmals in Mitleidenschaft gezogen.
Eine «Zeitbombe»
Die Projektverantwortlichen wissen das alles und trugen diesen kniffligen Umständen bei den Vorbereitungen auch Rechnung. Mit Walter Hostettler (Ramu Ingenieure AG in Frutigen) zogen sie einen erfahrenen Bauingenieur aus dem Tal bei, die Impuls AG aus Thun richtet während des Projekts zudem ein besonderes Augenmerk auf Nachhaltigkeitsfragen.
Am 26. März fand im Waldhotel Doldenhorn eine öffentliche Informationsveranstaltung statt, die auf reges Interesse stiess. Die Anwesenden liessen sich zunächst von Christoph Wandfluh, dem VR-Präsidenten der Oeschinenbahn, über den Ursprung des Projekts informieren. Den Initialfunken zur Idee einer Strassenverlegung zündete nicht er selbst, sondern die Natur: Im Jahr 2018 zerstörten Murgänge mehrere Brücken entlang des Oeschibachs, der sich unterhalb des Spitzen Steins und damit im Gefahrengebiet befindet. Ein Jahr später mussten der Schlittelweg und ein Strassenstück beim Rinderstutz permanent gesperrt werden, daraufhin errichtete man dort eine Notumfahrung. Doch auch diese Strecke wurde 2021 temporär gesperrt. 2023 folgte die Verlegung der Infrastrukturleitungen, auch in diesem Jahr gingen mehrere Murgänge nieder, das Geröll im Bachbett reicht mittlerweile fast wieder bis zur erneuerten Brücke.
Das Ganze sei eine «Zeitbombe», meinte Wandfluh, «die Versorgungssicherheit der Alp ist gefährdet». Man sei daher auf eine neue Route auf den Berg angewiesen, auf die man sich langfristig verlassen könne. Denn nicht nur die Alpschaften und die Gastronomiebetriebe würden die Strasse benutzen. «Hinzu kommen Rettungsdienste, Tierärzte, Holztransporteure oder im Notfall sogar die Armee sowie der Zivilschutz.» Die Strassenidee sei daher breit abgestützt: Zu den Initianten gehörten nebst den drei Alpgenossenschaften auch das LWK, die Gondelbahn, die Gastrobetriebe und die Gemeinde Kandersteg.
Auf der Suche nach der sanftesten Variante
2020 verwarf man ein erstes Projekt, weil dieses zu teuer war und zu viele künstliche Eingriffe enthielt. «Wir wollen eine einfache ‹Bauernstrasse›, die mit möglichst wenig Beton auskommt und sich möglichst gut ins Landschaftsbild einpasst», so Wandfluh. Die angedachte Strecke biegt auf Höhe des Laufkraftwerks Zilfuri nach links ab und folgt danach ein Stück weit der dort bestehenden Strasse. Danach windet sie sich unterhalb der Gondelbahn mit mehreren Haarnadelkurven den steilen Hang hoch, bevor sie durch den Schattwald bis auf die Alp führt. Bis zum Waldeintritt würde die Strasse mit Schwarzbelag versehen, danach als Naturstrasse weitergeführt. Gemäss den Plänen sollen die steilen Böschungen in den engen Kurven mit Blocksteinmauern stabilisiert werden, wobei man auf die Verwendung von Hinterbeton so weit möglich verzichten will. Entlang der Strasse sollen letztlich zwei Deponien mit einem Fassungsvermögen von je rund 10 000 Kubikmeter für den Aushub entstehen. Ingenieur Hostettler erläuterte die technischen Details anhand zahlreicher Bilder, als konkretes Beispiel diente ihm die Alpstrasse auf den Oberniesen. Sofern man die talseitigen Hänge entlang der Strasse zügig mit Grasmutten bedecke, sei die Strasse aus der Ferne nach einer Weile kaum mehr sichtbar.
Biologin Daniela Schmocker von der Impuls AG nahm an diesem Dienstagabend die Umweltperspektive ein. Es handle sich um ein ökologisch sensibles Gebiet, bei der Projektierung sei man daher sorgfältig vorgegangen. Schmocker hob etwa die Streckenführung hervor sowie den sparsamen Einsatz von Beton. Ersatzflächen für die verlorenen geschützten Lebensräume seien zudem bereits gefunden worden.
Lieber Inputs als Einsprachen
Die Gründe für die breit angelegte Informationskampagne der Projektverantwortlichen sind naheliegend: Man will die Öffentlichkeit ins Boot holen, Kritikpunkte vorwegnehmen und möglichst zeitnah bereinigen, um die Zahl späterer Einsprachen zu minimieren. Christoph Wandfluh betonte denn auch mehrmals: «Kommt zu uns mit euren Fragen und Ideen. Wir haben ein offenes Ohr.» Abgesehen davon gibt es noch einige Hürden, die das Projekt nehmen muss. Gemeinderatspräsident René Maeder brachte es in der Diskussionsrunde auf den Punkt: «Wenn wir uns innerhalb der Dorfgemeinschaft nicht einig sind, könnte das dazu führen, dass die kantonalen Ämter das Projekt noch strenger beurteilen.»
An diesem Abend schien die Strategie aufzugehen. Christoph Wandfluh und der ebenfalls anwesende Verwaltungsrat der Oeschinenbahn, Patrick Frei, mussten zwar eine Reihe von Fragen beantworten. So wollten Votanten etwa wissen, wie die Finanzierung aussehe (Antwort: «Man geht von 2 bis 3,5 Millionen Franken aus. Bauherrschaft sind die drei Alpschaften, ein genauer Verteilschlüssel wurde noch nicht festgelegt.»). Auch interessierte die Frage, für wen die Strasse zugänglich sei (siehe dazu Kasten) und wer das Wegrecht besitze (inzwischen ist klar: Es wird eine Weggenossenschaft analog Ueschinen geben). Grundsätzlich äusserten sich die Anwesend aber positiv zum Projekt, Kritik blieb aus.
In den nächsten Tagen werden das Projekt und der Entwurf des Umweltberichts öffentlich aufgelegt. Ziel ist die Baueingabe bis Mitte Sommer 2024.
Was passiert mit der alten Strasse?
Sofern die neue Strecke realisiert werden kann, wird sie die alte ersetzen. Letztere würde rückgebaut bis auf ein kleines Stück, das dem LWK als Zufahrt zu seinen Anlagen dient. Die neue Strasse wird (wie die alte) mit einer Barriere versehen und für die Öffentlichkeit gesperrt sein. Das sei eine Auflage des Kantons. Noch unklar ist, ob Einheimische den Berg künftig wieder per Bike befahren dürfen. 2021 hatte ein richterliches Verbot im Dorf für Wallungen gesorgt, die Alpschaften begründeten die Sperrung unter anderem mit der mangelnden Sicherheit. Man wolle auf eine neue Lösung hinarbeiten, hiess es damals. Diese liegt bis heute zwar nicht vor, allerdings steht die Idee im Raum, Vignetten auszustellen, die für die Zufahrt berechtigen.
Als Schlittelpiste wird die neue Strecke nicht benutzt werden können. Auch die bestehende Talabfahrt für Skifahrer, die entlang des Oeschibachs führt, wird nicht verlegt – sie wird vermutlich noch so lange zugänglich sein, bis sie vom nächsten grösseren Ereignis heimgesucht wird.
JULIAN ZAHND