JUSTIZ Ein Strafverfahren wegen eines «Stinkefingers» endete am Mittwoch vor dem Regionalgericht Oberland mit dem Freispruch des Beschuldigten. Der Privatkläger war nicht erschienen.
PETER SCHIBLI
Vermutlich hatte der ohne Angaben eines neuen ...
JUSTIZ Ein Strafverfahren wegen eines «Stinkefingers» endete am Mittwoch vor dem Regionalgericht Oberland mit dem Freispruch des Beschuldigten. Der Privatkläger war nicht erschienen.
PETER SCHIBLI
Vermutlich hatte der ohne Angaben eines neuen Aufenthaltsorts weggezogene Kläger die im Amtsblatt publizierte Vorladung nicht gelesen. Da auch seine bisherige Wohnsitzgemeinde nicht wusste, wohin der ausländische Staatsangehörige verreist war, fand die Gerichtsverhandlung in Thun ohne ihn statt. Gleichwohl wurde über dessen Klage wegen Beschimpfung verhandelt.
Vor Gericht sass der Beschuldigte, ein knapp 60-jähriger Mann aus dem Frutigland, zusammen mit seinem Anwalt. Mit dem Strafbefehl der Oberländer Staatsanwaltschaft, die wegen Beschimpfung eine bedingte Busse von 400 Franken, eine zwingende Busse von 150 Franken sowie Gebühren in der Höhe von 500 Franken forderte, waren die beiden gar nicht einverstanden. Dass er dem Kläger den «Stinkefinger» gezeigt habe, bestritt der Beschuldigte vehement. Vermutlich habe er mit den Händen gerungen und ihm höchstens den Zeigefinger, nicht aber den Mittelfinger gezeigt, versicherte der Mann und ergänzte, es sei nicht seine Art, andere Menschen in der Öffentlichkeit zu beleidigen. Auf Nachfrage des Gerichtspräsidenten bestätigte er, eventuell gesagt zu haben: «Raus, abhauen, tschüss!»
Verweigerte Lohnzahlung als Auslöser
Details zum Streit zwischen dem Kläger und dem Beklagten nannte die als Zeugin vorgeladene Ehefrau des Frutigländers: Der Kläger habe von ihr den Lohn für seine krankgeschriebene Gattin verlangt, was sie, die Chefin des Betriebs, abgelehnt habe. Da der Mann nicht von ihr abgelassen habe, sei ihr Ehemann dazwischen gegangen und habe dem Angreifer – mangels Französischkenntnissen – mit den Händen deutlich gemacht, den Betrieb zu verlassen.
In seinem kurzen Plädoyer forderte der Anwalt des Ehepaars einen Freispruch und wies darauf hin, dass die Aussagen seiner Mandanten deckungsgleich, glaubwürdig und nachvollziehbar seien. Die Behauptungen des abwesenden Privatklägers hingegen wirkten unglaubwürdig und widersprüchlich. So habe der Mann behauptet, kein Deutsch zu verstehen, aber dann doch auf Aufforderungen in deutscher Sprache reagiert. Ausserdem seien die bei der Staatsanwaltschaft gemachten Aussagen des Klägers rechtlich nicht verwertbar, da die beklagte Partei bei der Staatsanwaltschaft keine Gelegenheit erhalten hatte, dem Kläger Fragen zu stellen.
Nach einer kurzen Bedenkzeit eröffnete Gerichtspräsident Jürg Santschi den Anwesenden das wenig überraschende Urteil: Freispruch vom Vorwurf der Beschimpfung. In der Begründung schloss sich der Richter der Argumentation des Anwalts an und betonte, dass die Behauptungen des Klägers für eine Verurteilung nicht ausreichten.
Ausser Spesen nichts gewesen
Die Verfahrenskosten in der Höhe von 2190 Franken trägt der Kanton Bern. Der Beklagte erhält eine Parteientschädigung in der Höhe von 3160 Franken zur Deckung seiner Anwaltskosten. Das Urteil wird im Amtsblatt publiziert.
Der ins Ausland verschwundene Privatkläger wird sich an den Kosten des Verfahrens nicht beteiligen müsen. Vom Urteil wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einmal Kenntnis nehmen, da er das Amtsblatt bekanntlich nicht liest.