GESUNDHEITSKOSTEN Die Sorge vor weiter steigenden Prämien hat bei den Bürgerinnen und Bürgern offenbar zu einem Sinneswandel geführt. Viele sind von der heutigen Krankenkassenversorgung nicht mehr überzeugt. Ob die Alternative günstiger käme, ist ...
GESUNDHEITSKOSTEN Die Sorge vor weiter steigenden Prämien hat bei den Bürgerinnen und Bürgern offenbar zu einem Sinneswandel geführt. Viele sind von der heutigen Krankenkassenversorgung nicht mehr überzeugt. Ob die Alternative günstiger käme, ist allerdings fraglich.
MARK POLLMEIER
Für die Grundversorgung eine staatliche Krankenkasse für alle – neu ist diese Idee nicht. Schon vier Mal konnte die Schweizer Bevölkerung darüber abstimmen, vier Mal sagte sie Nein. Allerdings schwand der Widerstand mit jeder Abstimmung. 1994 waren 77 Prozent dagegen, 20 Jahre später noch 61,5 Prozent.
Was bringt der Wettbewerb überhaupt?
Mittlerweile scheint sich das Blatt vollends gewendet zu haben. In den letzten Wochen gab es mehrfach Hinweise, dass die Einheitskasse derzeit sogar eine Mehrheit fände. Anfang des Jahres stellte das Basel Center for Health Economics die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage vor. Demnach wurde die Einheitskasse von 68 Prozent der Befragten befürwortet, nur noch 21 Prozent waren dagegen (restliche Antworten: «Weiss nicht»). Viele Versicherte glauben offenbar nicht mehr, dass der Wettbewerb unter den Krankenkassen ihnen etwas bringt oder zu tieferen Prämien führt.
Der Online-Vergleichsdienst Comparis präsentierte kürzlich ähnliche Ergebnisse. Gemäss einer ebenfalls repräsentativen Umfrage würden heute 71 Prozent der Schweizer Erwachsenen eine Einheitskasse befürworten. Besonders hoch ist die Zustimmungsquote bei den über 55-Jährigen (78 Prozent). Bei den 36- bis 55-Jährigen liegt die Zustimmung bei über 71 Prozent, bei den jungen Erwachsenen immerhin noch bei 65 Prozent.
Unrealistische Erwartungen
Hinter solchen Zahlen steckt die Hoffnung, dass die Versicherten mit einer Einheitskasse günstiger davonkämen. Wie die Comparis-Umfrage zeigt, wäre das sogar der entscheidende Grund, für den Systemwechsel zu stimmen. Drei Viertel der Befürworter erwarten eine mindestens 40 Franken tiefere Prämie pro Monat – ansonsten würde sich die Einheitskasse aus ihrer Sicht nicht lohnen. 40 Franken – das entspräche einer durchschnittlichen Kostenreduktion von gut 10 Prozent. Doch eine solche Ersparnis ist in der Realität kaum zu erreichen. Selbst wenn die Krankenkasse gratis arbeiten würde (was sicher nicht der Fall wäre), liesse sich das 10-Prozent-Ziel bei Weitem nicht erreichen.
Wartezeiten von mehr als einem Jahr
Erhellend ist auch ein Blick nach Grossbritannien. Dort gibt es mit dem National Health Service faktisch eine Einheitskasse. Doch billiger ist die dortige Gesundheitsversorgung nicht: Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung gibt Grossbritannien dafür genauso viel Geld aus wie die Schweiz. Weil die britische Wirtschaft seit dem Brexit schwächelt, ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandprodukt zuletzt sogar noch gestiegen – wohlgemerkt bei sinkender Qualität.
Dreieinhalb Monate müssen sich Britinnen und Briten durchschnittlich gedulden, bis sie einen Termin bei einer medizinischen Fachperson bekommen, und bei vielen dauert es sogar noch länger. Ende des vergangenen Jahres warteten rund 400 000 Menschen seit mehr als einem Jahr auf ihre Behandlung. Grund dafür sind auch die häufigen Streiks des völlig überlasteten Gesundheitspersonals.
Nur Verzicht hilft
Dass es auch in der Schweiz so käme, ist damit nicht gesagt. Es zeigt jedoch, dass die Einheitskasse kein Allheilmittel ist. Eine Kostensenkung bei gleichbleibendem Standard sei faktisch gar nicht möglich, findet der Comparis Experte Felix Schneuwly. Die Gesundheitsausgaben spürbar zu verringern, sei letztlich nur mit Verzicht zu erreichen. «Etwa indem StimmbürgerInnen nicht jedem ineffizienten oder qualitativ schlechten Spital, das zu wenig Patienten behandelt, einen Millionenkredit oder einen Eigenkapitalzuschuss gewähren.»