Die Ernährungsinitiative: Pro- und Kontra-Stimmen
22.08.2025 PolitikAm 16. August 2024 wurde unter anderem vom Verein «Sicheres Wasser für alle» beim Bund die Initiative für eine sichere Ernährung eingereicht. Ziel der Initiative ist es, eine nachhaltige inländische Produktion der Lebensmittel zu stärken, die ...
Am 16. August 2024 wurde unter anderem vom Verein «Sicheres Wasser für alle» beim Bund die Initiative für eine sichere Ernährung eingereicht. Ziel der Initiative ist es, eine nachhaltige inländische Produktion der Lebensmittel zu stärken, die Produktion von mehr pflanzlichen Lebensmitteln zu fördern und sauberes Trinkwasser zu garantieren. Am 13. August 2025 hat nun der Bund offiziell Stellung dazu genommen.
JACQUELINE RÜESCH
Die künftige nationale Abstimmung soll entscheiden, wie der Umgang mit Lebensmitteln und insbesondere mit Wasser in Zukunft in der Schweiz gehandhabt werden soll. Nebst der Qualität der Lebensmittel steht aber auch die Förderung der inländischen Produktion zur Debatte.
Die Initiative
Die Initiative fordert Folgendes: Der Bund und die Kantone sollen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversität sorgen. Ausserdem soll der Bund nicht mehr zulassen, dass die für die Gewässerqualität, die Bodenfruchtbarkeit und die Biodiversität essenziellen, im Jahr 2008 vom Bundesamt für Landwirtschaft und vom Bundesamt für Umwelt als Umweltziele für die Landwirtschaft definierten Höchstwerte für Stickstoffverbindungen und Phosphor überschritten werden. Zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln einschliesslich sauberem Trinkwasser soll der Bund Voraussetzungen schaffen für die Sicherung der Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion, insbesondere des Kulturlandes, der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit sowie die Förderung von natürlichem, samenfestem Saat- und Pflanzgut.
Er soll dafür sorgen, dass die Sicherung der Grundwasserressourcen gewährleistet ist für die nachhaltige Trinkwassergewinnung und die Sicherung einer auf den Markt ausgerichteten und zugleich nachhaltigeren, klimabewussteren Land- und Ernährungswirtschaft. Daneben soll der Bund einen Netto-Selbstversorgungsgrad von mindestens 70 Prozent anstreben, das heisst, auf vermehrte Eigenproduktion innerhalb der Schweiz setzen. Hierzu soll er Massnahmen treffen zur Förderung einer vermehrt auf pflanzlichen Lebensmitteln basierenden Ernährungsweise und einer darauf ausgerichteten Land- und Ernährungswirtschaft. Der Bund und die Kantone sollen ihre Subventionen, die Förderung von Forschung, Beratung und Ausbildung sowie andere staatliche Anreize so ausrichten, dass sie den genannten Bestimmungen nicht zuwiderlaufen.
Die Medienmitteilung des Bundes
Der Bundesrat hat am 13. August 2025 die Botschaft zur Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung – durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)» verabschiedet. Er empfiehlt dem Parlament, die Initiative ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag abzulehnen. Die Ziele der Initiative wären nur mit tiefgreifenden staatlichen Interventionen erreichbar. Berechtigte Anliegen der Initiative wird der Bundesrat auch bei der Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2030 berücksichtigen.
Ziele der Initiative nur mit tiefgreifenden staatlichen Eingriffen erreichbar
Aus Sicht des Bundesrats sind die Ziele der Ernährungsinitiative innerhalb der von ihr vorgegebenen Fristen nicht realistisch. Dies gilt insbesondere für die geforderte Erhöhung des Netto-Selbstversorgungsgrades von heute 46 Prozent auf mindestens 70 Prozent bei gleichzeitiger Erreichung der Umweltziele Landwirtschaft. Dafür müssten die Produktion und der Konsum von Fleisch stark reduziert und die pflanzliche Produktion zur menschlichen Ernährung stark ausgeweitet werden.
Dies wäre nur möglich, wenn der Staat massiv in die Produktion und in den Konsum von Lebensmitteln eingreifen würde. Die kurze Umsetzungsfrist hätte zudem zur Folge, dass bestehende Infrastrukturen direkt in der Landwirtschaft oder in den vor- und nachgelagerten Stufen nicht vollständig amortisiert werden könnten. Um eine sozialverträgliche Entwicklung des Sektors sicherzustellen, wären umfassende finanzielle Unterstützungsmassnahmen des Bundes erforderlich.
Bundesrat empfiehlt die Ablehnung der Initiative
Im Rahmen der Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2030 wird der Bundesrat Massnahmen zur Stärkung der Wertschöpfung in der Land- und Ernährungswirtschaft und zur administrativen Entlastung der landwirtschaftlichen Betriebe vorschlagen. Gleichzeitig wird die Vorlage wichtige Anliegen der Initiative wie die Stärkung der Ernährungssicherheit und die Reduktion des ökologischen Fussabdrucks der Land- und Ernährungswirtschaft aufnehmen. Dabei wird der Bundesrat realistische Ziele und einen solchen Zeitrahmen festlegen.
Der Bundesrat wird die Vorschläge zur künftigen Agrarpolitik voraussichtlich 2026 behandeln. Eine zusätzliche Verfassungsgrundlage, wie sie die Initiative fordert, ist dazu nicht notwendig. Der Bundesrat empfiehlt daher die Initiative ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung.
Die Medienmitteilung der InitiantInnen zur Botschaft des Bundesrats
Die InitiantInnen und mit ihnen der Verein «Sauberes Wasser für alle» antwortet der Medienmitteilung des Bundes wie folgt:
«Mit Blick auf die Klimakrise, die sich immer auch mehr zu einer Wasserkrise entwickelt, sowie die schweren internationalen Konflikte ist es nicht zu verantworten, die Forderungen und Ziele der Initiative aufzuschieben. Ernährungssicherheit und Trinkwassersicherheit sind von zentraler Bedeutung für die nationale Sicherheit und die Souveränität der Schweiz», sagt Franziska Herren, Mitinitiantin der Initiative. Seit Jahrzehnten fördert die Schweizer Bevölkerung mit Milliarden an Steuergeldern eine Landund Ernährungswirtschaft, die ihre Ernährungssicherheit gefährdet. Auch dass das Volk im Jahr 2017 die Ernährungssicherheit in der Verfassung verankert hatte, hat daran nichts geändert. Weiter argumentieren die InitiantInnen:
• Die Landwirtschaft ist nicht auf ihren Auftrag vorbereitet, innerhalb eines Jahres die Ackerflächen so zu bewirtschaften, dass sie genug Ertrag abwerfen, um die Bevölkerung in einer Krise mit pflanzlichen Lebensmitteln selbst ernähren zu können.
• Die Schweiz hat keine nationale Strategie für die Sicherstellung ihrer Wasserversorgung. Klimawandel und die Verschmutzung des Trinkwassers mit Pestiziden und Nitrat gefährden die Wasserversorgung der Schweiz.
• Das Überschreiten der Höchstwerte für Dünger ist seit 17 Jahren rechtswidrig. Die Ursache dafür ist die übermässige, von Importfutter abhängige Tierproduktion, die enorme negative Folgen auf die Umwelt und das Klima hat, und die Böden, die Biodiversität und das Trinkwasser gefährdet.
• «Das Ernährungssystem verursacht heute hohe volkswirtschaftliche Kosten in den Bereichen Umwelt, Klima und Gesundheit», schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft. Dabei handelt es sich um 31,8 Milliarden Franken pro Jahr, wie der Bericht «Versteckte Kosten des Schweizer Agrarsystems – Fallstudie für den FAO-Bericht State of Food and Agriculture – SOFA 2024» aufzeigt.
Die Initiative «Für eine sichere Ernährung» ist die logische Folge und die Antwort auf diese Missstände einer verfehlten Agrarpolitik. Sie sorgt mit klaren Vorgaben und Zielen für eine krisensichere Versorgung mit Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser sowie für die Sicherstellung der Bodenfruchtbarkeit und der Biodiversität. Allesamt bilden sie die zentralen Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft und unserer Lebensgrundlagen.
Um eine krisensichere Ernährung der Bevölkerung zu gewährleisten, verlangt die Initiative vom Bund das Anstreben eines Netto-Selbstversorgungsgrades von 70 Prozent. Dafür sollen insbesondere die Produktion und der Konsum von pflanzlichen Lebensmitteln vermehrt gefördert werden. Die Land- und Ernährungswirtschaft soll entsprechend ausgerichtet werden. Aktuell ist die Schweiz in ihrer Lebensmittelversorgung in alarmierendem Ausmass vom Ausland abhängig – mehr als die Hälfte unserer Nahrung stammt nicht aus heimischer Produktion. Dieses Missverhältnis bildet sich dadurch, dass der Futteranbau für die Nutztiere statt des Anbaus von pflanzlichen Lebensmitteln gefördert wird. Dieser Futtermittelanbau steht in direkter Konkurrenz zur menschlichen Ernährung.
Die Schweiz hat genug Ackerflächen gesichert, um sich selbst versorgen zu können. Der Bund hat dafür zu sorgen, dass sie für den Anbau bereitstehen und im Krisenfall innert eines Jahres Ertrag abwerfen, um die Schweizer Bevölkerung ernähren zu können.
In der Botschaft des Bundesrats heisst es, dass das von der Initiative verlangte Anstreben eines Netto-Selbstversorgungsgrads von 70 Prozent unrealistisch und innert der von der Initiative gesetzten Übergangsfrist von zehn Jahren nicht realisierbar sei. Damit widerspricht der Bundesrat dem eigenen Departement und missachtet zudem den gesetzlichen Auftrag. 2,3 Milliarden Franken, welche die Steuerzahlenden an die Nahrungsmittelproduktion bezahlen, entfallen auf die Tierproduktion und nur 0,5 Milliarden auf die Pflanzenproduktion.
Die Studie «Kosten und Finanzierung der Landwirtschaft» zeigt das massive Ungleichgewicht der Förderungsmassnahmen der Agrarpolitik. Durch die einseitige finanzielle Bevorzugung der Tierproduktion ist es für die Landwirtschaft auf 60 Prozent der Ackerflächen lukrativer, Futtermittel anzubauen als Lebensmittel für die Menschen. Bäuerinnen und Bauern, die für unsere Ernährungssicherheit mehr pflanzliche Lebensmittel produzieren möchten, werden durch die Agrarpolitik ausgebremst und finanziell benachteiligt.
Eine weitere Massnahme, die der Bund zur Erhöhung des Netto-Selbstversorgungsgrads berücksichtigen muss, ist die Reduktion von Food Waste. Heute landen 30 Prozent unseres Essens im Food Waste. Die Reduktion der Lebensmittelabfälle wurde vom Volk schon 2017 mit dem Verfassungsartikel 104a Ernährungssicherheit beschlossen («ein ressourcenschonender Umgang mit Lebensmitteln»). Durch die Reduktion des Food Waste wird nebst der Erhöhung des Netto-Selbstversorgungsgrads auch die Umweltbelastung der Ernährung reduziert.