Die verbindenden Drei

  26.09.2023 Frutigen

Letzten Freitag fand im «Adler» ein von den Ortsparteien EVP, GLP und SP organisiertes Wahlpodium statt. Die drei StänderatskandidatInnen diskutierten respektvoll und stellenweise sogar fast harmonisch – nur beim Thema Rente wurde es etwas lauter.

BIANCA HÜSING
Jürg Grossen, Marc Jost und Flavia Wasserfallen: Wenn diese Namen auf der Teilnehmerliste einer Podiumsdiskussion stehen, ist nicht unbedingt mit hitzigen Wortschlachten, also Wahlkampf im eigentlichen Sinne, zu rechnen. Alle drei gelten in der öffentlichen Wahrnehmung und selbst unter politischen Gegnern als umgänglich, entgegenkommend und verbindend. Womöglich sind das auch hilfreiche Eigenschaften, wenn man in die «Chambre de réflexion» einziehen will – im Stöckli soll schliesslich eine gemässigtere Debattenkultur herrschen als im Nationalrat. Also Kuschelatmosphäre im Landhaus Adler?

Zumindest am Anfang sah es danach aus. Mit seiner Einstiegsfrage zum Stadt-Land-Graben gab Moderator Matthias Mast («Jungfrau Zeitung») den Kandidat-Innen gleich die Gelegenheit, ihr Image als Brückenbauer zu pflegen und sich das heimische Publikum gewogen zu machen. Jost schwärmte von einem Fussballturnier in Reichenbach, Wasserfallen von einem Geburtstagsfest in der Badi Lounge, und Grossen hatte sowieso ein Heimspiel. Von Gräben wollte niemand etwas wissen, im Gegenteil: «Ich sehe die beiden im Moment fast öfter als meinen Mann», witzelte Flavia Wasserfallen mit Blick auf die vielen Wahlveranstaltungen, an denen das Trio zurzeit teilnimmt. Dass der für schärfere Töne bekannte Werner Salzmann (SVP) aus terminlichen Gründen verhindert war, verstärkte den Eindruck, dass dies ein harmonischer Abend werden könnte.

Leichte Differenzen in der Familienpolitik
Als es aber um die Sache ging, merkte man den dreien ihre unterschiedliche Parteienzugehörigkeit dann doch an – und je nach Thema bildeten sich verschiedene Allianzen. Punkto Familienpolitik vertrat Marc Jost (EVP) zum Beispiel ein traditionelles Modell. Zwar habe er die Anstossfinanzierung für Kitas im Nationalrat unterstützt, allerdings mit einem tieferen Betrag als vorgesehen. Die klassische Rollenaufteilung – ein Elternteil geht arbeiten, der andere ist «zu 100 Prozent FamilienmanagerIn» – müsse weiterhin attraktiv bleiben und es dürfe keinen «Zwang geben, möglichst früh ins Erwerbsleben einzutreten». Hier hakten sowohl Jürg Grossen (GLP) als auch Flavia Wasserfallen (SP) ein: Natürlich müsse Wahlfreiheit herrschen, doch sei diese unter den aktuellen Bedingungen eben kaum gegeben. Kita-Plätze seien zu teuer, das Steuersystem sei auf Alleinverdiener ausgerichtet und bestrafe Familien, in denen beide Elternteile mit hohen Pensen arbeiten. «Kein Familienmodell sollte aufgrund ökonomischer Zwänge unmöglich sein», so Wasserfallens Votum. Und gemäss Grossen braucht es gerade angesichts des Fachkräftemangels auch Anreize für Eltern, möglichst früh wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.

Wasserfallen in der Zange
Zu anderen «Bündnissen» und einer aufgeladeneren Stimmung kam es beim Thema Rente. Grossen und Jost brachen eine Lanze für die geplante BVG-Reform, die es mehr Menschen ermöglichen soll, von der zweiten Säule zu profitieren. So sind unter anderem eine Absenkung der Eintrittsschwelle von 22 050 auf 19 845 Franken pro Jahr sowie eine Besserstellung von Teilzeitbeschäftigten geplant. Gegen diese von der GLP als «überfällige Modernisierung» und von der EVP als «dringend und zwingend» bewertete Reform will die SP das Referendum ergreifen. Als anwesende Vertreterin dieser Partei befand sich Flavia Wasserfallen in der Zange – sogar buchstäblich, stand sie doch zwischen ihren Kontrahenten. Beide warfen ihr respektive der SP vor, zu blockieren und sich an Maximalforderungen zu klammern. Sie aber konterte: «Wir unterstützen die Vorlage, die der Bundesrat ausgearbeitet hat. So maximal kann die also gar nicht sein.» Die Version, die nach der Debatte im Parlament übrig geblieben sei, sei eine «Mogelpackung», die Frauen auch weiterhin nicht vor Altersarmut schütze. Der Schlagabtausch lief noch eine Weile weiter, bis der Moderator zu den nächsten Themen überleitete: der Migration und dem Fachkräftemangel. Doch es dauerte nicht lange, bis das Podium wieder bei der Rente landete. Für diesen Bogen war gewissermassen Jürg Grossen verantwortlich: «Wir müssen Anreize setzen, dass möglichst viele Menschen mit möglichst viel Freude möglichst lange weiterarbeiten möchten. Dann brauchen wir auch weniger Zuwanderung.»

Einklang bei der Energie
Diesen Ball nahm das Publikum nur allzu gerne auf. Mehrmals wurde angemerkt, dass man von körperlich hart arbeitenden Menschen keinen späteren Renteneintritt erwarten könne und sich derlei Branchenunterschiede im Rentensystem niederschlagen müssten. Vor allem Akademiker gerieten ins Visier der Anwesenden: Sie würden später einzahlen und hätten zudem eine höhere Lebenserwartung – also könnten sie doch auch länger arbeiten. Wo vorher noch gestritten wurde, waren sich die Ständeratskandidierenden nun weitgehend einig: Alle stimmten den Publikumsvoten mehr oder weniger zu.

Auch beim Thema Energie waren die Abstände nicht mehr allzu gross. «Atomkraft isch öppis vo vorgeschter», fasste ein Zuhörer den an diesem Abend vorherrschenden Standpunkt zusammen. Alle Podiumsteilnehmer begrüssten den Energie-Mantelerlass, der diese Woche zur Schlussabstimmung gelangen soll. Marc Jost betrachtet ihn als gelungenes Beispiel für eine Politik der kleinen Schritte, die sowohl im Parlament als auch im Volk mehrheitsfähig seien. Jürg Grossen hatte an dieser Stelle gar ein Lob für Energieminister Albert Rösti übrig und Flavia Wasserfallen kritisierte die Grünen dafür, dass sie die Solarpflicht auf bestehende Gebäude ausweiten wollten. Für einen Augenblick hätte man fast vergessen können, dass nur zwei der drei KandidatInnen derselben Listenverbindung angehören (Jost und Grossen).

Ein dankbares Publikum
Alles in allem hatten die KandidatInnen an diesem Abend leichtes Spiel. Das Publikum war zwar überaus aktiv und diskutierfreudig, bestand im Wesentlichen aber aus Sympathisanten der drei Gastgeber- und Podiumsparteien EVP, GLP und SP. Vereinzelt waren auch Anhänger anderer Parteien zu sehen, doch diese hielten sich bedeckt. Schliesslich trug auch die Zusammensetzung des Podiums zur harmonischen Grundstimmung bei. Mit weniger gemässigten Charakteren hätte die Debatte auch ganz anders verlaufen können. Ob das für unentschlossene WählerInnen hilfreicher gewesen wäre, sei dahingestellt.


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