Don Daniele: konfessionell neutral und kirchenunabhängig

  28.10.2022 Gesellschaft

RELIGION Seit 2006 wirkt Daniel Kallen als protestantischer Theologe und Seelsorger ohne Kirchgemeinde. Aufgewachsen ist «Don Daniele», wie er sich nennt, in Frutigen.

PETER SCHIBLI
Die meisten Pfarrer und Pfarrerinnen sind von einer Kirchgemeinde angestellt und haben einen begrenzten Wirkungskreis. Nicht so Daniel Kallen: Der 59-Jährige, der mit seiner Familie am sonnigen Südufer des Bielersees lebt, ist schweizweit tätig und hat keine Kirchgemeinde als Arbeitgeber. Pro Jahr reist er rund 50 000 Kilometer, seine Handlungen vollzieht er selten in einer Kirche, sondern häufig in der Natur: Taufen und Trauungen in einem Wald oder an einem See scheinen einem wachsenden Bedürfnis zu entsprechen. Ebenfalls in der Natur wirkt er als Seelsorger, Trauerbegleiter und Trauerredner bei Bestattungen.
Die Primarschule und den Konfirmandenunterricht besuchte Kallen in Frutigen. «Ich kann mich noch sehr gut an den Geruch in der Frutiger Kirche erinnern», erzählt er. Am Lehrerseminar in Spiez liess er sich zum Primarlehrer ausbilden und studierte nach ein paar Jahren des Unterrichtens an den Universitäten Bern und Fribourg Theologie. Anschliessend war er an der Heiliggeistkirche in Bern, in Sutz-Lattrigen (Bielersee) und in Ormalingen (Baselland) als Pfarrer tätig. In Biel ist er noch heute Spitalseelsorger.
Mit der Landeskirche geriet Kallen in Konflikt, weil er Taufen oder Trauungen nicht nach den Vorschriften in einer Kirche durchführte. Er habe solche Rituale «explizit nicht-kirchlich gestaltet», erinnert man sich bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Dreimal wurde er deswegen vor den Synodalrat zitiert.

So entschloss sich Kallen im Jahr 2006, religiöse Zeremonien als selbstständiger Theologe und Seelsorger anzubieten; Waldtaufen hatte er schon vorher durchgeführt.

Nach wie vor ist der gebürtige Frutiger ordiniert, seine Kunden erhalten von ihm einen Tauf- respektive Trauschein. Für 95 Prozent der Menschen sei das Papier aber ohnehin nicht wichtig, erklärt Kallen. Wichtiger sei für sie, dass er studierter Theologe sei.

«Stört» im doppelten Sinn
Eine Gemeinde entsteht für Kallen spontan und immer wieder neu: Er geht zu den Gläubigen «auf Stör». Und er stört die eingefahrenen Strukturen und Denkmuster der reformierten Landeskirche. «Am Anfang wollte ich die Kirche reformieren. Sechs Jahre lang war ich sogar Mitglied der Synode», erzählt Kallen, also des Kirchenparlaments. Leider sperre sich die Kirche und halte bis heute an alten Regeln fest. Dabei habe sie ihr vermeintliches Monopol längst verloren. Er selbst habe den Talar an den Nagel gehängt, weil er seine Berufung als «freier Geist» besser erfüllen könne. «In meinen Gesprächen und Reden geht es oft nicht um Gott oder Jesus. Es geht mir um den Menschen und seine Spiritualität.»

Zahllose interessante Erfahrungen machte Kallen bei Gesprächen am Sterbebett, darüber hat er ein Buch geschrieben (siehe Textende). Immer weniger Menschen beschäftige die Frage, was nach dem Tod kommt. Viel wichtiger sei, dass Sterbende loslassen könnten, dass letzte Konflikte gelöst würden, dass man das Schicksal akzeptiere und sich bewusst werde, nicht wichtig zu sein. Jeder Mensch sterbe anders, lautet Kallens These. «Ars bene moriendi» nennt er die Fähigkeit, gut zu sterben.

Philosophisch meint er zum Schluss des Gesprächs: «Vielleicht ist der Tod am schönsten, wenn wir in unsere schönsten Erinnerungen hineinsterben.» Am Ende des Lebens gehe es nicht mehr um Erfolge. «Mit schönen Erinnerungen kann man leichter loslassen.»

Daniel Kallen: Jeder Mensch stirbt nur einmal, Verlag Zytglogge, 2022


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