Doppelt gezählt hält besser
28.11.2023 Kandergrund, Blausee, MitholzEtwas Besonderes erlebten die 50 TeilnehmerInnen der Gemeindeversammlung am vergangenen Freitagabend: Über ein wichtiges Traktandum wurde mit etwas zeitlichem Abstand noch einmal abgestimmt. Das Ergebnis fiel beim zweiten Durchgang leicht anders aus und brachte dadurch die ...
Etwas Besonderes erlebten die 50 TeilnehmerInnen der Gemeindeversammlung am vergangenen Freitagabend: Über ein wichtiges Traktandum wurde mit etwas zeitlichem Abstand noch einmal abgestimmt. Das Ergebnis fiel beim zweiten Durchgang leicht anders aus und brachte dadurch die nötige Klarheit.
MARK POLLMEIER
20 Minuten lang hatte Gemeinderat Roland Stoller ausführlich über die Regionale Bauverwaltung informiert. Er hatte den Fachkräftemangel erwähnt und die Personalprobleme der Verwaltung – «je weiter hinten im Tal, desto schwieriger ist es». Er hatte ausgeführt, dass die Regionale Bauverwaltung lediglich administrative Arbeiten übernehmen werde – «die Bewilligungen bleiben in Kandergrund». Stoller hatte den Kostenschlüssel erklärt und betont, dass die Bewilligungen für Bauherren nicht teurer würden.
Doch die nachfolgende Abstimmung zeigte, dass er nicht alle Skeptiker überzeugen konnte. Länger als gewöhnlich brauchten die beiden Stimmenzähler, um Gemeindeschreiber Martin Trachsel ihre Ergebnisse mitzuteilen. Man steckte die Köpfe zusammen, es wurde geredet. Gemeindepräsident Roman Lanz stand derweil am Rednerpult und wartete. Dass es knapp werden würde, ahnte er vermutlich schon – er hatte ja gerade gesehen, wie viele Hände in die Höhe gegangen waren.
Schliesslich trat Martin Trachsel ans Rednerpult und reichte dem Gemeindepräsidenten einen Zettel. «Gut, dann gebe ich nun das Abstimmungsergebnis bekannt», sprach Roman Lanz. «Wir haben 50 Stimmberechtigte hier im Saal. 24 sind dafür, 24 sind dagegen, und es gibt zwei Enthaltungen. Damit gibt der Gemeindepräsident den Stichentscheid – und der ist dafür.»
Bürde für den Gemeinderat
Dass der Gemeindepräsident bei Stimmengleichheit den Stichentscheid gibt, ist in der Organisationsverordnung der Gemeinde so vorgesehen (Art. 15,2). Formal war die Sache nun also klar: Kandergrund würde sich an der Regionalen Bauverwaltung Frutigen beteiligen. Doch für einen Gemeinderat sind solche Patt-Ergebnisse stets eine Bürde. Dass die Hälfte der Anwesenden sich gegen das Projekt ausgesprochen hatte, konnte auch den Gemeindepräsidenten nicht kaltlassen. «Wir werden die Kritik, die in diesem Ergebnis steckt, aufnehmen», versprach Roman Lanz. «Wir werden sicher nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.» Der Gemeinderat werde alles daran setzen, dass die Umsetzung des Projekts im Sinne und zum Wohl der Gemeinde geschehe. Das bewährte System in Kandergrund solle sich nicht zum Negativen verändern.
Was Lanz zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Die knappe Abstimmung, die gerade stattgefunden hatte, sollte an diesem Abend nicht die letzte zum Thema gewesen sein. Doch vorerst schien die Angelegenheit erledigt. Die Versammlung widmete sich den übrigen Traktanden.
Zweifel am Ergebnis
Gut 20 Minuten später, Roman Lanz kündigte gerade die Informationen zum ehemaligen Munitionslager Mitholz an, meldete sich ein Bürger: Er stelle den Antrag, die Versammlung zu unterbrechen und würde gern nach vorne kommen und sein Anliegen erläutern. Gesagt, getan. Mit Roman Lanz wechselte der Versammlungsteilnehmer einige Worte, es wurde kurz diskutiert. Worum es ging, blieb zunächst unklar. Erst, nachdem das Traktandum «Mitholz» abgehandelt war, kündigte Lanz eine Pause von fünf Minuten an. «Man hat mich vorhin auf etwas hingewiesen, ich möchte mich kurz mit meinen Exekutivkollegen austauschen, danach werde ich euch ins Bild setzen.» Nachdem sich der Gemeinderat besprochen hatte, ergriff erneut Roman Lanz das Wort. Es gebe offenbar Zweifel am Abstimmungsergebnis zum Traktandum 2 «Regionale Bauverwaltung», erläuterte der Gemeindepräsident und suchte nach den richtigen Worten. Man habe sich dafür vielleicht etwas zu wenig Zeit genommen, die Ja- und die Nein-Stimmen seien nicht separat gezählt und nach vorn gemeldet worden. «Ich habe mich daraufhin mit dem Gesamtgemeinderat besprochen, und wir sind der Meinung, dass wir nichts machen wollen, was nicht korrekt ist. Also werden wir die Abstimmung wiederholen und noch einmal zählen, damit auch letzte Zweifel ausgeräumt werden können.» Lanz bat die Stimmenzähler aufzustehen, «und wenn ich die Abstimmungsfrage gestellt habe, zählt ihr und meldet Martin Trachsel für jeden Block die Anzahl der Stimmen».
«Wir sind in einer offenen Demokratie»
Nun ging alles etwas langsamer und mit Bedacht vonstatten. Die Stimmenzähler meldeten einzeln und laut ihre Ergebnisse. Dafür waren diesmal 24 StimmbürgerInnen, dagegen 23. Diejenigen, die sich weder dafür noch dagegen ausgesprochen hatten, wurden als Enthaltungen gewertet (3). Damit stand nun fest: Kandergrund wird beim Projekt Regionale Bauverwaltung dabei sein.
Auf die Frage, ob er nun erleichtert sei, antwortete Roman Lanz nach der Sitzung salomonisch: «Ja oder Nein, ich hätte mit beidem leben können. Wir sind hier in einer offenen Demokratie.» Aber dass der Gemeindepräsident das Projekt Regionale Bauverwaltung persönlich befürwortet hatte, war im Verlauf des Abends ohnehin klar geworden.
Weniger ungewöhnlich verlief die Behandlung der übrigen Traktanden.
Das von Finanzverwalter Inniger vorgestellte Budget 2024 wurde von der Versammlung gutgeheissen. Der Gesamthaushalt in der Höhe von knapp 3,8 Millionen Franken sieht einen Aufwandüberschuss von 84 000 Franken vor. Die Steueranlage bleibt unverändert bei 1,85 Einheiten, und auch der Ansatz der Liegenschaftssteuer wird nicht verändert (1,5 Promille des amtlichen Werts).
Noch einmal grosse Investitionen
Für das kommende Jahr sieht die Gemeinde Investitionen in der Höhe von gut einer Million Franken (brutto) vor. Die grössten Posten bilden hier die Sanierung des Gemeindehauses und Teilkosten der Erschliessung der neuen Bauparzelle der Spezialzone Mitholz, die mit jeweils rund 400 000 Franken zu Buche schlagen werden. Weitere grössere Ausgaben fallen für die Überarbeitung der Naturgefahrenkarte sowie für Sanierungsarbeiten und für die Erneuerung von Mobiliar in der Schulanlage Reckental an. 2024 soll allerdings das vorerst letzte Jahr mit so hohen Ausgaben sein – ab 2025 wird die Investitionstätigkeit zurückgehen.
Leander Inniger informierte, dass die Steuererträge der Gemeinde seit 2020 kontinuierlich gestiegen seien. Das führte im Umkehrschluss dazu, dass Kandergrund weniger Geld aus dem kantonalen Finanzausgleich erhielt. Bei dieser Entwicklung habe sich jedoch eine Verlangsamung gezeigt, so Inniger: Von 2022 auf 2023 war keine nennenswerte Steigerung der Steuererträge mehr zu verzeichnen. Die Steuereinnahmen von natürlichen Personen hatten zuletzt rund 1,3 Millionen Franken betragen.
«Ich will nicht der letzte Gemeinderat aus Mitholz sein»
Diskussionslos wurde eine Änderung des Organisationsreglements genehmigt. Bisher muss im Kandergrunder Gemeinderat ein sogenannter «Mitholzer-Sitz» besetzt werden. Weil die Bevölkerung von Mitholz aus bekannten Gründen abnimmt, wird es künftig möglich sein, diesen Sitz frei zu besetzen, wenn sich niemand aus Mitholz findet. Mit dieser Ergänzung des Reglements wolle man rechtzeitig reagieren, erklärte Gemeindepräsident Roman Lanz, «damit wir vorbereitet sind, wenn es so weit ist».
Im Traktandum Verschiedenes meldete sich dann Gemeinderat Albert Künzi zu Wort. Er warb dafür, dass ein Sitz auch in Zukunft aus dem Wahlkreis Mitholz besetzt werden solle. «Ich will nicht der letzte Gemeinderat aus Mitholz gewesen sein», rief Künzi, was aus der Versammlung mit Applaus quittiert wurde.
Ein einheitliches Reglement
«Gut Ding will Weile haben» – mit diesen Worten leitete Gemeinderat Ivo Kratzer zum Traktandum 4 über, in dem es um ein einheitliches Reglement zur Nutzung von Gemeindeliegenschaften ging. Verschiedene dieser Liegenschaften und Areale werden regelmässig von Privatpersonen und Vereinen genutzt – ein rechtlich bindendes Reglement dafür gibt es aktuell allerdings nicht. Um dieses «Vakuum» zu schliessen, war der Gemeinderat zusammen mit der Verwaltung seit Längerem daran, ein rechtskräftiges Reglement zu schaffen, das punkto Bewilligungsverfahren, Gebühren und Inkasso Klarheit schafft.
Die Versammlung stimmte dem erarbeiteten Reglement klar zu. Die Benutzung der Schul- und Sportanlagen wird für folgende Gruppen und Anlässe wie bisher unentgeltlich sein:
• Schulen der Gemeinde Kandergrund und Kandersteg;
• Einwohnergemeinde Kandergrund;
• OKJA Niesen, MUSIKA, Volkshochschule Frutigland;
• Jugendarbeit der Vereine mit Sitz in Kandergrund, Adelboden, Frutigen, Kandersteg und Reichenbach;
• Vereine mit Sitz in der Gemeinde Kandergrund;
• Gewerbeausstellungen.
Zusätzlich entstehender Aufwand, etwa für Reinigung oder Kehrichtentsorgung, kann in Rechnung gestellt werden.
Ein separates Parkplatz- oder Campingreglement wurde nicht ausgearbeitet. Das nun beschlossene Reglement verbietet allerdings das Dauerparkieren auf den öffentlichen Plätzen, ausserdem das dortige Übernachten in Fahrzeugen und Zelten.
Über 30 Tonnen Munition geborgen
Wie mittlerweile üblich, informierte Gabriela Schmid, die Koordinatorin der Gemeinde Kandergrund für das Projekt Mitholz, über laufende Entwicklungen rund um das ehemalige Munitionslager. Obwohl sie viele Themen nur schlaglichtartig ansprach, wurde deutlich, wie enorm komplex und facettenreich das Projekt ist.
Beeindruckend waren auch verschiedene Zahlen, die Schmid nannte. So wurden etwa bei den Sondiergrabungen im Bahnstollen bislang (Stand Ende September) rund 7300 Munitionsobjekte mit einem Kaliber zwischen 20 und 150 mm geborgen, was einem Gewicht von 14 Tonnen entspricht. Ebenfalls bereits geborgen wurden 18,5 Tonnen Handwaffenmunition.
Um die künftige Gefahr zu verringern, werden u. a. sogenannte risikosenkende Schutzmassnahmen getroffen. So werden ab Ende Juni 2024 lokale Steinschutzvorkehrungen eingebaut – was jedoch die temporäre Evakuierung gefährdeter Gebiete mit sich bringt. Diese soll maximal zwölf Wochen dauern und bis längstens Mitte September 2024 nötig sein. Die Behörden werden sich mit den Betroffenen bilateral abstimmen, das VBS wird für die Zeit der Evakuierung Entschädigungen entrichten.
Bei allen Nachrichten rund um das Projekt konnte Gabriela Schmid auch eine positive vermelden: Die Mitholz-Ausstellung im Alpinen Museum Bern erfreut sich grosser Beliebtheit und wird deshalb bis zum 11. August 2024 verlängert.
Apéro mit Nationalrat
Im Traktandum «Verschiedenes» kündigte Roman Lanz eine Feier zu Ehren des neuen Kandergrunder Nationalrats Ernst Wandfluh an – und wies gleichzeitig darauf hin, dass an diesem Anlass vom 1. Dezember aus Platzgründen nicht alle BürgerInnen teilnehmen können. Für die Bevölkerung bestehe allerdings am Neujahrsapéro die Gelegenheit, Ernst Wandfluh zu treffen und mit ihm anzustossen (1. Januar 2023, zwischen 14.30 Uhr und 17 Uhr).
Und einen weiteren, allerdings noch nicht ganz sicheren Termin gab Lanz bekannt: Sofern der Zeitplan eingehalten werden kann, soll am 26. Juli 2024 – in Kombination mit dem Dorffest – ein «Tag des offenen Gemeindehauses» stattfinden. «Dann können wir euch zeigen, wie alles geworden ist.»
Wegen der Sanierung des Gemeindehauses wird voraussichtlich auch die nächste Gemeindeversammlung der Gemeinde Kandergrund in der Turnhalle stattfinden.