Drei neue Stäbe für die Krise
31.05.2024 GesellschaftVORSORGE Das Kompetenzgerangel während der Pandemie soll sich nicht wiederholen, das nächste Mal will man besser vorbereitet sein: Nach Kritik aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft schafft der Bund neue Strukturen.
MARK POLLMEIER
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VORSORGE Das Kompetenzgerangel während der Pandemie soll sich nicht wiederholen, das nächste Mal will man besser vorbereitet sein: Nach Kritik aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft schafft der Bund neue Strukturen.
MARK POLLMEIER
Nachdem das Coronavirus 2020 in der Schweiz angekommen war, zeigten sich immer wieder Zuständigkeits- und Abspracheprobleme zwischen den Behörden, insbesondere zwischen Bund und Kantonen. Die Frage, wer wann was zu entscheiden habe, wurde zeitweise intensiver diskutiert als die Strategie zur Eindämmung der Pandemie.
Ein Resultat der föderalen Konfusion war der sprichwörtliche «Flickenteppich»: Jede Region definierte eigene Massnahmen, phasenweise galt überall in der Schweiz etwas anderes – bis der Bund wieder eingriff und die Leitplanken vorgab.
Nachdem Corona weitgehend ausgestanden schien, wurden alsbald Forderungen laut: So etwas dürfe sich nicht wiederholen. Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse gab dem Krisenmanagement während der Pandemie keine guten Noten. «Ungenügende Vorbereitungen, unklare Kompetenzen und massive Lücken bei Datenerhebung und -management zählen zu den grossen Baustellen», so das Fazit. Verschiedene Kantone regten an, beim Bund einen permanenten Krisenstab einzurichten, der bei Bedarf sofort seine Arbeit aufnehmen und die nötigen Massnahmen rund um die Uhr koordinieren kann. Auch aus Wissenschaftskreisen kam Kritik: Erkenntnisse aus der Forschung müssten beim nächsten Mal stärker berücksichtigt und, wo nötig, aktualisiert werden.
Alle Interessengruppen einbeziehen
Der Bundesrat hat mittlerweile auf die Anregungen reagiert und eine neue Verordnung über die Krisenorganisation der Bundesverwaltung (KOBV) ausgearbeitet. Damit sollen die Voraussetzungen «für einen raschen und systematischen Einsatz der überdepartementalen Krisenstäbe» geschaffen werden, wie es zur Erklärung heisst. Die Bundesverwaltung solle künftig besser auf Ausnahmesituationen vorbereitet sein.
Der Bundesrat betont, der systematische Einbezug der Kantone, der Wissenschaft und weiterer relevanter Akteure sei ein wesentlicher Bestandteil der neuen Strategie. Damit werde sichergestellt, «dass alle erforderlichen Interessengruppen angemessen vertreten sind.» Konkret soll es drei Krisenstäbe geben:
• Politisch-strategischer Krisenstab: Er koordiniert und erarbeitet die Grundlagen für die Bundesratsentscheide. Darin vertreten sind die GeneralsekretärInnen der Departemente, die beiden Vizekanzler, ausserdem VertreterInnen der Eidgenössischen Finanzverwaltung, des Bundesamts für Justiz und des Staatssekretariats für Wirtschaft.
• Operativer Krisenstab: Er soll dem politisch-strategischen Krisenstab die nötigen Informationen liefern und Aktionen umsetzen. Dieser Stab setzt sich aus VertreterInnen der übrigen Krisenstäbe und weiteren Verwaltungseinheiten der Departemente zusammen. Auch VertreterInnen des Bundesamts für Justiz sollen auf dieser Stufe einbezogen werden.
• Der permanente Kernstab spielt eine zentrale Rolle in der Krisenvorbereitung und -bewältigung. Drehund Angelpunkt ist hier die Nationale Alarmzentrale (NAZ), die bei Fragen zum Bevölkerungsschutz erste Anlaufstelle für die Kantone ist. Im Kernstab vertreten sind Mitarbeitende der Bundeskanzlei sowie des Bundesamts für Bevölkerungsschutz. Bei Bedarf können ExpertInnen verschiedener Departemente hinzugezogen werden.
Mittlerweile läuft das Vernehmlassungsverfahren für die neue Verordnung (bis zum 4. September). Die ersten Reaktionen aus den Kantonen waren eher zurückhaltend. Manche Stimmen bezeichneten die Pläne des Bundesrats als zu unverbindlich. Auch auf die Verteilung der Kompetenzen und den Informationsfluss wird man in den Kantonen sicher ein Auge haben.
Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) will die Vorschläge nun genau prüfen und dem Bundesrat entsprechende Rückmeldungen geben. Mögliche neue Katastrophenlagen werden auf Kantonsebene sehr ernst genommen: Die KdK hatte das Krisenmanagement zuletzt zu ihrem Schwerpunktthema gemacht.
Die Verordnung betrifft nicht die Organisation des Krisenmanagements für spezifische Ereignisse, die in die Zuständigkeit bereits bestehender Krisenstäbe fallen (z. B. Sonderstab Geiselnahmen und Erpressung oder Sonderstab Asyl). Auch die Strukturen, die die kontinuierliche Arbeit der Bundesverwaltung sicherstellen, sowie der Sicherheitsausschuss und die Kerngruppe Sicherheit sind von der neuen Verordnung nicht betroffen.
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«Schluss mit Faxen»
Seit Jahren redet alle Welt von Digitalisierung. Doch während der Pandemie zeigte sich: Die Schweiz (und viele andere Länder Europas) sind dabei auf halbem Wege stecken geblieben. Vor allem zu Beginn der Pandemie war das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zeitweise überfordert, weil sämtliche Corona-Fälle per Fax nach Bern gemeldet werden mussten.
Eine aktuelle Umfrage des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) hat nun aufgedeckt: Auch vier Jahre nach der Pandemie ist das Faxgerät längst noch nicht aus dem Gesundheitswesen verschwunden. Immerhin 17 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte nutzen es regelmässig, etwa für Rezepte, Spitex-Verordnungen oder Berichte an die Spitäler. Selbst in Unispitälern sind die Faxgeräte nach wie vor im Einsatz. Weil ihre IT-Systeme nicht in allen Fällen kompatibel sind, werden digitale Unterlagen erst ausgedruckt und dann per Fax verschickt. Anschliessend wird beim Adressaten noch angerufen und auf das Material hingewiesen, damit es dort nicht unbemerkt liegenbleibt – ein ziemlich ineffizientes Verfahren. «Schluss mit Faxen», forderte deshalb FDP-Nationalrat Marcel Dobler in einer Motion im Parlament. Das Schweizer Gesundheitssystem müsse für eine künftige Pandemie besser gewappnet sein, die altertümlichen Geräte müssten ausgemustert werden.
Der Bund hat sich des Themas mittlerweile angenommen. Mit dem Programm «DigiSanté» will er die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben. Fast 400 Millionen Franken sollen dafür in den nächsten Jahren investiert werden. Es geht vor allem darum, einheitliche Standards zu definieren, die die Übertragung digitaler Daten vereinfachen. Bis das letzte Faxgerät aus Arztpraxen und Spitälern verschwunden sein wird, dürfte es allerdings noch einige Jahre dauern.
Immerhin: Die Meldungen an das BAG müssen heute nicht mehr gefaxt werden. Infektionskrankheiten wie Covid oder Influenza könnten mittlerweile digital gemeldet werden.
POL