Eher symbolische Massnahmen
14.06.2024 AnalyseWer Wähler und Parteianhänger bei Laune halten will, muss sie nicht mehr mit langweiliger Sachpolitik nerven. Meist genügt es, so zu tun, als würden Probleme gelöst. Ob die Lösungen wirklich etwas taugen, ist dann gar nicht mehr so wichtig. Was zählt, ...
Wer Wähler und Parteianhänger bei Laune halten will, muss sie nicht mehr mit langweiliger Sachpolitik nerven. Meist genügt es, so zu tun, als würden Probleme gelöst. Ob die Lösungen wirklich etwas taugen, ist dann gar nicht mehr so wichtig. Was zählt, ist die Botschaft: «Wir tun was!»
Im Bundeshaus zu Bern wird ein Staatsgast empfangen. Für den obligatorischen Fototermin ist für kurze Zeit die grosse Treppe in der Kuppelhalle gesperrt. Was macht man nun als Nationalrat, wenn man nach unten möchte? Man könnte kurz warten, bis das Händeschütteln vorbei ist. Man könnte einen der anderen Treppenabgänge nehmen oder einen der Fahrstühle. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi und sein Parteikollege Michael Graber wählen am Mittwoch einen anderen Weg. Sie ignorieren die Absperrung, provozieren ein Handgemenge mit der bewaffneten Bundespolizei und sprechen danach von einem Skandal. Sie seien – «als vom Volk gewählte Parlamentarier!» – an der Arbeit gehindert worden.
Das kann man glauben oder auch nicht. Möglich ist auch: Aeschi und Graber wollten genau die mediale Aufmerksamkeit, die sie nun bekommen haben. Im Bundeshaus war der ukrainische Parlamentspräsident zu Gast. Die SVP ist mit der Haltung der Schweiz im Ukrainekrieg nicht einverstanden. Der Treppenvorfall war eine Möglichkeit, das auf «ausserparlamentarische» Weise zu verdeutlichen. Politisch erreichen lässt sich damit nichts. Aber man kann damit eine Botschaft aussenden: «Vor diesem Gast machen wir sicher nicht den Bückling.»
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In der Politik geht es scheinbar um Sachfragen, um das bessere Argument. Doch in der Öffentlichkeit lässt sich mit einem anderen Mittel viel mehr erreichen: mit Symbolik. Hier ein kerniges Statement im Fernsehen, dort ein kleines Videos auf Social Media: Mit solchen Mitteln lassen sich auf einen Schlag Tausende oder gar Millionen Menschen erreichen – und begeistern.
Donald Trump ist mit dieser Strategie höchst erfolgreich. Der Mann kann tun, was er will, seine Fans halten in Treue zu ihm – weil er ihr Lebensgefühl anspricht. Trump mag vielleicht ein miserabler Präsident sein, aber er ist ein begnadeter Kommunikator. Als Multimillionär schafft er es, sich auf den Wahlkampfbühnen als einfachen Mann zu inszenieren: «Ich bin einer von euch!» Die dazu passende Politik ist dafür gar nicht nötig. Trump genügt es, so zu tun, als engagiere er sich für die kleinen Leute.
Doch man muss gar nicht mit dem Finger nach Übersee zeigen. Auch hierzulande wird mittlerweile gern Symbolpolitik betrieben. Als Beleg genügt ein Blick auf aktuelle Parlamentsdebatten.
Die Digitalisierung schreitet rasant voran. Nur noch 30 Prozent der BLS-Kunden kaufen ihre Tickets am Automaten, und nur noch ein Drittel von ihnen zahlt dabei bar, Tendenz stark rückläufig. Dass Menschen durch die Einführung bargeldloser Automaten «diskriminiert» werden (so Grossrat Thomas Fuchs, SVP), ist also ein recht überschaubares Problem. Das hielt den Grossen Rat jedoch nicht davon ab, der BLS in die Parade zu fahren und die Beibehaltung der Bargeldfunktion zu fordern – koste es, was es wolle.
Während bei den Billetautomaten noch betont wurde, Bargeld sei in der Schweiz «nach wie vor noch offizielles Zahlungsmittel», war dieses Argument bei einem anderen Geschäft dann nicht mehr so wichtig. Asylsuchende, auch das forderte der Grosse Rat diese Woche, sollen künftig nur noch eine elektronische Bezahlkarte bekommen. Mit der Massnahme soll verhindert werden, dass Schweizer (Bar-)Geld ins Ausland geschickt wird oder in dunklen Kanälen versickert.
Auch bei diesem Problem ist fraglich, ob es wirklich eines ist. Zwar wird in der Politik mit allerlei Zahlen hantiert, aber seriöse Untersuchungen oder Statistiken scheint es dazu nicht zu geben. Welche Wirkung die Bezahlkarte am Ende haben wird, weiss deswegen niemand. Was man allerdings jetzt schon sagen kann: Ihre Einführung im Kanton Bern wird erst einmal etwas kosten.
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Doch möglicherweise ging es bei den beiden «Bargeldbeschlüssen» gar nicht um reale, drängende Probleme – sondern um die Symbolik. Im einen Fall lautet die Botschaft: Wir kümmern uns, wir haben ein Herz für Alte und Kinder. Im anderen Fall ist es genauso, nur unter anderem Vorzeichen: Wir tun etwas gegen die «Migrantenschwemme» und den Asylmissbrauch. Zwar argumentierte mancher Redner im Grossen Rat, die Bezahlkarte sei auch ein Schutz der Asylsuchenden vor Kriminellen. In der Bevölkerung wird allerdings eine andere Botschaft ankommen: Endlich wird «den Asylanten» das Leben ein bisschen schwerer gemacht! Letzteres mag sogar stimmen – ändern wird sich durch die Massnahme freilich kaum etwas.
Das ist das Gefährliche an der Symbolpolitik: Sie weckt Erwartungen, die sie letztlich nicht erfüllen kann. Die Digitalisierung lässt sich mit ein paar BLS-Automaten nicht aufhalten. Und für Flüchtlinge ist auch eine Berner Bezahlkarte noch höchst attraktiv.
Analyse
Mark Pollmeier, Redaktion «Frutigländer»