«Eigentlich eine verrückte Geschichte»
09.04.2024 KanderstegNEUE SEILBAHN Geht es nach den Befürwortern, soll in rund 10 Jahren eine Seilbahn direkt vom Kandersteger Bahnhof hinauf ins Gebiet Elsigen-Metsch führen. Die Luftseilbahn Kandersteg– Elsigenalp (LKE) soll beiden Playern und nicht zuletzt der BLS Vorteile bringen. ...
NEUE SEILBAHN Geht es nach den Befürwortern, soll in rund 10 Jahren eine Seilbahn direkt vom Kandersteger Bahnhof hinauf ins Gebiet Elsigen-Metsch führen. Die Luftseilbahn Kandersteg– Elsigenalp (LKE) soll beiden Playern und nicht zuletzt der BLS Vorteile bringen.
MARK POLLMEIER
Im Herbst 2001 wurde an der Höheren Fachschule für Tourismus Luzern eine Diplomarbeit eingereicht. Als Thema hatte die Autorin Mirjam Marti das «Projekt Pendelbahnverbindung Kandersteg – Elsigen-Metsch» gewählt, Zweitbewerter der Arbeit war ein gewisser Jerun Vils.
In ihrem Kurzfazit erteilte die Autorin der Idee damals eine Absage. Zwar sei die Seilbahnverbindung von Kandersteg ins Skizentrum Elsigen-Metsch technisch machbar. «Es ist aber aufgrund der durchgeführten Untersuchungen davon auszugehen, dass die Nachteile des Projekts die Vorteile überwiegen. Deshalb wird empfohlen, auf die Weiterführung des Projekts Elsigen-Metsch zu verzichten.»
Der eine hat, was dem anderen fehlt
Gut 20 Jahre später haben Lukas Eichenberger und Christian Zenger die Idee wiederbelebt. Eichenberger ist Hotelier in Kandersteg (Hotel Ermitage), demnächst wird er wohl René Müller als VR-Präsident der TALK AG ablösen. Christian Zenger ist Geschäftsführer der Elsigenalpbahnen AG. Seit gut einem Jahr beschäftigen sich die beiden mit einer möglichen Seilbahnverbindung zwischen Kandersteg und Elsigen. Die Motivation für das Projekt ist im Prinzip noch dieselbe wie 2001. Kandersteg hat eine starke Sommersaison, in der der Andrang von Gästen zuletzt für Probleme sorgte. Das Wintergeschäft dagegen könnte aufgrund des Schneemangels zunehmend schwieriger werden. Das Skigebiet Elsigen-Metsch dagegen hat das Potenzial, noch mehr Wintersportler anzuziehen – doch die etwas schwierige Zufahrt über die verschlungene Strasse wirkt als natürliches Hemmnis. Ausbaufähig ist hier dagegen das Sommergeschäft.
Schon diese Faktoren sprechen in den Augen von Eichenberger und Zenger dafür, die beiden touristischen Player «zusammenzuhängen». Ein weiteres Argument ist die gute ÖV-Anbindung Kanderstegs. Würde man die Talstation der neuen Seilbahn direkt beim Bahnhof ansiedeln, wäre Elsigen-Metsch quasi ans BLS-Netz angebunden.
Alle sollen profitieren
So sprach Lukas Eichenberger denn auch von einer Win-win-win-Situation. Kandersteg könne mit der neuen Seilbahnverbindung gewissermassen seinen Schneemangel und die schwächere Wintersaison kompensieren. Im Sommer würde die neue Bahn zudem dazu beitragen, die Kandersteg-Besucher besser zu verteilen. Von beiden Massnahmen würde Elsigen-Metsch profitieren: Die LKE würde im Sommer wie im Winter mehr Besucher ins Gebiet bringen, ohne dass diese auf die bisherige Autostrasse angewiesen wären. Die BLS als ÖV-Zubringer schliesslich könnte ihre Züge besser auslasten – was im Idealfall auch das Parkplatzproblem in Kandersteg verringern würde.
Eine ganzjährig bessere Auslastung, die Kanalisierung der Gästeströme – Eichenberger vergass nicht zu erwähnen, dass eine solche Entwicklung auch zur Ganzjahresstrategeie der TALK AG passe und den Tourismusbetrieben die Personalsuche erleichtern würde.
Technische Abklärungen vorgenommen
Christian Zenger führte aus, von welcher Transportkapazität man derzeit ausgeht. Um das Skigebiet Elsigen-Metsch in angemessener Zeit zu füllen, müsse man etwa 950 Personen pro Stunde transportieren können. Was die Linienführung angehe, so habe man verschiedene Varianten geprüft. Zurzeit erscheine die Strecke Kandersteg Bahnhof – Elsigenalp Homatti als sinnvollste. 932 Höhenmeter müsste die LKE über die vier Kilometer lange Strecke überwinden, der höchste Punkt wäre der Golitschenpass. Aktuell geht man von drei Stützen aus.
Grundsätzlich stehen zwei Gondeltypen zur Debatte, zum einen eine Grossraumkabine, die im Pendelbetrieb verkehrt. Mit diesem Typ sei die angepeilte Förderleistung grundsätzlich möglich, aber ausgereizt. Ein weiterer Nachteil wäre das «Sardinenbüchsen-Feeling» in der Grossraumgondel.
Die Alternative wäre eine Tri-Line-Umlaufbahn, ein noch recht neues System, das mit einem Zugseil und zwei Tragseilen funktioniert. Der Vorteil: Hier könnte man bei Hochbetrieb die Förderkapazität erhöhen, indem weitere Gondeln eingehängt würden. Zudem sei die Sicht auf die traumhafte Umgebung in den 18-Personen-Kabinen natürlich besser, so Zenger.
Im Juni liegt die Studie vor
2001 war die Zeit noch nicht reif für eine Seilbahnverbindung zwischen Kandersteg und Elsigen-Metsch – auch, weil das Skigebiet damals noch nicht recht mitziehen wollte. Heute betrachten nicht nur die Projektverantwortlichen, sondern auch die Behörden das Projekt als so zukunftstauglich, dass sie dafür Geld zur Verfügung stellten: Im Rahmen der Neuen Regionalpolitik finanzieren Bund und Kanton zu je 50 Prozent eine Machbarkeitsstudie. Deren Ergebnis soll bis Ende Juni vorliegen und drei grosse Fragen beantworten: Ist die neue Seilbahn technisch machbar, ist sie bewilligungsfähig, und ist sie finanziell realistisch, also bezahlbar und rentabel?
Noch mehr Autos im Ort?
Die Finanzierung war natürlich auch in Kandersteg ein Thema. Viel konnte Projektleiter Eichenberger allerdings noch nicht dazu sagen. Um eine fundierte Grundlage zu haben, müsse man das Studienergebnis abwarten. Skeptisch begegneten einige im Saal dem erklärten Ziel, Gäste vom Auto auf den öV umzulenken und damit auch den Ort vom Individualverkehr zu entlasten. Die Befürchtung: Am Ende würden wegen der neuen Seilbahn womöglich noch mehr Parkplatzsuchende durch Kandersteg kurven. Lukas Eichenberger gab sich überzeugt, dass man den Verkehrsfluss steuern könne. Auch müsse man bedenken, dass gerade eine neue Generation heranwachse – eine, die bei der Mobilität nicht mehr selbstverständlich auf das Auto setze.
Auch die Umwelt war am Infoabend ein Thema. Die Bahn solle dort gebaut werden, wo es derzeit noch keine touristische Infrastruktur gebe – inwieweit das denn nachhaltig sei, so ein Fragesteller. Eichenberger verwies erneut auf die angestrebte Verlagerung von der Strasse auf den öV. Schon dieser Effekt sei sehr nachhaltig.
Schliesslich äusserte sich Nico Seiler, selbst Hotelier und Präsident von Kandersteg Tourismus. Es sei ja eigentlich «eine verrückte Geschichte», im Jahr 2024 eine ganz neue Seilbahn zu planen. Auch seitens des Tourismus blicke man nicht unkritisch auf das Projekt, es gebe noch viel zu klären. Seiler verwies aber auch auf die Pioniere der Branche wie etwa die Niesenbahn, die schon vor über 100 Jahren gebaut worden sei. Es brauche eben manchmal Mut und Pioniergeist – «ohne den wären wir heute alle noch Ziegenhirten».
Öffentliche Infoveranstaltung:
Freitag, 26. April, ab 19.00 Uhr im Gemeindesaal Kandersteg
Präsentation der Studienresultate
Donnerstag, 27. Juni, 19 Uhr, öffentliche Informationsveranstaltung für die Bevölkerung
KOMMENTAR
Eine Idee, viele Fragen
«There is no free lunch», sagen die Amerikaner, wenn es um die harten Fakten der Ökonomie geht. Frei übersetzt: Es gibt nichts geschenkt, irgendwer muss am Ende zahlen. So ist es auch mit dem Projekt LKE: Bevor alle gewinnen, muss die neue Seilbahn erst einmal finanziert werden. Sofern das gelingt, ist die nächste Frage, ob man die enormen Kosten auch wieder hereinholen kann. Spätestens hier wird es interessant. Wie viele Gäste muss die Seilbahn pro Jahr transportieren (und zu welchem Ticketpreis), damit die Millioneninvestition in 25 oder 30 Jahren amortisiert ist? Woher werden diese Gäste kommen – und wem wird man sie gegebenenfalls wegnehmen müssen? Reichen die Einnahmen auch für den Unterhalt der Bahn und viele weitere Kosten, die zwangsläufig anfallen werden? Und das ist ja nur das Finanzielle. Umweltverträglichkeit, Klimawandel, Schneesicherheit im Skigebiet Elsigen-Metsch, Entwicklung des (Auto-)Verkehrs in Kandersteg ... Auch diese Aspekte des Vorhabens müssen bedacht werden, so schwierig sie heute auch abzuschätzen sind.
Es stimmt, man soll Visionen nicht immer sofort zerreden. Aber schon diese kurze Aufzählung zeigt: Wenn sie Investoren und Bevölkerung überzeugen möchten, werden die Vordenker um Lukas Eichenberger noch viele Fragen beantworten müssen. Eine erste Gelegenheit wird der Infoanlass am 26. April bieten.
MARK POLLMEIER
M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH