Ein 90-minütiges Crescendo
13.12.2024 FrutigenDie Gemeindeversammlung vom vergangenen Montag ähnelte einem Öltanker: Es dauerte eine Weile, bis sie Fahrt aufnahm. Und danach war sie fast nicht mehr zu stoppen.
JULIAN ZAHND
Die Herbstversammlung wurde musikalisch umrahmt: Eine Schülerin der ...
Die Gemeindeversammlung vom vergangenen Montag ähnelte einem Öltanker: Es dauerte eine Weile, bis sie Fahrt aufnahm. Und danach war sie fast nicht mehr zu stoppen.
JULIAN ZAHND
Die Herbstversammlung wurde musikalisch umrahmt: Eine Schülerin der MUSIKA hüllte den Kirchgemeindesaal zu Beginn und am Ende des Abends in eine wohlige Wolke aus pop-klassischen Klavierklängen. Die Gemeindeversammlung dazwischen wies derweil mehr Dynamik auf: Lange blieb der Saal still, die Versammlung erwachtete dann aber allmählich und zeigte sich zum Ende hin äusserst lebhaft. Der Abend war demnach ein stetiger Steigerungslauf, ein fortwährendes Crescendo.
Budget 2025 – eine Kreditabrechnung zur Kenntnis – Verschiedenes: Die Traktandenliste versprach eigentlich einen kurzen, ruhigen Abend. Mit gut anderthalb Stunden dauerte die Gemeindeversammlung dann aber doch länger, als man dies hätte annehmen können. Und vermutlich verlief sie auch unbequemer – zumindest für einige Anwesende.
Zahlen statt Worte
Zunächst nannte Finanzgemeinderat Samuel Marmet die wichtigsten Kennziffern des Budgets 2025: Die Gemeinde rechnet mit einem Defizit von knapp 180 000 Franken im allgemeinen Steuerhaushalt. Fürs nächste Jahr sind Nettoinvestitionen in der Höhe von knapp 4 Millionen Franken geplant, wobei vor allem die Sanierung des Gemeindehauses ins Gewicht fällt (1,3 Millionen Franken). Der Selbstfinanzierungsgrad der Gemeinde liegt bei nur 35 Prozent. Würden im nächsten Jahr alle geplanten Projekte tatsächlich umgesetzt, müsste sich Frutigen somit um zusätzliche 2,5 Millionen Franken verschulden. Die 106 anwesenden StimmbürgerInnen winkten das Budget kommentarlos durch. Die Steueranlagen werden nicht angetastet.
In Traktandum 2 legte Gemeinderat Bernhard Rubin die Kreditabrechnung für die Sanierung Schulhausstrasse (ab Kanderstegstrasse bis Schulhaus Widi) zur Kenntnisnahme vor. Der beschlossene Gesamtkredit von 340 000 Franken wurde um 26 000 Franken unterschritten.
Zweite Urnenabstimmung wegen Kreditüberschreitung möglich
Unter «Verschiedenes» informierte Gemeinderatspräsident Thomas Gyseler kurz über diverse Aktualitäten; darauf folgten zwei umfassende Infoblöcke zu grösseren Projekten, welche die Gemeinde derzeit beschäftigen. Bernhard Rubin legte den Stand der Sanierungsarbeiten an der Rinderwaldstrasse dar. Die zweite von insgesamt drei Etappen stehe kurz vor dem Abschluss, der Auftrag für die letzte Etappe werde demnächst vergeben. «Die Teuerung tut uns sehr weh», so Rubin. Es sei daher nicht auszuschliessen, dass im Frühling 2025 eine Urnenabstimmung für einen Zusatzkredit durchgeführt werden müsse.
Gemeindeschreiber Peter Grossen thematisierte danach die regionale Bauverwaltung. In einer Rückblende skizzierte er nochmals die Idee der Zusammenarbeit und betonte unter anderem, dass das neue Gremium lediglich administrative Vorarbeiten leiste, während die Bewilligungskompetenzen nach wie vor bei den Gemeinden liege. Bereits am 12. Dezember* könne der neue Abteilungsleiter voraussichtlich bestimmt werden. Danach mache man sich auf die Suche nach den weiteren fünf bis sechs Angestellten, die ab Anfang 2026 in der regionalen Bauverwaltung arbeiten sollen.
Runder Tisch zum Tellenfeldgässli
Inzwischen war es kurz vor 21 Uhr, bis dahin war die Versammlung noch stumm geblieben. Nun meldeten sich zahlreiche Bürger (keine Bürgerinnen) zu Wort – und brachten den Gemeinderat phasenweise ziemlich in Bedrängnis. Mehrmals kam die Bautätigkeit im Bereich Tellenfeldgässli zur Sprache. Die Behörden sahen sich zum wiederholten Mal mit dem Vorwurf konfrontiert, den beschlossenen Richtplan nicht umzusetzen und das Gebiet nur ungenügend erschlossen zu haben. Von «schlechter Planung» war die Rede, von «leeren Versprechungen», von Problemen, die «seit Jahrzehnten bekannt, aber nicht gelöst würden». Ein Bürger fragte zudem, wie es soweit kommen konnte, dass ein von der Gemeinde bewilligtes Bauprojekt später vom kantonalen Verwaltungsgericht als nicht bewilligungsfähig deklariert wurde.
Die angesprochenen Gemeinderäte wehrten sich nach Kräften, konnten die Anwürfe aber kaum entscheidend kontern. Obmann Gyseler versprach indes, die Sache mit dem verwaltungsgerichtlichen Bauabschlag «sehr, sehr gerne abzuklären». Eine Aufarbeitung sei nötig, da dieser Fehler ein schlechtes Signal nach aussen trage. Gleichzeit verwies er auf die nächsthöheren Instanzen, namentlich das Regierungsstatthalteramt sowie die kantonale Bauund Verkehrsdirektion. Auch dort sei das Bauprojekt bewilligt worden – «auch dort müssen wir hinschauen.»
Weil die Kritik nicht leiser wurde, schaltete sich Gemeindepräsident Urs Kallen als Mediator ein und schlug einen Runden Tisch vor. «In Frutigen», so seine Einschätzung, «könne man doch noch miteinander reden.» Der Gemeinderat wie auch die Votanten willigten ein.
Dialogfähigkeit ist nun gefragt
Zahlreiche weitere kritische Fragen richteten sich an diesem Abend an die Entscheidungsträger: Sie betrafen beispielsweise die Kostensteigerung beim Projekt Rinderwaldstrasse (Bernhard Rubin: «Die Teuerung ist leider Tatsache.») oder die Ortsdurchfahrt (Thomas Gyseler: «Der Kanton hörte uns leider kaum an.»). Ebenfalls wurde gefragt, weshalb der Auftrag für die Gemeindehaussanierung an eine Adelbodner und nicht an eine Frutiger Firma vergeben worden sei (die Antwort, die der «Frutigländer» im Nachgang erhielt: Die Gemeinde verlangt aufgrund ihrer Verordnung über das Öffentliche Beschaffungswesen bei Submissionsverfahren über 20 000 Franken jeweils mindestens drei Offerten. Da bloss zwei aus Frutigen kamen und die dritte aus Adelboden die mit Abstand günstigste war, hatte der Gemeinderat letztlich keine andere Wahl, als den Auftrag an eine auswärtige Firma zu vergeben.)
Es war eine beachtliche Portion an Unzufriedenheit, die sich an diesem Montagabend im Kirchgemeindehaus entlud – Kritik, die nicht über Nacht gewachsen, sondern teils über Jahre hinweg gereift war. Der neue Obmann, der sich stets als «gesprächsbereit» positioniert, dürfte künftig gefordert sein. Als Nächstes wird er sein Verhandlungsgeschick am jüngst anberaumten Runden Tisch unter Beweis stellen können. Seinen Gesprächspartnern dürfte es jedenfalls nicht an Ausdauer und Leidenschaft fehlen: Während die Gemeindeversammlung am Montagabend auf einem musikalischen Klangteppich nach draussen begleitet wurde, hatten sie noch längst nicht ausdiskutiert.
*Der Gemeinderat entschied an seiner Sitzung vom Donnerstagabend (nach Redaktionsschluss) über die Stellenvergabe.