Wer letzten Donnerstag das Konzert des Saxofonensembles Quatuor Amapola besuchte, musste sich nicht nur auf ein ungewohntes Ambiente einlassen. Auch die Stücke verlangten den Zuhörern eine gewissene Offenheit ab – und die war zweifellos vorhanden.
BIANCA ...
Wer letzten Donnerstag das Konzert des Saxofonensembles Quatuor Amapola besuchte, musste sich nicht nur auf ein ungewohntes Ambiente einlassen. Auch die Stücke verlangten den Zuhörern eine gewissene Offenheit ab – und die war zweifellos vorhanden.
BIANCA HÜSING
Müsste man diesen Konzertabend unter ein Motto stellen, wäre «Zugänge» das Wort der Wahl. Denn mit dem BLS-Erhaltungszentrum hat das Swiss Chamber Music Festival einen Ort zugänglich gemacht, der Musikfreunden sonst verborgen bleibt. Zwar lassen sich die Hallen auch im Rahmen einer Führung erkunden, als Konzertsaal hat sie bis dato aber noch niemand erlebt. Entsprechend zielt das Zugänglichmachen auch in die andere Richtung: «Wir wollen die Musik zu den Leuten bringen», erklärt Festivalintendantin Christine Lüthi in ihrer gemeinsamen Begrüssungsrede mit Reto Grossen von Kander Kultur. Damit dies gelingt, müssen alle Beteiligten zugänglich für Neues sein – allen voran Lüthi selbst. Als sie die Räumlichkeiten erstmals begutachtet habe, sei sie eher skeptisch gewesen. «Ich dachte: Oh nein, wie soll man hier drinnen eine Bühne aufbauen?» Dann aber habe die BLS die zündende Idee gehabt und einen Eisenbahnwagen zur Verfügung gestellt. Diese abenteuerliche Spielfläche wiederum verlangte den MusikerInnen ein gewisses Mass an Flexibilität ab. Und was die Konzertbestuhlung angeht, so brauchte es die Bereitschaft von Kander Kultur, das Mobiliar der Badi Lounge herüberzutransportieren. In Kombination mit der rotgrünen Bühnenbeleuchtung verleiht es der Halle beinahe Loft-Atmosphäre.
Schrille Töne, klarer Gesang
Um Zugänge geht es denn auch im Konzertprogramm des Preisträgerensembles Quatuor Amapola. Mit «Vue sur les jardins interdits» gewähren die vier SaxofonistInnen zumindest dem Titel nach Zugang zu «verbotenen Gärten». Zugänglich ist das Stück des modernen Komponisten Henri Pousseur deshalb aber nicht. Schrille Misstöne verströmen Twin-Peaks-Vibes*, erinnern stellenweise an Fabriksirenen und passen damit ideal zum industriellen Ambiente der BLS-Halle. Von ein paar fidelen Einsprengseln abgesehen macht das Stück einen bedrohlichen Eindruck. HörerInnen, die das Saxofon normalerweise mit gemütlich-schnoddrigem Jazz in Verbindung bringen, werden hier aus ihrer Komfortzone geholt.
Auch in den übrigen Vorträgen zeigen die vier Musiker aus Frankreich und Spanien die ganze Bandbreite des Saxofons und verschaffen damit neue Zugänge zu diesem gemeinhin als cool geltenden Instrument. Ohne jedes Beiwerk erzeugt es die intensivsten Stimmungen – zum Beispiel die bleierne Melancholie von Jürg Freys «Extended circular music No 7». Das Stück, das auf ein einziges Notenblatt passt und damit allerhand Interpreationsspielraum lässt, ist ebenfalls von der sperrigen Sorte. Wer aber aufgeschlossen ist und sich auf derlei Kompositionen einlässt, erlebt ein Konzert erster Güte.
Alle anderen werden mit Johann Sebastian Bachs harmonischen Chorälen entschädigt – und ganz besonders mit Juan de la Encinas «Ay, triste, que vengo», für das Jocelyn Erard ihr Tenorsaxofon zu Boden legt und die Halle mit klarem Soprangesang erfüllt.
Dass hier an diesem Abend ein zugängliches Publikum sitzt, beweist die ehrfürchtige Stille zwischen den Vorträgen. Vom üblichen Willkürräuspern und -husten fehlt zum Glück jede Spur. Zur Belohnung gibt es mehrere Zugaben.
* Twin Peaks ist eine höchst unkonventionelle und mehrfach ausgezeichnete Fernsehserie des US-Regisseurs David Lynch aus den Jahren 1990, 1991 und 2017. Thematisch geht es um den Mord an einer jungen Frau in einer ländlichen Kleinstadt, doch stilistisch lässt sich die Serie mit ihren Krimi-, Horror-, Mystery- und humoristischen Elementen nur schwer einordnen.