Es ist so gemütlich, im Bett zu liegen, wenn draussen der Regen plätschert. Es erinnert wildromantisch an Erfahrungen auf dem Camping. Wobei die nassen Duschen und feuchten Kleider grosszügig aus der Erinnerung ausgeschlossen werden. Es ist so schön, in einem trockenen Daheim ...
Es ist so gemütlich, im Bett zu liegen, wenn draussen der Regen plätschert. Es erinnert wildromantisch an Erfahrungen auf dem Camping. Wobei die nassen Duschen und feuchten Kleider grosszügig aus der Erinnerung ausgeschlossen werden. Es ist so schön, in einem trockenen Daheim zu sein und den Geräuschen von draussen zu lauschen – Idylle pur. Ein Daheim zu haben, ist nicht allen vergönnt, was auch immer die Umstände sind, die dazu führten, es verloren zu haben. Da war ich doch diese Tage in Luzern und, in Ermangelung von freien Hotelzimmern, nächtigte ich im Kapselhotel. Mit 15 anderen Personen, von denen, wie ich morgens um 5 Uhr realisierte, nicht alle aus touristischen Gründen in Luzern weilten. Eine junge Frau machte sich zeitgleich mit mir bereit. Sie ging zur Arbeit. Ich erinnerte mich, dass ich sie am Vorabend schon gesehen habe, als ich meine Kapsel bezog. Aus der Tatsache, dass sie kein Gepäck mitnahm und auch die Bettwäsche nicht abzog, schloss ich, dass sie mehrere Nächte in dieser Kapsel wohnte. Es erinnerte mich daran, dass früher Schnupperlernende und temporär Arbeitende in Luzern für einige Wochen Wohnsitz in der Jugendherberge nahmen.
Günstig und sauber. Und nun dasselbe, 30 Jahre später im Kapselhotel. Was ich soeben noch als spezielle, einmalige Erfahrung und eher «ein-Sterne-Standard» wahrnahm, wandelte sich in meinem Kopf zu einem Privileg.
Menschen, die es sich leisten können, gehen ins Hotel, die Herberge oder buchen eben eine Kapsel. Den anderen bleibt die Bank, die Strasse, die Wiese, der Wald. Gefährliche Orte für obdachlose Frauen. Wer schläft, kann sich nicht gegen Angreifer und Diebe wehren. Gut, dass es in Bern neben der alten Notschlafstelle mit einem Zimmer für Frauen (wenn voll, dann eben Pech gehabt) neu 60 Betten gibt – für Frauen und Männer in Not. Damit sie gegen Geld wenigstens eine Nacht lang ein Dach über dem Kopf haben. Dies ist noch in keinem Mass vergleichbar mit einer Kapsel, einem Hotel oder einer Herberge. Doch zumindest ist es Schutz vor dem Erfrieren, einer Vergewaltigung und es bietet Zugang zu einer Dusche. Somit ist ein Bett in einer Notschlafstelle auch immer ein Moment der Würde, einmal wieder fühlen und riechen wie ein Mensch, wie sie zu Tausenden draussen rumgehen und abends nach Hause in ein trockenes und warmes Daheim zurückkehren, mit Zugang zu einer Dusche und sich keine Gedanken machen müssen um Menschen, die das alles nicht haben.
MYRIAM HEIDELBERGER KAUFMANN
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