Abstimmungskommentar: Ein Dilemma
09.09.2025 PolitikZwei Dinge bewegen mich im Hinblick auf die Abstimmung um den Eigenmietwert: die diskussionswürdige Rechtmässigkeit der zusätzlichen Besteuerung von Eigentum. Und die anscheinend «recht mässig» angewandte Sorgfalt im Hinblick auf die absehbaren Folgen der ...
Zwei Dinge bewegen mich im Hinblick auf die Abstimmung um den Eigenmietwert: die diskussionswürdige Rechtmässigkeit der zusätzlichen Besteuerung von Eigentum. Und die anscheinend «recht mässig» angewandte Sorgfalt im Hinblick auf die absehbaren Folgen der Entscheidung. Jenseits des Wortspiels «recht mässig» stelle ich mir die Grundsatzfrage, ob es der in der Schweiz verfassungsrechtlich verbriefte Schutz von Privateigentum zulässt, die Eigennutzung von Eigentum überhaupt zu besteuern.
Ein einfaches Beispiel verdeutlicht den Gedanken: Wenn man sein eigenes Auto benutzt, muss man auch keine (fiktive) «Kilometer-Steuer» an den Staat bezahlen. Und dass man die Kartoffeln, die man für den Eigenbedarf auf dem eigenen Grundstück anbaut, auch noch als «Naturaleinkommen» besteuern sollte, ist vorsichtig gesagt keine gute Idee.
Doch gibt es – Beispiel Besteuerung von Photovoltaik-Anlagen – einen kantonalen «Flickenteppich» im Hinblick auf zwei Kernbegriffe der damit zusammenhängenden Besteuerung: So haben sich zum Beispiel die Kantone Waadt und Wallis entschieden, die ersten 10 000 KWh (pro Jahr und Haushalt) einer PV-Anlage als «Eigenbedarf» zu bezeichnen und nicht zu besteuern. Alle anderen Kantone versteuern «Eigenverbrauch» entweder nach dem «Brutto-Prinzip» oder nach dem «Netto-Prinzip». Von der Begründung her gehen sie damit oft unterschiedliche Wege, aber das führt hier zu weit.
In meinen Augen beinhaltet aber besonders Wohneigentum das eigene Bewohnen. Dafür habe ich doch bereits bezahlt, und wenn ich es finanziere, zahle ich auch noch einen Preis für die Zur-Verfügung-Stellung des Geldes («Zins») durch die Bank. Das ist – meine Meinung – genug bezahlt. Ich kann auch die Nutzung durch Vertrag an jemand anderen abgeben («Miete»). Dann habe ich eine Einnahme, die ich aber versteuern muss.
Historisch war man sich in der Schweiz, Ausnahme Basel, für kurze Zeit im späten 19. Jahrhundert, keines anderen Rechts bewusst. Eigentum ist «altes Recht».
Bis der Erste Weltkrieg kam. Der Staat brauchte Geld und so griff man 1915 einmalig zu Sondermassnahmen, einer Art «Wehrsteuer», ein zweites Mal unter Anwendung von Notrecht 1934. Massnahmen, die man aber erst 1958, Jahrzehnte nach ihrer ersten Einführung, nachträglich legitimierte. Und die bis heute blieben.
Jetzt hätten wir Zeit, sowohl die Grundsätze des historisch bedingten Teils des Schweizer Steuerrechts als auch die Grundsätze einer eventuellen Systemänderung zu überdenken. Grundsätzlich müsste man auch rechtlich sauber definieren, dass in der Schweiz Eigentum als solches nur in Ausnahmefällen zu besteuern ist (beispielsweise bei der Vermögenssteuer). Zumindest ein Mindestbetrag müsste steuerfrei sein. Und die Ausnahmen müssten auf einem gesellschaftlichen Konsens beruhen und sauber und bundesweit einheitlich definiert werden.
Doch gehört es von Seiten des Staates zu solch einem Systemwechsel auch dazu, nicht nur die Folgen im Bereich der Bundessteuer zu bedenken, sondern sich auch einmal in die Rolle aller einzelnen Schweizer Kantone hineinzudenken. Nämlich, was es heisst, bis auf Gemeindeebene Kanton für Kanton eigene Regelungen erlassen zu müssen, während man gleichzeitig einen harten Sparkurs fahren muss, die meisten jedenfalls.
Ich habe in Bern den Eindruck gewonnen, dass der Bund für seine Kantone und Gemeinden nicht weit genug gedacht hat. Besonders der erforderliche Zeitfaktor für die Umsetzung scheint mir unterschätzt zu sein.
Viele Stimmberechtigte spüren vermutlich das Dilemma: Der Staat soll die Wohnbesteuerung entweder verändern, hat dann aber Schwierigkeiten bei der finanziellen und organisatorischen Umsetzung.
Das wäre an dieser Stelle die «Ja-Antwort». Oder «Nein», der Staat soll nichts ändern. Dann steigen aber die Steuern auf selbst genutztem Wohneigentum in Abhängigkeit vom amtlichen Wert ständig weiter.
MARTIN NATTERER