Ein Hauch von Aufbruchstimmung

  18.11.2022 Frutigen

Der Infoanlass von Urs Peter Künzi und Rudolf Jungen stiess auf grosses Interesse: Rund 80 Besucher-Innen erfuhren letzten Montag in der Widihalle, was der «Zweckgebundene Energiefonds» (Zeff) bewirken soll und wie weit die Gemeinde punkto Energiewende ist.

BIANCA HÜSING
Auch wenn der Verweis auf die Frutiger Energietage mittlerweile etwas abgenutzt ist: Manch einer dürfte sich letzten Montag tatsächlich in die 1990er-Jahre zurückversetzt gefühlt haben. Erstens war Rudolf Jungen, der den Infonlass zusammen mit Urs Peter Künzi organisiert hat, schon damals mit von der Partie. Zweitens lag ein Hauch jener Aufbruchstimmung in der Luft, die auch während der Energietage geherrscht haben soll.

Gut 80 Leute sassen oder standen heuer im Foyer der Widihalle – ein Zulauf, der nicht nur Moderator Berni Schär überraschte. «Dass diese Veranstaltung besser besucht ist als die letzte Gemeindeversammlung, zeigt mir, dass die Energiedebatte lebt», fand der pensionierte SRF-Sportreporter. Dieser Eindruck schien sich während der Diskussionsrunde zu bestätigen: Das Publikum, das sowohl aus Sympathisanten als auch aus Kritikern der Zeff-Initiative bestand, brachte sich mit etlichen Fragen, Anmerkungen oder Motivationsvoten ein.

Viel Potenzial, viele Vorreiter
Fast ein wenig übermotiviert war der Moderator selbst. Ob er die Gemeinde Frutigen beschrieb oder deren Politiker, die Organisatoren des Anlasses oder dessen Referenten – alle wurden von Schär mit lobenden Superlativen überzogen. Stilistisch blieb er damit zwar in der Rolle des Sportreporters, doch inhaltlich betrat er neues Terrain. In seiner Einleitung glich er die energiepolitischen Soll-Vorgaben mit dem Ist-Zustand in Frutigen ab und verortete «riesengrosses Potenzial» punkto Solarstrom und Biogas. Persönlich beeindruckt zeigte er sich von den Pionierprojekten, die es hier heute schon gebe – etwa die Biogastankstelle, die Fernwärmeproduktion der Brügger HTB, das Wasserkraftwerk der Schiefertafelfabrik oder die «innovativen Lösungen, an denen Jürg Grossen und seine Leute tagtäglich arbeiten».

250 000 Franken pro Jahr für Solar
Inwieweit nebst diesen Privatunternehmen auch die Gemeinde ihr Potenzial ausschöpft, sollte Obmann Hans Schmid klären. Er war eingeladen worden, um über den Umsetzungsstand des Energierichtplans zu informieren. Massnahme für Massnahme ging er durch und erklärte, in welchen Bereichen man gut vorankomme und in welchen es eher harze. Fortschritte gebe es etwa punkto Solarenergie. So seien mehrere Photovoltaikanlagen entweder gebaut (Winklenschulhaus- und Werkhofdach) oder bewilligt (Dach OSS) worden. Die geplante Anlage an der Fassade der Widihalle stehe kurz vor der Umsetzung und über jene auf dem Dach werde demnächst abgestimmt (siehe Kasten). Im Schnitt plane die Gemeinde, zwischen 2021 und 2023 pro Jahr 250 000 Franken für Solarprojekte auszugeben. Ein «Meilenstein zur Förderung der Energieholznutzung» ist Schmid zufolge der bewilligte Holzlagerplatz Wengmatti.

Weniger gut läuft es augenscheinlich mit den flüssigen Quellen. Diverse Kleinwasserkraftprojekte seien geprüft, aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit oder rechtlicher Rahmenbedingungen aber wieder verworfen worden. Zudem seien die grossen Grundwasservorkommen «wenig genutzt» worden, da sie teils fernab von Bauzonen lägen.

«Es braucht eine gewisse Kontinuität»
Insgesamt kommt Schmid zu dem Fazit: «Der Energierichtplan ist nicht verstaubt in einer Schublade gelandet. Dem Gemeinderat ist es wichtig, das Potenzial der umweltschonenden Energie zu nutzen.» Stets motiviere man Bauherrschaften dazu, erneuerbare Lösungen zu prüfen und empfehle Landwirten: «Bruchet öiji Bschütti!» Vorschriften könne man jedoch keine erlassen. Und was die gemeindeeigenen Massnahmen betreffe, müsse man eben auch aufs Geld achten.

Das Thema Finanzierbarkeit stand denn auch im Zentrum von Urs Peter Künzis Vortrag. Die Gemeinde könne die Energiewende unmöglich alleine stemmen, sondern sei auch auf investitionswillige BürgerInnen angewiesen. Damit diese nebst den Förderbeiträgen des Kantons einen zusätzlichen Anreiz erhielten, könne man ihnen Beiträge aus einer neu zu gründenden Spezialfinanzierung sprechen: dem «Zweckgebundenen Energiefonds Frutigen» (Zeff). Gefüttert werden soll der Fonds mit dem «BKW-Rappen», den jeder Stromverbraucher ohnehin zahlt und der bisher im Allgemeinen Haushalt der Gemeinde landete. Künzi und sein Mitstreiter Rudolf Jungen wollen demnächst eine Inititative mitsamt ausgearbeitetem Reglement einreichen. Dieses Reglement orientiert sich an jenem der Gemeinde Bätterkinden und sieht unter anderem eine ständige Zeff-Kommission vor, die vom Gemeinderat gewählt wird und die Beitragsgesuche vorprüft. Auch soll die Spezialfinanzierung zunächst für einen Zeitraum von «ungefähr zwölf Jahren» eingerichtet werden. «Es braucht eine gewisse Kontinuität», betonte Künzi, «die Bauherren müssen sich darauf verlassen können, dass Geld vorhanden ist».

Steuerhaushalt oder Spezialfinanzierung?
Dass die Frutiger Debatte um die Konzessionsabgabe längst kein Einzelfall ist, konnte «Energiestadt»-Berater Cornelius Wegelin bezeugen. Das Bundesgerichtsurteil von 2018, nach dem Gemeinden eine rechtliche Grundlage für die oft schon seit Jahrzehnten bezogene Abgabe brauchen, habe vielerorts zu Grundsatzfragen geführt. Manche Gemeinden hätten den «BKW-Rappen» abgeschafft, andere hätten eine Spezialfinanzierung eröffnet. Die von Künzi und Jungen angedachte Variante sei dennoch «recht innovativ», da das Geld auch für Energieprojekte aus der Bevölkerung verwendet werden solle. Der Vorteil: Wenn die Gemeinde Landwirte zum Bau von Biogasanlagen motiviere, könne sie ihnen auch gleich mit einem Unterstützungsbeitrag unter die Arme greifen.

Gemeinderat Markus Grossen (EVP) gab jedoch zu bedenken: «Wir haben viele gemeindeeigene Sanierungsprojekte vor uns, für die wir die 300 000 Franken selbst gut gebrauchen können.» Dem hielt ein Bürger aus dem Publikum entgegen, dass das Geld im Allgemeinen Haushalt auch für andere Zwecke verwendet werde. Nur im Rahmen einer Spezialfinanzierung könne man Reserven bilden und diese zweckgebunden investieren. Künzi betonte zudem, dass der Fonds ebenso für Gemeindeprojekte gedacht sei.

Ein zusätzlicher Anreiz
Ein weiterer Bürger meldete Bedenken hinsichtlich der umweltverträglichen Entsorgung von Solarpanels an, worauf Energieexperte Ruedi Meier entgegnete: «Für Solarkraft und Elektromobilität braucht man mehr Rohstoffe, das kann man nicht wegdiskutieren. Das Problem ist aber eigentlich gelöst. Man kann das Material heute zu über 95 Prozent recyceln.»

Auch Meier hob die potenzielle Schubkraft eines Energiefonds hervor. Wenn BürgerInnen die Aussicht auf Förderbeiträge von Bund, Kanton und Gemeinde hätten, wären sie möglicherweise eher bereit, eine Investition zu wagen. Meiers Devise: «Portmonnaie first». Vor allem über den Geldbeutel könne man die Menschen zu klimaschonenden Lösungen bewegen.

«Die Gemeinde macht sich ernsthafte Gedanken»
Nach einer sehr angeregten Diskussionsrunde wurde jeder Referent mit einem Präsentkorb bedacht – und mit weiteren Komplimenten von Berni Schär. So lobte er Hans Schmid ausdrücklich dafür, dass er sich dieser Diskussion überhaupt gestellt habe. Er habe gezeigt, «dass die Gemeinde sich ernsthafte Gedanken macht und dass etwas geht». Den Organisatoren bescheinigte er «ganz viel Herzblut» und dass ihre Veranstaltung zu 100 Prozent gelungen sei. Man müsse auch nicht ihrer Meinung sein, um das anzuerkennen.

Besonders aber rühmte er Rudolf Jungen für sein jahrzehntelanges Engagement: «Solche mutigen Pioniere braucht es.» Für Jungen schliesst sich damit ein Kreis: Im Vorfeld der Veranstaltung hatte er bereits angedeutet, dass die Zeff-Initiative seine letzte Aktion sein werde.


PV-Traktandum zurückgezogen

Im Referat des Gemeinderatspräsidenten Hans Schmid kam auch die geplante Photovoltaikanlage auf dem Dach der Widihalle zur Sprache. Ursprünglich sollte das Projekt an der Gemeindeversammlung vom 6. Dezember behandelt werden. Doch wie die Gemeinde am Donnerstag mitteilte, wurde das Traktandum nun zurückgezogen. Das Projekt sei «aufgrund von neuen Erkenntnissen und somit weiterem Abklärungsbedarf noch nicht beschlussreif».
Schon während des Zeff-Anlasses am Montagabend wurden Zweifel an der Ausgereiftheit des Projekts geäussert.

HÜS


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