Ein Haus voller Geschichten und Geheimnisse
14.10.2025 Kultur
Selbst viele Spiezerinnen und Spiezer kennen es nicht wirklich: das Heimat- und Rebbaumuseum, das am Spiezberg ganz in der Nähe des Schlosses liegt. Ein Blick in die Geschichte und hinter die Fassade des altehrwürdigen Hauses.
MARTIN NATTERER
Das Museum ...
Selbst viele Spiezerinnen und Spiezer kennen es nicht wirklich: das Heimat- und Rebbaumuseum, das am Spiezberg ganz in der Nähe des Schlosses liegt. Ein Blick in die Geschichte und hinter die Fassade des altehrwürdigen Hauses.
MARTIN NATTERER
Das Museum ist derart glänzend erhalten, dass es den aufmerksamen Besucher eigentlich nur an das etwa aus derselben Zeit stammende Agensteinhaus im nahen Erlenbach erinnert. Unweit vom Schloss und dem Rebberg Spiez gibt es seit 1986 ein Museum, das dank seiner drei Bauten als Ensemble aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert zum Kulturgut von nationaler Bedeutung geworden ist. Dazu gehören ein Simmentaler Bauernhaus mit Spycher und barockem Bauerngarten sowie die letzte noch erhaltene Spiezer Trottenscheune («Trüel») mit der imposanten Traubenpresse.
Im Untergeschoss des Wohnhauses befinden sich der ursprüngliche Weinkeller und eine Werkstatt der letzten Spiezer Fassküfer, im Parterre neben den Wohnräumen eine historische Küche. Im Obergeschoss ist Raum für eine Dauerausstellung zu heimatkundlichen, ortsgeschichtlichen und Rebbauthemen sowie – nicht ganz so historisch – eine Video-Sitzecke. Doch eines nach dem anderen.
Nur ein paar Generationen zurück
Gehen wir ein paar Generationen zurück. Unter der Annahme, dass man für eine Generation rund dreissig Jahre rechnen kann, passt das wunderbar auf die Gründungszeit des barocken Bauernhauses, in dem sich heute das Heimat- und Rebbaumuseum Spiez befindet. Alles beginnt früh im Leben des barocken Winzers und Bauern Hans Rebmann: Bereits 1720 lässt er sich von Zimmermann Christen Linder einen Speicher für landwirtschaftliche Produkte am Spiezberg bauen. Soweit man weiss, war er da noch ledig. Acht Jahre später, im Jahr 1728, lässt er sich das Wohnhaus errichten, in dem sich heute das Spiezer Heimatmuseum befindet. Man weiss das, weil sich das Hochzeitsjahr als Gravur in der vermutlich aus Kirschbaumholz gefertigten Tür ablesen lässt. Es war damals in Spiez Sitte, dass die Gemeinde einem neu erbauten Haus eine schön verzierte Wohnzimmertür schenkte – so auch hier.
Schon bald hatte das Paar mehrere Kinder, was man daran erkennen kann, dass ihre Namen in ein und dasselbe Taufkleidchen, auf einer originalgetreuen Wiege ausgelegt, eingestickt sind. Überhaupt ist es so, als ob man mit den Grosseltern der Grosseltern der Urgrosseltern spricht: lange her, aber nicht völlig fremd. Ein weiteres Beispiel: Das Untergeschoss aus Stein ermöglichte eine breite steinerne Treppe ins erste Wohngeschoss, die immer gut sauber gehalten werden konnte. Direkt unter dem Wohngeschoss war die gut eingerichtete Werkstatt («Boutique») mit Werkzeugen, wie sie vielleicht noch unsere Grosseltern verwendet haben. Vor dem Haus lag, wie in sehr vielen Bauernhäusern des Kantons Bern, aber auch des Aargaus und des Bodenseeraums, der reichhaltig bestückte Blumen- und Gemüsegarten, voll auch mit Gewürzen. Die Grundfunktionen eines solchen Hauses ohne direkt angebauten Stall waren in vielen Regionen gleich: einfach, aber gut zu bewirtschaften, weil sehr eng an die Grundfunktionen des Lebens angelehnt. In der Einrichtung des ersten Wohngeschosses mischen sich spätbarocke und Biedermeier-Elemente zu einem Bild, das erneut den Eindruck erweckt: Die Bewohner sind schon lange weg, aber «irgendwie» kennt man solche Bilder noch.
Das historische Umfeld
Im Jahr 1728 unterstand Spiez noch dem Geschlecht derer von Erlach, die bis 1798 die «volle Herrschaft» ausübten; einige wenige Rechte behielt sich der damalige Stadtstaat Bern vor, so zum Beispiel das Appellationsrecht. Erst 1803 teilte Bern Spiez dem Oberamt beziehungsweise Amtsbezirk Niedersimmental zu, dessen Amtssitz damals noch in Wimmis lag. Wichtig war auch die Spiezer Verkehrsanbindung: Erst 1711 bis 1713 war die wilde Kander in den Thunersee umgeleitet worden. Sie floss dabei zunächst durch einen Stollen und nach dessen Einbruch durch die heutige Schlucht in den See. Das stetig wachsende Delta zählt noch heute zum Spiezer Gemeindeboden. Und erst seit dieser Zeit wurden die Berner Strassen nach und nach besser befestigt und auch für schwerere Lasten besser befahrbar. Zuvor war Spiez aber immer gut per Schiff zu erreichen.
Manchmal macht auch ein Seitenblick Freude: Am 25. Mai 1728 erlaubte ein königlicher Erlass des französischen Königs Ludwig XV. den Franzosen, Wein nicht mehr nur in Fässern, sondern auch in Flaschen zu transportieren. Dieser Erlass ist Grundlage für das Aufblühen des Champagner-Hauses Ruinart in Reims und wurde – obwohl von der Lage her lange nicht so begünstigt wie die französische Champagne – sicher auch in Spiez wahrgenommen. Denn die Beziehungen der Republik Bern zu Frankreich waren damals sehr eng.
Überhaupt waren die späteren Jahre des Barock auch für gesellschaftliche und religiöse Aufbrüche eine gute Zeit: So gibt am 3. Mai 1728 in der gewohnten «Singstunde» der ostdeutsche Nikolaus Ludwig von Zinzendorf seinen Gemeindebrüdern einen simplen Vers aus der Bibel mit auf den Nachhauseweg. Dies ist der Beginn der heute weltweit verbreiteten Herrnhuter Losungen.
Diese Jahre waren europaweit Aufbruchsjahre: 1727 war der Komponist Georg Friedrich Händel englischer Staatsbürger geworden, und nur wenige Jahre später, als sich Händel 1742 in Dublin aufhielt, brachte er dort sein Oratorium «Messiah» zugunsten von Schuldgefangenen und Armenkrankenhäusern zur Uraufführung.
Fast hundert Jahre später, 1834, konstituierte sich dann die Einwohnergemeinde Spiez im Umfang der Kirchgemeinde. In neun Jahren – im Jahr 2034 – könnte sie also ihr zweihundertjähriges Jubiläum feiern. Noch scheint allerdings nichts geplant. Die Spiezer Bäuerten nahmen aber noch bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein kommunale Aufgaben wie Strassenwesen, Uferschutz und Feuerwehr wahr. Erst vor wenigen Jahrzehnten haben sich die heutigen Strukturen herausgebildet. Alles ging früher eben ein wenig nachvollziehbarer als heute ab.
Letzter Anlass in diesem Jahr
Heute ist das Spiezer Heimat- und Rebbaumuseum gleichermassen Zeitzeuge der Vergangenheit wie auch Veranstaltungsort für viele «zünftige» und malerische Anlässe. Das schmucke Gebäude ebenso wie der Trüel können für Anlässe gemietet werden. Der letzte Anlass dieser Art im laufenden Jahr findet am 25. Oktober statt: Es geht ums Teigkneten und Brotbacken (Auskunft erteilt die Spiez Marketing AG beim Bahnhof).